FinTechs & Nachhaltigkeit

Disruption durch die Hintertüre: Wenn FinTechs Expertinnen mit nachhaltigen Zielen in den Vorstand von Grosskonzernen hieven

Prof. Dr. Susan Shaheen, Mobilitätsexpertin, University of California, Berkeley
Prof. Dr. Susan Shaheen, Mobilitätsexpertin, University of California, Berkeley (Bild: Inyova)

Ob der geplante Coup von Inyova bei BMW gelingt, steht in den Sternen – Konzerne werden sich jedoch vermehrt mit dem Phänomen Active Ownership befassen müssen.

Das FinTech Inyova will über Geldanlagen eine nachhaltigere Welt schaffen. Hinken zahlreiche Finanzinstitute ihren grünen Bestrebungen und Nachhaltigkeitsversprechen in der Praxis zum Teil noch etwas hinterher, verfolgt das Zürcher FinTech den Ansatz von Impact Investing für private Anlegerinnen und Anleger seit 2019 sehr konsequent. Und auch erfolgreich.

Das Team um den umtriebigen Co-Gründer und CEO Tillmann Lang öffnet nun eine neue Schiene, um die Welt noch ein bisschen grüner und nachhaltiger zu machen: Active Ownership. Diese Form der aktiven Beteiligung meint im Kern, dass Aktionäre nicht nur in Wertpapiere investieren, sondern als Eigentümer ihre Stimmrechte aktiv nutzen, um den Kurs von Unternehmen zu beeinflussen und mitzubestimmen.

Wird BMW zum Blackberry der Automobilindustrie?

Ohne Kurswechsel besteht diese Gefahr, meint Tillmann Lang, und führt das Beispiel von Blackberry mit folgenden Worten aus:

«Firmen wie Blackberry haben in Zeiten mit guten Umsätzen die fundamentalen Änderungen im Markt ignoriert und damit den Anschluss an die Konkurrenz verpasst, bis sie in der Bedeutungslosigkeit verschwanden»

Und was hat der Niedergang von Blackberry mit BMW zu tun? Die Vergleichbarkeit zu BMW sieht Lang darin, dass der Automobilkonzern sich zum Teil noch auf Technologien verlassen würde, die inmitten einer sich beschleunigenden Klimakrise und eines notwendigen Mobilitätswandels ein hohes Veraltungspotenzial hätten. 70 Prozent der von BMW 2021 verkauften E-Autos, so Lang, sind mit Plug-in-Hybrid-E (PHEV) ausgestattet. Eine kostenintensive und wenig zukunftsorientierte Technologie, da sie Verbrennungsmotor, Elektromotor und Batterie parallel benötigt.

Wer sich intern nicht bewegt, wird durch Einwirkungen von aussen bewegt

Die Strategie der neuen Bewegung von aussen verfolgt Lang über den Plan, dem Konzern eine Mobilitätsexpertin in den Aufsichtsrat zu setzen, welche in Sachen Technologie und Klima grüner und nachhaltiger denkt als BMW. 

Die Investing-Plattform von Inyova verwaltet unter anderen die die Portfolios von 2'000 Aktionären und Aktionärinnen der BMW AG. Auf der Hauptversammlung der BMW AG am 11. Mai 2022 schlägt das Unternehmen Prof. Dr. Susan Shaheen als neues Verwaltungsratsmitglied vor. Lang zur Begründung für den Kandidatenvorschlag:

BMW ist weltweit für seine Ingenieurskunst bekannt – aber das Unternehmen läuft im Vergleich zu anderen deutschen Automobilherstellern Gefahr, den Anschluss bei der E-Mobilität zu verlieren

Der Inyova-CEO ist der Meinung, dass Aktionärinnen und Aktionäre Verantwortung übernehmen müssen (und wollen), deshalb will Inyova die Mobilitätsexpertin für BMWs Aussichtsrat nominieren.

Zuvor war Inyova in den Dialog mit BMW getreten und hatte in einer Analyse offengelegt, wo aus ihrer Sicht Probleme liegen. Ein Kernproblem sieht Lang jedoch im Aufsichtsrat selbst, wo in seiner Betrachtung wenig Diversität und insgesamt womöglich zu wenig spezifische Expertise für neue Mobilitätskonzepte erkennbar wären. Auch hier sieht Inyova Handlungsbedarf: Mit der Nominierung von Susan Shaheen würde der Verwaltungsrat nicht nur eine weitreichende Expertise erhalten, sondern auch hinsichtlich Frauen-Anteil, Alter, Internationalität und Zugang zu einem wichtigen Markt an Diversität dazugewinnen.

Die Analyse und die Vorschläge von Inyova scheinen beim Automobilkonzern auf wenig Gegenliebe gestossen zu sein, BMW will am bisherigen Aufsichtsrats-Mitglied und seiner Wiederwahl festhalten.

