Startups und FinTechs

"Die Höhle der Löwen" Schweiz: Eine exemplarische Studie, wie ein FinTech sich bei Investoren ins Aus schiessen kann

Das Team von Tilbago beim Pitch in der Höhle der Löwen Schweiz
Das Gründerteam von Tilbago beim Pitch in der "Höhle der Löwen" Schweiz (Bild: CHMedia | 3+)

Schade, es hätte was werden können für das FinTech Tilbago. Ein nachgezeichnetes Rezept, wie sich Investoren mit absoluter Sicherheit nicht gewinnen lassen.

Das FinTech-Startup Tilbago hatte in der ersten Sendung der dritten Staffel der "Höhle der Löwen" Schweiz gute Karten: Geschäftsidee mit Problemlösungsanspruch, solides Geschäftsmodell und technologisch ausgereifte Software, bereits 1'600 Kunden an Bord und ein erwarteter Umsatz von über einer Million Franken im laufenden Jahr.

Das Luzerner FinTech betreibt das Tool Robo-Inkasso und automatisiert damit Online-Betreibungen. Ein für zahlreiche Unternehmen mühsames Prozedere wird mit der Software von Tilbago so weit wie möglich automatisiert und stark vereinfacht.

Gute Voraussetzungen deshalb für den Pitch eines Startups, das sich eine Wachstums-Finanzierung wünscht. Umso unverständlicher, wie unsensibel und ignorant ein FinTech seine Chancen in den Sand setzt. Der Pitch ist exemplarisch und kann anderen Teilnehmern als Beispiel und Lehrstück dienen, wie Startups mit Investoren nicht umgehen sollten. Deshalb eine Zusammenfassung mit den zentralen Stolpersteinen einer Präsentation, die kein Unfall war, sondern schlicht ein vorprogrammiertes Desaster.

Das Protokoll eines selbstproduzierten Flops

Wer schon mal eine Sendung der Gründershow gesehen hat, kennt die wesentlichen Ansprüche der investierenden Löwen: Vernünftige und nachvollziehbare Bewertung des eigenen Unternehmens, dazu Transparenz und Offenheit im Umgang mit Zahlen und der bisheriger Unternehmensentwicklung.

Ansprüche, welche die Macher von Tilbago kennen müssten, zumal es sich nicht um unerfahrene Jungunternehmer handelt. Das präsentierende Team der Gründer besteht aus gestandenen Profis mit beruflicher Geschichte und Hintergrund, professoral begleitet und mit Unterstützung des strategischen Partners und bestehenden Investors Postfinance.

Der Pitch des Gründerteams in der "Höhle der Löwen" hat vorgestern Abend zuerst Interesse, dann zunehmende Irritation und zuletzt auch Verärgerung bei den fünf Investorinnen und Investoren provoziert. Die Gründe für den gefloppten Pitch der "digitalen Herausforderer der Inkassobranche" sind so erstaunlich wie exemplarisch.

Das Angebot und die Unternehmensbewertung
Für 500'000 Franken Kapital bietet Tilbago eine Beteiligung von 3.5 Prozent am Unternehmen.

Reaktion der Investoren: Erste Irritationen und grosse Augen. Einerseits mögen Investoren tendenziell keine Minimal-Beteiligungen, vor allem jedoch kommen abenteuerliche Bewertungen nicht gut an. Tilbago ruft mit diesem Angebot eine Unternehmensbewertung von fast 15 Millionen Franken auf.

Die Beteiligungsverhältnisse
Drei anwesende Gründer sind als Mehrheitsaktionäre am Unternehmen beteiliigt, als strategischer Partner und Investor ist die Postfinance mit einer Minderheitsbeteiligung mit im Boot. Die berechtigte Frage von Roland Brack und Tobias Reichmuth nach den konkreten Anteilen, Beteiligungs- und Kräfteverhältnissen wird nicht beantwortet.

Tilbago: "Das ist vertraulich, wir können nicht alle Anteile offenlegen".

Reaktion der Investoren: Die allgemeine Irritation nimmt zu, der gute Wille und die Bereitschaft zum Dialog bleiben dennoch bestehen.

Die Umsatzentwicklung
Die Frage nach konkreten Zahlen wird ausweichend bis gar nicht beantwortet. Der Umsatz soll nach Angaben von Tilbago für 2021 im einstelligen Millionenbereich angesiedelt sein. Löwen-Investor Roland Brack hakt nach und möchte Details zur Umsatzentwicklung erfahren, als eine der zentralen Entscheidungsgrundlagen für eine Wachstumsfinanzierung. Bettina Hein erklärt dem Tibago-Team die Spielregeln und verweist darauf, dass Startups in der "Höhle der Löwen" jeweils völlig transparent und offen informieren – immerhin geht's ja um beträchtliche Investitionen und auch um ein persönliches Engagement der Investorinnen und Investoren für das FinTech.

Tobias Reichmuth verlangt, bereits sichtlich genervt, die konkreten Umsatzzahlen für 2018, 2019 und 2020, um die Umsatzentwicklung beurteilen zu können – der Investor beisst erneut auf Granit.

Tilbago: "Das ist auch vertraulich, wir haben Break-Even..."

Reaktion der Investoren: Die inzwischen verärgerten Investoren fallen dem Tilbago-Team ins Wort und weisen darauf hin, dass nicht alles vertraulich sein darf, wenn Kapital gesprochen werden soll, da wäre eben Transparenz gefragt.

