Point Zero Forum

Point Zero Forum: Europa steht vor einem perfekten Sturm

Dr. Axel Weber im Gespräch mit Sopnendu Mohanty, Group CEO, GFTN
Dr. Axel Weber im Gespräch mit Sopnendu Mohanty, Group CEO, GFTN

Woher der Sturm kommt und wie er die Finanzindustrie verändern kann: Reflektionen und Erkenntnisse aus den Keynotes, Workshops und Debatten.

In einem ersten Wurf berichtet Patrick Comboeuf über die Debatten zur Geopolitik im Spannungsfeld der digitalen Souveränität und dem grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.

When the going gets tough… 

…the tough get going. In etwa so hätte Spotify wohl die Playlist zum diesjährigen Stelldichein der globalen Elite aus Regulation, Aufsichtsbehörden, Zentralbanken, Politik, Akademik sowie dem Ökosystem aus etablierten und aufstrebenden Organisationen in der Finanzindustrie benannt.

Europa steht vor einem perfekten Sturm. Die Region muss nicht zuletzt aufgrund der geopolitischen Verwerfungen ihre regulatorischen Ansätze dringend neu definieren, ihre digitale Souveränität stärken und bisher verrnachlässigte Chancen besser nutzen. Nur so ist zu vermeiden, im Wettlauf um die Technologieführerschaft in der Finanzindustrie komplett ins Hintertreffen zu geraten. 

Dieser Realität haben sich Anfang Mai 2025 wiederum mehr als 2'000 der weltweit führenden Entscheidungsträger am Point Zero Forum gestellt. Das Point Zero Forum ist die gemeinsamen Initiative des Global Finance & Technology Network (GFTN) aus Singapore sowie dem Schweizer Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF).

An drei Tagen des Dialogs und der Zusammenarbeit debattierten die Beteiligten gemeinsam über die dringenden Herausforderungen, gangbare Lösungswege und die dafür notwendigen Beiträge aus Politik, Finance und Technologie – um endlich messbare Fortschritte bei Nachhaltigkeit, Inklusivität, Innovation und Effizienz im gesamten globalen Finanzsystem zu erzielen.

MoneyToday widmet sich als Medienpartner in den kommenden Tagen ausgewählten Schlüsselthemen und zentralen Fragen aus dem diesjährigen Dialog.

Heute leuchten wir das Feld der Geopolitik und die Zukunftsperspektiven des (grenzüberschreitenden) Zahlungsverkehrs aus und starten mit einem Statement von Bundesrat Guy Parmelin:

Globale Herausforderungen erfordern globale Antworten – genau wie ein guter Waadtländer Weisswein oder ein Fondue, ist Innovation am besten bekömmlich, wenn man es in guter Gesellschaft teilt

In seinem launigen Grusswort verband der Schweizer Magistrat den Dank an Singapore mit einem Plädoyer, die Stärke des schweizerischen Finanzsektors und die international anerkannte Innovationsführerschaft als Fundament für Fortschritt zu nutzen, welcher politische Stabilität und rechtsstaatliche Berechenbarkeit in einem inklusiven Finanzmarktsystem vereint.

Der Finanzsektor profitiert von seiner Legacy aus Expertise, Offenheit und Marktinterkonnektivität. Für die unmittelbare Zukunft sind insbesondere Künstliche Intelligenz und Agentic Systems einerseits Chance und Herausforderung zugleich. Für die Politik in Bezug auf eine innovationsfördernde Governance, für die Führungselite aus der Privatwirtschaft als Ansporn, mutig den sich bietenden Opportunitäten gemeinsam mit dem grossartigen Schweizer Talentpool anzunehmen.

Ins selbe Horn stiess Carmen Walker Späh, welche als Vertreterin der Regierung des Gastkantons Zürich unterstrich, das 1 von 6 Franken direkt oder indirekt auf dem hiesigen Finanzplatz verdient wird. Erfolg ist kein Selbstläufer, er muss verdient werden, immer wieder aufs Neue. Der Wettbewerb der besten Ideen ist dafür eine wichtige Speerspitze.

Digitale Souveränität hat heute einen massiv höheren Stellenwert

Eine mancherorts geäusserte vollständige Abkopplung von der US-Technologie ist weder realistisch noch wünschenswert. Darin waren sich die meisten Diskussions- und Konferenzteilnehmer einig. Aber strategische Autonomie ist absolut wichtig – nicht durch Isolation, sondern durch Wahlfreiheit.

Bei echter digitaler Souveränität geht es nicht darum, stolz eine bittere Zitrone zu besitzen – es geht darum, die Gegenseitigkeit zwischen lokalen und globalen Infrastrukturen zu fördern.

Twint gilt auch international als gutes Beispiel für inländische Zahlungssouveränität. Dänemark geht in seinen Ambitionen sogar noch einen Schritt weiter und strebt auch eine Offline-Version eines solchen digitalen Zahlungssystems an, wie der Vorsitzende der dänischen Nationalbank im Interview mit Sopnendu Mohanty, Group CEO des Point Zero Organisators Global Finance & Technology Network (GFTN) ausführte. 

Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr vor anspruchsvollen Herausforderungen

Wie der kürzliche Blackout auf der iberischen Halbinsel unterstrich, bestehen die zukünftigen Stossrichtungen nicht nur darin, Geld schneller zu bewegen. Es geht vielmehr auch darum, zu wissen, wo die Technik die Grenzen der heutigen gut geölten Zahlungsmaschinen wirklich verschieben kann, insbesondere bei grenzüberschreitenden Zahlungen.

Eine solch gut geölte Zahlungsinfrastruktur stellt insbesondere auch der traditionelle Kreditkarten-Dienstleister Visa seit Jahrzehnten zur Verfügung. Befragt nach deren Eindrücken und Teilnahmemotivation am Point Zero Forum, äusserte sich der Santosh Ritter, Country Manager Schweiz und Liechtenstein, bemerkenswert offenherzig:

«Als ein weltweit führendes Unternehmen für Zahlungstechnologie bringt Visa beim Point Zero Forum seine globalen Perspektiven auf Innovationen und regulatorische Aspekte im Finanzsektor ein. Zu den Themenfeldern, die für Visa im Fokus stehen, gehören neben dem grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr explizit auch Technologien wie digitale Währungen oder der KI-gestützte Handel.»

Panelteilnehmer und Keynotespeaker sind sich in einem Punkt erstaunlich einig: Unterschiedliche Schienen sind gut. Unterschiedliches Geld? Nicht so sehr. Da Geld zunehmend rund um die Uhr durch inländische und internationale "Röhren" fliesst, müssen wir über neue Wege nachdenken, um Risikomanagement und Compliance in Echtzeit zu gewährleisten – zum Beispiel, um Betrug und Geldwäsche zu erkennen und zu verhindern und gleichzeitig, um den Datenschutz zu wahren.

All dies, um die Kunden zu unterstützen, die trotz aller technischen Massnahmen das schwächste, aber wichtigste Glied in der Zahlungsverkehrskette bleiben.

Praktisch alle weltweit operierenden Organisationen arbeiten aktuell an einer China +1 Strategie

Dr. Axel Weber, Ex-Chairman der Deutschen Bundesbank und der UBS

Gerade beim globalen Handel verwies der weitgereiste deutsche "Elderly Finance Man" Axel Weber auf sich akzentuierende Lieferketten-Probleme – teilweise noch ausgeprägter zu beobachten als während der Covid-Pandemie. Die aktuellen Tendenzen Richtung Homeshoring vs. Friendshoring zeigen Auswüchse in einer Welt, in der Nationen keine echten Freunde mehr zu haben scheinen.

Die zerbrechende historische transatlantische Freundschaft birgt ein nicht zu unterschätzendes Risiko, die über Jahrzehnte aufgebauten komparativen Vorteile der Globalisierung auf einen Schlag zunichte zu machen. Diese Ungewissheit erfordert entschiedenes Handeln mit Fokus auf Re-Engineering unserer Infrastrukturen.

Die jahrzehntealte Dollar-Dominanz wird herausgefordert durch digitale Währungen, namentlich von Stablecoins. Wir werden hier wohl bald mit einer multipolareren Systemarchitektur konfrontiert. Europa kann dabei womöglich spät die Früchte ernten für die damalige, nicht unumstrittene Einführung der Währungsunion. Gemäss Weber stellt sich der Euro heute als etwas heraus, was uns zum Beispiel im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr eine gewisse Resilienz gegenüber den aktuellen Verwerfungen verschafft.

Ein gemeinsamer globaler Nenner ist wohl die Aussicht, dass die Zukunft der Finanzindustrie bald mehr Programmierer und Quantenphysiker braucht als klassische Banker, orakelte Axel Weber weiter. Demgegenüber betonte er aber auch die teilweise eklatanten Unterschiede. Persönlich habe er nie viel vom amerikanischen Finanzsystem gehalten – die senden am liebsten immer noch Papierschecks herum, um ihre Hypothekarzinsen zu bezahlen.

Niemand beklagt sich darüber. Die Joe Sixpack-Durchschnittskunden scheinen sich daran gewöhnt zu haben und wollen an diesen liebgewonnenen – aber aus europäischer oder aisatischer Sicht eher antiquiert anmutenden – Gewohnheiten gar nichts ändern. Auch in Afrika komme Innovation in verschiedenen Gewändern daher, sehr mobil aber nicht unbedingt ultra Hightech.

Die alternde Bevölkerung Europas wird hier kaum eine globale innovative Treiberrolle einnehmen, ist doch in Deutschland, notabene der grössten kontinentalen Volkswirtschaft, Cash immer noch das domnierende Zahlungsmittel. Diese "habits persistence" verlangsamt, ja verhindert teilweise sogar wichtige Reformschritte.

Der Autor: Patrick Comboeuf (com)

Patrick Comboeuf, Redaktion MoneyToday.ch

Vordenker für digitale Themen in der Schweiz mit starkem Draht ins Silicon Valley. Ausgeprägtes Gespür für Entwicklungen, digitale Notwendigkeiten und Defizite. Patrick ist Associate Editor bei MoneyToday.ch und als Beobachter und Schreiber für unsere Redaktion unterwegs, um den Scheinwerfer auf Ereignisse und Protagonisten zu richten.