Wer ist Prof. Dr. Susan Shaheen?

Die Mobilitätsexpertin, welche Inyova in den Aufsichtsrat von BMW hieven will, ist Forscherin an der renommierten University of California, Berkeley. Sie gilt als führende Expertin und Vordenkerin auf dem Gebiet der Mobilitätslösungen und der strategischen Anforderungen für die Transformation des Transportwesens. Die Intention von Inyova: Susan Shaheen soll die BMW AG mit datenbasiertem Wissen zu kritischen Technologien und Mobilitätslösungen unterstützen, die auf ihrer jahrzehntelangen Forschung mit führenden Mobilitätsunternehmen auf der ganzen Welt basieren. Dazu gehören zum Beispiel emissionsarme Antriebssysteme und Infrastruktur sowie innovative Geschäftsmodelle für Mobilitätsdienstleistungen.

Susan Shaheen kommentiert ihre Kandidatur mit folgendem Statement:

Ich sehe mit der Nominierung eine Chance, mein langjähriges Forschungswissen einzubringen – von Technologie über Politik, menschliches Verhalten bis hin zu nachhaltigem Verkehr

Zudem, ist Shaheen überzeugt, wird eine Kandidatin von privaten Anlegerinnen und Anlegern nominiert, ist das ein Gewinn für beide Seiten.

Der neue Ansatz von Active Ownership: die Wahrnehmung von Aktionärsrechten

Inyova will nach eigenen Aussagen mit dem Vorschlag von Shaheen für den Aufsichtsrat von BMW zeigen, wie partnerschaftliches und konstruktives Klima-Engagement aussehen kann. Kundinnen und Kunden von Inyova wären am langfristigen Erfolg von BMW interessiert, sowohl als gewinnberechtigte Anleger wie auch als der Nachhaltigkeit verpflichtete Bürgerinnen und Bürger.

Das FinTech vertritt die Haltung, dass die neue Generation von Anlegerinnen und Anlegern Verantwortung übernehmen will. Einer der Mechanismen, über den ihre Impact Investments auf Portfoliounternehmen Einfluss nehmen können, ist Active Ownership (aktive Beteiligung). Die aktive Teilhabe beruht dabei auf zwei zentralen Vorgängen: Im Dialog mit Unternehmen, die sich im Portfolio der Anleger befinden, soll der nachhaltige Wandel gemeinsam konstruktiv diskutiert werden. Beim Voting nehmen Aktionärinnen und Aktionäre ihre Stimmrechte auf der Hauptversammlung der Portfoliounternehmen wahr und beeinflussen damit direkt zentrale Entscheidungen.

Durch das Voting entscheiden Aktionäre unter anderem aktiv mit, wer in Verwaltungsräte gewählt wird oder wer sich zur Wahl stellt, wie Inyova nun am Beispiel der BMW AG deutlich macht. 

Diese aktuelle Initiative im Umfeld des Automobilkonzerns bezeichnet das FinTech selbst als ersten Schritt im kleinen Rahmen, mittelfristig soll die direkte Einlussnahme auf alle Portfoliounternehmen von Inyova möglich werden.

Der kleine Schritt vom nachhaltigen Investieren zur aktiven Mitbestimmung

Active Ownership in der Lesart und Ausprägung von Inyova könnte bald schon zu einer zusätzlichen Grösse werden, die zahlreiche Unternehmen und Konzerne beschäftigen wird. Nicht ausschliesslich getrieben vom Zürcher FinTech – mehrere europäische Handelsplattformen mit einem eher jüngeren Publikum erfüllen vermehrt und laufend die wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Investments. Was heute noch als Randerscheinung wahrgenommen wird, was es nicht ist, könnte sich bald schon zu einer spürbaren Massenbewegung auswachsen.

Der Schritt vom nachhaltigen Investieren zur aktiven Ausübung seiner Stimm- und Wahlrechte ist nur klein. Gerade bei jüngeren Kundengruppen und bei einer neuen Generation von Anlegerinnen und Anlegern, welche zwischen Investitionen und Engagement keine Trennlinien ziehen.

Moderne und diversifizierte Aufsichts- und VR-Gremien oder dynamische Management-Ebenen, welche am Puls der aktuellen Strömungen agieren, werden mit dieser Entwicklung keine Mühe haben, im Gegenteil. Schwierige Zeiten dürften dann allerdings für starre und unflexible Gremien anbrechen, welche ihre Pfründe verteidigen und ihre möglicherweise zu konservative Betrachtung von Fortschritt durchsetzen wollen.

So oder so, gut möglich, dass die aktuelle Disruption durch die Hintertüre bald ersetzt wird durch eine wachsende und deshalb spürbare Bewegung, welche den Vordereingang nimmt, um aktiv Einfluss und Mitbestimmungsrechte geltend zu machen.