Venture Capital & Börsengänge

Challenger-Bank Chime sammelt 750 Millionen US-Dollar ein und die Investoren planen ihren eigenen Zahltag

Ein Mann mit Turnschuhen steht auf einem Boden aus Geldscheinen
Bild: Jitalia17 | Getty Images

Wurde vor nicht allzu langer Zeit bei Summen über 100 Millionen ein mediales Fass aufgemacht, gibt's heute bei 750 Millionen nur noch ein Fässchen.

Das grosse mediale Fass wird erst dann wieder aufgemacht, wenn Chime an die Börse geht. Insider glauben zu wissen, dass ein Börsengang (IPO) eher bald kommen wird.

Was Chime zu einem interessanten IPO-Kandidaten macht

Das US-FinTech Chime ist die Challenger-Bank, die in Sachen Wachstum und Bewertung mit Flügeln unterwegs ist. Vor acht Jahren gegründet, dominiert Chime heute den Markt der Challenger-Banken in den USA. Das FinTech hat bis Anfang 2020 regelmässig Nutzerzahlen kommuniziert, leztmals waren das 8 Millionen, seither herrscht seltsamerweise Schweigen zur weiteren Entwicklung.

Aktuelle externen Studien schätzen die Zahl Anfang 2021 bei deutlich über 12 Millionen Nutzerinnen und Nutzern liegen. Damit hätte Chime einen Riesenvorsprung vor allen anderen Challenger-Banken in den USA. Das FinTech bietet gebührenfreies Banking, Kontoüberziehung ohne Gebühren und eine Palette smarter Funktionen rund Geld und Banking. 

Chime hat während der Corona-Pandemie grosse Sprünge gemacht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das FinTech in die Verteilung der Hilfszahlungen der US-Regierung an die Bevölkerung involviert war. Die Zuwachsraten scheinen weiterhin konstant hoch zu bleiben – im ersten Halbjahr 2021 entfallen von insgesamt 16.3 Millionen Downloads der zehn grössten Banking Apps in den USA 6.4 Millionen allein auf Chime (Quelle: Apptopia). Das zweitplatzierte FinTech kommt "nur" gerade auf 2.7 Millionen Downloads, Plätze 3 und 4 liegen unterhalb von 2 Millionen. Die europäischen Herausforderer liegen noch weit zurück, N26 auf Platz 10 kommt auf 170'000 Downloads, Revolut figuriert mit dem 11. Platz nicht in den Top 10.

Die Bewertung als Vorbereitung und als Treibstoff für ein IPO

Anfang 2019 war Chime noch mit 1.5 Milliarden Dollar bewertet, im Oktober 2020 bereits mit zehn Milliarden, nach der aktuellen Finanzierungsrunde von 750 Millionen wird die Bewertung mit 25 Milliarden US-Dollar angegeben.

Der obligate Vergleich mit etablierten Banken bleibt auch diesmal nicht aus – Chime soll nun etwa so viel wert sein wie die Deutsche Bank. Diese direkten Vergleiche hinken generell, weil die Kriterien zur Bewertung einer Deutschen Bank und einer Challenger-Bank wie Chime völlig unterschiedlich und deshalb schlicht nicht vergleichbar sind.

Diese hohe Bewertung und auch die Vergleiche mit etablierten Finanzinstituten sind jedoch Teil der vorgezogenen Lockstoffe für einen bevorstehenden Börsengang.

Mega-Finanzierungsrunden gehören heute zum Drehbuch eines IPOs

Zum einen ist schon länger und auch aktuell sehr viel Geld vorhanden, das angelegt werden muss. Zum anderen führt jede Mega-Finanzierungsrunde zu einer noch fantastischeren Post-Money-Bewertung von FinTechs, die oftmals noch meilenweit davon entfernt sind, rentabel zu geschäften. Bewertungen, die etablierte Finanzinstitute vor Neid erblassen lassen könnten. Der Neid ist jedoch unbegründet, weil die Bewertungsgrundlagen nicht vergleichbar sind. Details zum Thema der fantastischen Bewertungen hat MoneyToday.ch mehrfach schon ausgeführt, zum Beispiel hier

Zu den Hauptinvestoren der aktuellen Finanzierungsrunde der Challenger-Bank Chime gehören SoftBank, Sequoia Capital Global Equities, General Atlantic, Tiger Global und Dragoneer Investment Group. Diese und weitere Risikokapitalgeber, auch von anderen FinTechs, wissen, was sie tun. Sie bereiten ihren Zahltag vor, den Börsengang ihres hoch finanzierten Schützlings.

