Neo-Banken

Wie düster wird's für Radicant, wenn die basellandschaftliche Politik bei der Neo-Bank das Sagen hat?

Das Türschild der Neo-Bank Radicant
Bild: Radicant

Die aktuellen Entwicklungen werfen ihre rabenschwarzen Schatten voraus – bald schon Lichterlöschen bei der Neo-Bank Radicant?

Geht ein engagierter CEO von Bord seiner Neo-Bank, kann das veschiedene Gründe haben. Bei Anton Stadelmann sind es "unterschiedliche Vorstellungen über die Weiterentwicklung von Radicant".

Stadelmanns Entscheidung, Radicant zu verlassen, markiert einen Endpunkt in der bewegten Geschichte der Neo-Bank. Der CEO wird das Drehbuch, das er für Radicant geschrieben hat, nicht mehr vollenden können.

Aber der Reihe nach, die Chronologie und die Protagonisten eines Stücks mit mehreren Akten.

Die Rolle von John Häfelfinger und Thomas Schneider

Der langjährige CEO der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) hat eine Affinität für FinTechs. Deshalb hat er mehrere Kooperationen angerissen und FinTechs ins Invest-Portfolio der BLKB aufgenommen.

Das ist grundsätzlich eine weitsichtige Entscheidung, weil Banking in zehn Jahren nicht mehr dasselbe sein wird, was es heute ist. Das gilt auch für die BLKB. Mit seinem grössten FinTech-Projekt, der Gründung der Neo-Bank Radicant, hat John Häfelfinger den Unmut der basellandschaftlichen Politik auf sich gezogen. Eine schwierige Ausgangslage, weil die BLKB dem Kanton Basel-Landschaft gehört. 

In Anbetracht der hohen Investitionen und Ausgaben – um die hundert Millionen Franken – hagelte es laufend Kritik von Seiten Landrat und Regierungsrat. Gut möglich, dass das Projekt Radicant mit eigener Banklizenz etwas zu gross gedacht war. Aber es war ein mutiges und zukunftsgerichtetes Vorhaben, gestützt von BLKB-Bankratspräsident Thomas Schneider, das allerdings von der basellandschaftlichen Politszene nicht goutiert worden ist. Der Druck hat laufend zugenommen.

Häfelfinger und Schneider sind heute nicht mehr an Bord der BLKB. Eine kürzliche Wertberichtigung von 105.5 Millionen Franken auf die Beteiligung der BLKB an der Radicant Holding AG hat das politische Fass zum Überlaufen gebracht, wir haben berichtet, hier und hier.

Die Rolle von Anders Bally

Anders Bally war Co-Gründer und CEO von Radicant. An möglicherweise etwas zu langer Leine hat Bally das Konzept entwickelt und die Neo-Bank ab April 2021 aufgebaut, mit sehr viel Zeit und Raum. Und mit einer Idee, die sich nur sehr schwer im Markt durchsetzen kann. Das Konzept einer durch und durch grünen Bank, die extrem auf Nachhaltigkeit fokussiert, reduziert in der Schweiz den Kreis der möglichen Kunden drastisch.

Auch Bally hat Radicant zum ungünstigsten Zeitpunkt verlassen, kurz vor dem geplanten Marktstart. Allerdings nicht aus freien Stücken, wie Stadelmann, die BLKB hat Bally auf politischen Druck von einem Tag auf den anderen rausgeworfen, wir haben berichtet, hier

Bally führte aufgrund des politischen Gegenwindes in einer Mail an sein Team einige Gedanken aus, zum Beispiel, dass "manche Politiker im Kanton, vor allem ältere, Schwierigkeiten hätten, die disruptiven Aspekte von Radicant zu verstehen". Deshalb wären "Deep Tech, Mobile First Banking, Wealth Management und andere Tech-Aspekte Konzepte, mit denen diese Politiker schwer zu assimilieren" wären. 

Allzu grob war dieses interne Statement nicht, in Anbetracht der Haltung und manifesten Ablehnung aus dem politischen Lager sogar ziemlich auf dem Punkt, für einen CEO einer Tochter der BLKB allerdings etwas undiplomatisch. 