Darauf gehen die Tilbago-Macher überhaupt nicht ein, sondern zählen etwas hilflos einfach nochmals die Vorzüge ihrer Applikation auf, die für ein Investment der Löwen hervorragend geeignet wäre.

Die hohe Bewertung
Die Frage von Bettina Hein nach der Grundlage für die hohe Bewertung wird von Tilbago mit dem Hinweis beantwortet, dass die Postfinance eine Venture Capital-Bewertung gemacht hätte, aufgrund der Vergangenheit (die von Tilbago verteidigt und in keiner Weise beziffert und offengelegt wird) und aufgrund der Zukunftsprognosen, die mit einem Mittelwert von 23 Millionen angegeben wird. Diesem Mittelwert, berechnet von einem bereits bestehenden Investor, müssten die Löwinnen und Löwen jetzt einfach blind vertrauen, Zahlen zur Überprüfung und eigenen Einschätzung sind nicht zu bekommen.

Die Gründer holen Anlauf und trumpfen mit dem ultimativen Lockstoff auf, der neue Investoren ohne Informationen und ohne Zahlen motivieren könnte:

Tilbago: "Wir haben schon einen deutlichen Discount hier gemacht, um das attraktiver zu machen"

Reaktion der Investoren: Die Begeisterung über den Discount hält sich in engen Grenzen, weil ohne Kenntnisse der konkreten Zahlen und Entwicklung auch ein deutlicher Discount weder eingeordnet noch bewertet werden kann. 

Die Beteiligung der Postfinance
Der letzte Versuch und das Bemühen um Klarheit der wohl genervten und verärgerten, aber immer noch erstaunlich geduldigen Investoren, wird auch im Finale abgewürgt.

Bettina Hein: "Wie viel hat Postfinance investiert?"

Tilbago: "Die hat eine Minderheitsbeteiliung"

Bettina Hein: Aha..., ja, aber wie viel Geld?

Tilbago: "Aber das ist natürlich auch vertraulich"

Eine völlig entnervte Bettina Hein wirft das Handtuch und spätestens hier hat's ein Startup geschafft, restlos alle Investoren gegen sich aufzubringen und zu verärgern.

Fazit

Wie gesagt, der Fall ist exemplarisch dafür, wie sich Startups in Gesprächen mit Investoren und insbesondere in der "Höhle der Löwen" niemals verhalten sollten. Unser Artikel will nicht den Machern von Tilbago ans Schienbein treten – wobei wir, mit Verlaub, auch hier davon ausgehen, dass die Schienbeine ähnlich unempfindlich sind, wie die Sensibilität im Umgang mit Investoren in keiner Weise vorhanden ist. Das Beispiel kann jedoch nächsten Startups in der "Höhle der Löwen" anschaulich vor Augen führen, wie Investorengespräche keinesfalls verlaufen dürfen. 

Kein Investor wird Geld in ein Unternehmen investieren, das Entwicklung, Zahlen und Beteiligungen zur Geheimsache erklärt und keinerlei Bereitschaft zeigt, das eigene Startup für mögliche Kapitalgeber transparent, einschätzbar und interessant zu machen. Es geht um Investitionen, Risiken und Renditen, da ist für Geheimniskrämerei und Wundertüten-Startups schlicht kein Raum.

Tilbago sagt im Kern: Investiert bitte eine halbe Million blind in unser Unternehmen, glaubt der Bewertung eines bereits bestehenden Investors mit unbekannten Anteilen und erheblichem Einluss, kümmert euch nicht um Zahlen, die bleiben unter Verschluss und werdet fröhlich mit einer minimalen Beteiligung von 3.5 Prozent, die euch wenig Spielraum, Mitgestaltung und Mitspracherecht einräumt.

Ob die Macher von Tilbago tatsächlich einen neuen Investor an Land ziehen wollten oder ob nur gerade die mediale Wirkung im TV im Vordergrund stand, mag ein Geheimnis bleiben. Eines haben die Protagonisten geschafft, sie werden den Investoren und auch den Zuschauerinnen und Zuschauern in Erinnerung bleiben. Eine abschliessende und zusammenfassende Bewertung unserer Redaktion:

Präsentation des Unternehmens: Gut gemacht, klar und auf dem Punkt.

Umgang mit Investoren und Transparenz: In jeder Beziehung eine jammervolle Darbietung.

Die Rolle der Löwinnen und Investoren: Interessiert, erstaunlich geduldig, mehrmals bemüht, doch noch zu einem Dialog auf Augenhöhe zu kommen. 

Platzkartenhinweis: Der Auftritt von Tilbago ist auch insofern ärgerlich, als in der Schweiz zahlreiche Startups und FinTechs mit interessanten Geschäftsmodellen sehr gerne ihr Unternehmen den Investoren und auch der Öffentlichkeit offen und transparent vorstellen würden – so gesehen ist in der aktuellen Staffel ein Platz verschenkt worden, der einem anderen Startup nicht mehr zur Verfügung steht.

Die Investorinnen und Investoren in der "Höhle der Löwen" Schweiz sind geduldiger und freundlicher als ihre Kolleginnen und Kollegen in der deutschen oder in der amerikanischen Ausgabe – in beiden Formaten fliegen nicht kooperative Teams sehr viel schneller raus. In Deutschland spätestens in der Halbzeit, in den USA gnadenlos bereits im ersten Drittel der geplanten Sendezeit.