Arbeiten FinTechs zum Zeitpunkt eines IPO bereits rentabel, was oftmals nicht der Fall ist, fällt es etwas leichter, Hoffnungen und Fantasien von einigen wenigen Gross-Investoren auf sehr viele kleinere Investoren zu übertragen. Ist das FinTech noch am Skalieren, Investieren und erst unterwegs zum Break Even, bedeutet das für ein IPO weder Bein- noch Genickbruch. Hohe Bewertungen und gut orchestrierte Zukunftsmusik werden mithelfen, das zu diesem Zeitpunkt medial gehypte FinTech gut im Markt und an der Börse zu platzieren.

Mit eine Rolle spielt mittel- und längerfristig die Tatsache, dass seit der Corona-Pandemie Millionen von Neu-Investorinnen und Kleinanlegern die Börse für sich entdeckt haben. Ein neues Heer von Anlegerinnen und Anlegern, die aktiv, direkt und eigenverantwortlich investieren, um ihr Geld vor Minuszinsen, Inflation und anderen wertvernichtenden Entwicklungen zu schützen.

Ist der Markt der hochfinanzierten und höchstbewerteten FinTechs überhitzt?

Nicht unbedingt. Tatsache bleibt, es gibt eine Vielzahl interessanter FinTechs mit vielversprechenden Geschäftsmodellen. Tatsache ist jedoch auch, nicht alle dieser FinTechs werden geschürte Fantasien, Hoffnungen und hochfliegende Erwartungen erfüllen können.

Diese Fantasien werden bei einem Börsengang von wenigen Venture Capital-Unternehmen nach ihrem Zahltag an viele Anlegerinnen und Anleger gewissermassen delegiert und übertragen. Die Börsen funktionieren seit einiger schon, vor allem bei Tech-Unternehmen, ein Stück weit abgekoppelt von der Realwirtschaft. An dieses Phänomen hat man sich inzwischen jedoch gewöhnt, es wird selten bis gar nicht infrage gestellt. 

Bleibt ein Unternehmen, mehr oder weniger unabhängig von den erwirtschafteten Resultaten, im Bewusstsein der Börsengemeinde dynamisch, cool, hip und was auch immer, werden Fantasien und Hoffnungen nicht vorschnell sterben. Das FinTech kann ein begehrtes Investment bleiben. Je nach Unternehmen kann das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger in viel, wenig oder sogar in nichts, das Karussell am Drehen halten.

Die Höhe der Venture Capital-Investitionen steigt weiterhin

Weshalb die aktuelle Chime-Finanzierungsrunde von 750 Millionen US-Dollar bestenfalls eine temperierte Berichterstattung, aber kein mediales Beben auslöst, erklärt sich durch die laufende Entwicklung. An gigantische Investitionen und an fantastische Bewertungen hat man sich inzwischen gewöhnt – Alltag und Gewohntes schreiben keine Schlagzeilen.

Das schwedische FinTech Klarna hat im März 2021 eine Milliarde US-Dollar eingesammelt und ist danach mit 31 Milliarden Dollar bewertet worden. Kurze drei Monate später hat Klarna weitere 639 Millionen erhalten, was zu einer Post-Money-Bewertung von 45.6 Milliarden Dollar geführt hat. In derselben Reihe der Mega-Finanzierungsrunden der letzten Wochen und Monate stehen Wefox mit 650 Millionen, der deutsche Neo-Broker Trade Republic mit 900 Millionen oder auch Revolut mit 800 Millionen US-Dollar. 

Diese und weitere Beispiele spiegeln sich im Vergleich der FinTech-Finanzierungen 1. Halbjahr 2020 und 2021. Die erstaunlichen Veränderungen auf einen Blick:

Dass praktisch alle der oben angeführten (und auch der nicht explizit genannten) FinTechs mit hohen Bewertungen ihren Börsengang angekündigt haben oder zumindest in Aussicht stellen, ist nicht überraschend. Für die Gründerinnen und Gründer ist ein IPO der verdiente Exit oder der Unterschied zwischen hoher Bewertung ihrer Unternehmensanteile und realem Kapital auf dem eigenen Konto. Für Venture Capital-Unternehmen ist ein IPO Zahltag und die Abgeltung für eingegangene Risiken.

Danach übernimmt die Börsengemeinde. Der Deal ist fair. Die einen haben ein FinTech-Unternehmen aufgebaut, finanziert und gross gemacht, mit oder ohne Gewinne, die anderen haben die Wahl, in wie viel Realität oder Fantasie sie investieren möchten.