Angesichts der als unverschämt empfundenen Aussagen, in der Nähe von Majestätsbeleidigung, gingen die Wogen in der basellandschaftlichen Politik hoch – Bally wurde im Februar 2023 auf die Strasse gestellt.

Die Rolle von Anton Stadelmann

Nach einer weiteren Phase der Verzögerungen ist Radicant mit zwei Interims-CEOs aus den eigenen Reihen im August 2023 im Markt gestartet, als erste "digitale Nachhaltigkeitsbank". Dieser (zu) grüne Approach mochte nicht so recht verfangen, Radicant hatte Mühe, Kunden an Bord zu holen.

Im November 2023 nahm Anton Stadelmann Platz auf dem heissen CEO-Sessel der Neo-Bank. Mit dem Hintergrund von viel Bank- und FinTech-Erfahrung, unter anderem hat Stadelmann als Deputy CEO und Chief Customer Officer von Twint Innovationen vorangetrieben und an der Erfolgsgeschichte von Twint massgeblich mitgeschrieben.

Stadelmann hat Radicant in sehr kurzer Zeit eine neue Positionierung und ein neues Image verpasst. Radicant war nur noch in zweiter Linie der Ankerplatz für Anlegerinnen und Anleger mit nachhaltigen Ansprüchen, in erster Linie war Radicant die mit Abstand kostengünstigste Neo-Bank mit starken Leistungen.

Diese Neu-Positionierung sowie laufend erweiterte Leistungen und Angebote haben Früchte getragen, die Neo-Bank konnte Kunden gewinnen. Geblieben ist allerdings die Hypothek der hohen Investitionen und Kosten aus der Ära vor Stadelmann.

Heiss blieb der CEO-Sessel deshalb auch in dieser Zeit. Die von der basellandschaftlichen Politik ungeliebte Neo-Banken-Tochter der BLKB stand weiterhin unter ständigem Beschuss und sah sich immer wieder neuen Kritikpunkten ausgesetzt. Stadelmann gelang es jedoch offenbar, auch unter Erfolgsdruck, die unterschiedlichen Strömungen und gegensätzlichen Ansichten von BLKB-Führung, Bankrat und Politik halbwegs friedlich unter einen Hut zu bringen.

Die Rolle der Politik

Radicant war und ist dem Landrat und dem Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft ein höchst kostenintensiver Dorn im Auge. Das ist nachvollziehbar. Ein FinTech-affiner und offensiver BLKB-CEO, ein fortschrittlich denkender BLKB-Bankratspräsident und ein Kreis von eher konservativen Politikern, welche ihre Kantonalbank in der angestammten Form bewahren wollen, ohne FinTech-Ausflüge und ohne neumodische Neo-Banken-Experimente, passen einfach nicht zusammen. 

Zudem, und das schleckt keine Geiss weg, wurde bei Radicant mit der grossen Kelle angerichtet, die Investitionen waren sehr hoch. Mit Sicherheit wurden beim Aufbau und bei der Weiterentwicklung der Bank auch Fehler gemacht. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Schweiz allerdings eine sehr unterentwickelte Fehlerkultur, das gilt auch für den Kanton Basel-Landschaft.

Nach dem Eklat mit der kürzlichen Wertberichtigung auf die Beteiligung der BLKB an der Radicant Holding AG, hat nun offenbar die Politik das Ruder bei Radicant übernommen.

Experten sind an der Arbeit, um die Vorgänge rund um die Fusion von Radicant und Numarics und die Wertberichtigung zu untersuchen. Exponenten aus der Politik rufen nach einer Parlamentarischen Untersuchungskommision. Eilends gezimmerte Effizienz- und Kostensenkungsprogramme sind Radicant verordnet worden. Die Neo-Bank soll weniger wie ein Startup funktionieren, sondern näher ans Mutterhaus BLKB angebunden werden.

Das alles muss nicht falsch sein, ist aber kein gesundes Klima für ein Startup, das erst seit relativer kurzer Zeit zur Neo-Bank geworden ist und begonnen hat, Kundinnen und Kunden zu gewinnen. 

