Die Gründerin des Instituts für Geldkultur, Sabine Krusch, ist überzeugt davon, dass man Geld lernen kann. Oder besser: lernen muss. Einerseits, um die Lücken und Defizite in Schule und Familie auszugleichen. Aber auch, weil es eine neue Sicht auf Geld und einen neuen Umgang mit Geld braucht. Eine individuelle Sicht, weil Geld sehr viel mit persönlichen Lebensentwürfen und Zielen zu tun hat.
Eine Serie über Geld – die erste Folge.
Lasst uns über Geld reden! Unbedingt!
Der wichtigste "Glücksfaktor" für die persönliche Lebenszufriedenheit – und damit natürlich auch als Produktivkraft für Wirtschaft und Gesellschaft – wird selten öffentlich thematisiert. Gemeint ist Geld.
Weder an heimischen Tischen noch in den Schulen oder Universitäten kann man praktischen, alltagstauglichen Umgang mit Geld erlernen. Stattdessen wird die Verantwortung für ein finanziell selbstbestimmtes und unabhängiges Leben an – meist provisionsabhängige – Finanzberater und Verkäufer übertragen.
Dabei muss jedem klar sein: So gut wie jede Entscheidung in unserem Leben wird auch vom Thema Geld beeinflusst – im Privaten genauso wie im Beruflichen.
Wir haben es kommen sehen und immer schon argumentiert: Finanzbildung und Vermittlung von Finanzwissen muss unabhängig geschehen. Das war eines der Fundamente zur Gründung des Institut für Geldkultur vor 13 Jahren.
Beeinflussung lauert überall
Heute hat diese Abhängigkeit eine ganze Branche eingeholt. Finfluencer beeinflussen Menschen, die gewinnbringend ihr Geld anlegen möchten. Im Fokus sind viele junge Leute, denen häufig die nötige Geld- und Finanzkompetenz fehlt, um auf Basis von Empfehlungen und auch Wissen für sich selbst nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Die Nutzung von Buy-Now-Pay-Later-Angeboten erlebt gerade einen Hype, Beispiel dazu hier und hier. Die Investition in Aktien und Bitcoins oder dubiosen Krypto-Anlagen – tagtäglich begegnen uns nicht nur diese Angebote insbesondere in den sozialen Medien, sondern auch die Geschichten mit den Erfahrungen von Geschädigten.
Auf TikTok stellen junge Nutzer ihre unbezahlten Rechnungen zur Schau. Die Beträge reichen bis in den fünfstelligen Bereich. Es geht um gedankenloses Shopping – und eine Bezahlmethode, an der es grosse Kritik gibt.
Was jahrelang absehbar war, können die Schulen jetzt auch nicht ad hoc kompensieren. Kreditinstitute, Finanzberater und Paymentunternehmen übernehmen diese Aufgabe und werben mit Finanzbildung und teils auch mit der Vermittlung von Finanzprodukten um die Kunden von morgen.
Impulsfrage: Was ist für mich wertvoll? Was ist Wohlstand?
Finanzbildung ist nicht mit Finanzkompetenz gleichzusetzen
Wer lernen möchte, mit Geld umzugehen, muss erst einmal herausfinden, welche Beziehung er zu Geld hat. Und dazu müssen wir einfach darüber reden: in der Familie, im Freundeskreis, in den Schulen und Bildungseinrichtungen und in den Unternehmen.
In der Schule passiert zu wenig zum Thema Finanzbildung. "Ich weiss zwar, wie man ein Gedicht interpretiert, aber wie und welche Versicherungen ich abschliessen sollte, hat mir in der Schule keiner erklärt". Ein gern gebrauchtes Zitat für Abi-Reden.
Begleiten wir Melanie, 18 Jahre, Abiturientin. Sie wird nach dem Abschluss eine Ausbildung als Technische Zeichnerin beginnen. Den Ausbildungsplatz hat sie bereits. Die junge Frau freut sich schon auf das erste selbstverdiente Geld. Sie hat noch keine Vorstellungen darüber, wie und ob sie es investieren wird. In Reisen auf jeden Fall. Das ist ihr Hobby.
Ihre grosse Schwester predigt ihr, unbedingt früh an die Altersvorsorge zu denken, ihre Eltern erinnern sie an Versicherungen, die dringend abgeschlossen werden müssen, Freundinnen begeistern sie für scheinbar lukrative Investments.
Das ist alles sehr verwirrend für Melanie. Und sie fragt sich, was ihr am Ende noch übrigbleibt. Strategien für ein verzögertes Zahlungsziel hat sie schon entwickelt: viele Anschaffungen tätigt sie mit Buy-Now-Pay-Later-Zahlverfahren, Reisen bucht sie gerne mit Kreditkarte. Melanies Situation zeigt deutlich, dass jede Entscheidung, die wir im Leben treffen, mit Geld zusammenhängt.
Jede Entscheidung, die wir im Leben treffen, hängt mit Geld zusammen
Mässiger Wissensstand über Geld und Finanzen
Vorab ein paar ernüchternde Zahlen zum Wissensstand über "Geld und Finanzen". Der bleibt laut einer vom Fondshaus Union Investment in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage auf mässigem Niveau. Das ist im Vergleich zu 2017 nochmal gesunken. Interessant ist, dass die Bevölkerung selbst das ganz anders wahrnimmt. Sie beurteilt ihr Wissen deutlich besser.
Die grössten Herausforderungen sehen die meisten Befragten im Bereich der Altersvorsorge. Zwei Drittel (65 Prozent) hätten vor allem in diesem Bereich gerne bessere Kenntnisse. An zweiter Stelle steht das Verständnis vom Umgang mit Schulden, Nummer drei sind die Geldanlagen mit Aktien oder Fonds.
Wenn es darum geht, konkrete Finanzentscheidungen zu treffen, wird vor allem die Familie gefragt. Auf Rang drei der wichtigsten Quellen rangieren Online-Medien (31 Prozent), die in ihrer Bedeutung im Vergleich zu 2017 gestiegen sind.
Erschreckende Zahlen: Überschuldung greift um sich
Eine weitere erschreckende Nachricht, die das Institut für Geldkultur beschäftigt: Laut Creditreform wurden im vergangenen Jahr etwa 5.65 Millionen Menschen als überschuldet eingestuft. Jeder vierte Deutsche wäre davon direkt oder indirekt betroffen.
Das Bundesamt für Statistik in der Schweiz ermittelte für 2022:
Jede achte Person (11.6%) lebt in einem Haushalt, der mindestens eine Art von Zahlungsrückstand aufweist und 4.8 Prozent in einem Haushalt mit mindestens zwei Arten von Zahlungsrückständen. Der Anteil der Bevölkerung mit einer oder zwei Arten von Zahlungsrückständen sinkt mit zunehmendem Alter, Ausbildungsniveau und Einkommen.
Personen, die eindeutig häufiger in Haushalten mit zwei Arten von Zahlungsrückständen leben, sind jene mit materiellen und sozialen Deprivationen (36.7%). Dazu gehören zum Beispiel Arbeitslose (18.1%), armutsgefährdete Personen (13.0%) sowie Personen aus osteuropäischen Ländern oder aus einem nicht-europäischen Land (11.8%).
Die Geschichten und Zahlen zeigen, dass es nicht um Anlage- und Sparoptionen geht. Es geht darum, die Voraussetzung zu schaffen, um mit Geld erfolgreich umzugehen, die Mechanismen zu verstehen und damit für sich eigenverantwortlich eine finanzielle Wohlfühlsituation zu finden.
In Folge 2 mehr zur unabhängigen Vermittlung von Finanzkompetenz.