Dazu kommt: mit einer Volksabstimmung, iniziiert von Exponenten des Landrats, soll unter anderem Radicant vom Mutterhaus BLKB abgekoppelt werden. Die BLKB soll eine klassische Bank bleiben, ausschliesslich ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Bevölkerung des Kantons Basel-Landschaft – deshalb ohne Ambitionen auf FinTechs und ohne Aktivitäten in zukunftsgerichteten Tech-Bereichen.

Wenn's nicht passt, dann passt es einfach nicht

Landrat und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft möchten Radicant loswerden. Der CEO, der die Neo-Bank mit dannzumals noch vorhandenen Freiräumen auf gute Schienen gestellt hat, geht von Bord. Im Wissen, dass die Politik Radicant nicht die Zeit geben wird, die notwendig ist, um zu wachsen und Erfolg haben zu können. Die Investitionen und Kosten scheinen zu hoch, um die späte Ernte abzuwarten.

Zudem operiert Anton Stadelmann auch personell auf aussichtslosem Posten – er hat die Fraktion der Radicant-Unterstützer im Hause BLKB verloren. John Häfelfinger und Thomas Schneider haben ihre Sessel bereits Ende Juli geräumt. Folgerichtig geht auch Stadelmanns Engagement als Steuermann und CEO für die Neo-Bank nach kurzen eineinhalb Jahren zu Ende.

Düstere Aussichten für das Projekt Radicant. Möglicherweise wird die Neo-Bank runtergespart und als Teil von BLKB ins Mutterhaus integriert. Oder sie wird unter Wert verkauft, wenn sich jemand findet, der eine Banklizenz zu günstigen Konditionen kaufen möchte. 

Für welche Variante sich die Politik auch immer entscheiden wird, die Tage der Neo-Bank in ihrer heutigen Form dürften gezählt sein.


Die Schweizer Neo-Banken-Landschaft im Überblick

Die Zusammenstellung der in der Schweiz aktiven Neo-Banken mit den jeweils zuletzt gemeldeten Nutzerzahlen vermittelt einen ungefähren Eindruck der aktuellen Grössenverhältnisse und Marktanteile.

Schweizer Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Alpian (F-ISPB) Oktober 2022 20'000 20'000
Kaspar& März 2022 7'000 7'000
Neon März 2019 237'000 237'000
Radicant (BLKB) August 2023 18'000 18'000
Yapeal Juli 2020 10'000 10'000
Yuh (Swissquote) Mai 2021 350'000 350'000
Zak (Bank Cler) März 2018 70'000 70'000
Aktive Schweizer Apps: 7      
       
Ausländische Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
N26 Schweiz 2019 8 Millionen keine Angaben
Revolut Schweiz 2017 60 Millionen 1'000'000
Wise März 2010 16 Millionen keine Angaben
Aktive ausländische Apps: 3      
       
Neo-Banken Verticals Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Relio Oktober 2023 Angaben folgen Angaben folgen
Aktive Vertical Apps: 1      
       
Neo-Banken in Umwandlung      
CSX (Credit Suisse)
UBS plant keine eigenständige
Weiterführung der App
Wechselangebot an Kunden:
Key4 Banking Pure von UBS
Oktober 2020 400'000 400'000
Coop Finance+ (Coop)
Coop plant keine eigenständige
Weiterführung der App
Wechselangebot an Kunden:
Lila Set von Valiant
Oktober 2023 keine Angaben keine Angaben
       
Neo-Banken in Liquidation      
FlowBank
FINMA: Konkurs eröffnet am
13. Juni 2024
November 2020 keine Angaben keine Angaben
Swiss4
FINMA: Konkurs eröffnet am
4. März 2025
April 2024 keine Angaben keine Angaben

Hinweis der Redaktion: Neo-Banken, die ihre aktuellen Kundenzahlen nicht korrekt gespiegelt sehen, weil länger nicht kommuniziert, dürfen Letzteres jederzeit gerne nachholen, hier, damit Ersteres auf den neusten Stand gebracht werden kann.