Negativzinsen

Warum Negativzinsen für Banken zum Abwanderungs-Torpedo werden können

Junge Frau am PC, die sich ärgert
Bild: fizkes | Getty Images

Eine Studie zeigt, was Kundinnen und Kunden ganz konkret unternehmen, wenn die Bank ihr Konto mit Negativzinsen belasten will.

Negativzinsen gehören zum omnipräsenten Thema, zumal auch Schweizer Banken laufend ihre Limiten für die Strafzinsen bei Privat- und Sparkonten senken. Was die Bilanz der Bank stärkt, stösst Kundinnen und Kunden oftmals sauer auf. Verständlicherweise, immerhin hat man bis vor wenigen Jahren die seit Generationen gültigen Spielregeln praktiziert: Sparen ist sinnvoll und euer Geld ist auf der Bank willkommen.

Die emotionale Seite der Negativzinsen

Belasten Banken ihren Kundinnen und Kunden Negativzinsen, schwindet nicht nur das Vermögen, der Paradigmenwechsel hat auch emotionale Seiten. Das Vertrauen in "meine" Bank bekommt Risse, wenn der bisherige Partner neu als Gegner empfunden wird. Statt Zinsen und ein Dankeschön gibt's jetzt Abzüge. Kunden interessieren sich nicht für die Sorgen und Nöte ihrer Bank, sie nehmen die Belastung von Negativzinsen als Strafzinsen wahr. Und sie sind es sich nicht gewohnt, als Kunden bestraft zu werden.

Dazu kommt, dass zahlreiche Banken ihren Kunden das Gefühl geben oder sogar klar kommunizieren: Auf Kunden, die bei uns nur ihr Geld parkieren wollen, können wir verzichten. Je nach Generation wird diese harsche Botschaft schlicht nicht verstanden. Und wenn sie verstanden wird, kommt sie dennoch nicht gut an. Was jahrelang willkommen war, ist es heute nicht mehr. Der Kunde hat sein Verhalten und seine Haltung nicht geändert, seine Bank aber schon. Die Message: "Investiere dein Bargeld in unsere Anlagelösungen, dann darfst du bleiben und wir sind wieder Freunde", vermag die angekratzte Beziehung nicht zu retten. Oftmals im Gegenteil, sie kann die Abwanderung beschleunigen.

Der Wechsel von Sparzinsen über Nullzinsen zu Strafzinsen löst Reaktionen aus – welche genau hat der Vergleichsdiest Moneyland zusammengestelt, als Resultat einer repräsentativen Befragung von 1'500 Schweizerinnen und Schweizern. Die Befragten wählten aus 13 verschiedenen Möglichkeiten, wie sie auf Negativzinsen reagiert haben oder reagieren würden, wenn sie in Zukunft davon betroffen wären. Mehrfachnennungen innerhalb der 13 Punkte waren möglich.

So reagieren Kundinnen und Kunden von Banken auf Negativzinsen

Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung (61 Prozent) gibt an, dass sie im Fall von Negativzinsen einen Teil des Geldes bei einer anderen Bank deponieren würde, sodass die Schwelle für Negativzinsen nicht überschritten wird. Das ist nicht unbedingt überraschend, weil diese Reaktion als naheliegender "Fluchtversuch" gewertet werden kann.

Erstaunlicher ist die inzwischen hohe Quote, welche offenbar bereit ist, Strafzinsen ebenfalls mit Strafmassnahmen zu beantworten: Mehr als die Hälfte (51 Prozent) würde wegen Negativzinsen auch die Kündigung des Kontos in Betracht ziehen – oder als aktuell Betroffene haben sie das bereits getan. Die Kündigung der gesamten Bankbeziehung gehört mit 37 Prozent ebenfalls zu den meistgenannten Massnahmen.

Welche Massnahmen ergreift die Bevölkerung bei Negativzinsen?

Massnahme bei Negativzinsen

Schweiz

Informieren auf Vergleichsdiensten

61%

Teiltransfer zu anderer Bank

61%

Kündigung des Kontos

51%

Einzahlung in Säule 3a

44%

Kündigung der gesamten Bankbeziehung

37%

Investition in Immobilien

34%

Investition in Anlagelösungen der eigenen Bank

28%

Investition in Wertschriften der eigenen Bank

28%

Geld im Schliessfach deponieren

25%

Investition in Wertschriften bei einer anderen Bank

25%

Geld zu Hause deponieren

23%

Investition in Gold

22%

Investition in Kryptowährungen

14%

Interessant am Rande: Das Klischee der Banknoten unter der Matratze scheint nicht völlig überholt zu sein, immerhin sind 23 Prozent der Befragten bereit, ihr Geld zu Hause zu deponieren. Es muss ja nicht unbedingt die Matratze sein, aber erstaunlich bleibt, dass fast ein Viertel der Bankkunden die Risiken der Aufbewahrung zu Hause auf sich zu nehmen würde, um Negativzinsen zu entgehen.

Wer ist bereit, sein Geld zu investieren – und vor allem: Wo und bei wem?

Grundsätzlich scheuen sich Schweizerinnen und Schweizer, die von Negativzinsen betroffen sind, auch nicht vor Investitionen: Rund 56 Prozent der Befragten nennen mindestens eine Anlageform (Immobilien, Anlagelösungen, Wertschriften, Gold, Kryptowährungen) als für sie denkbare Massnahme gegen Negativzinsen.

Auf den ersten Blick dürfte diese Investitionsfreude Banken erfreuen, zumal Finanzinstitute mit der Einführung von Negativzinsen ja auch Anreize schaffen, um ihre Kunden zu Investitionen in ihre Anlagelösungen zu bewegen.

Auf den zweiten Blick droht jedoch die Konsequenz, dass enttäuschte oder verärgerte Kunden abwandern und ihr Geld anderswo investieren. Mit jeweils 28 Prozent bleibt der Anteil der Kunden, die in Anlagelösungen oder Wertschriften der eigenen Bank investieren wollen, eher überschaubar. Dasselbe gilt für Kunden, die Investitionen bei einer anderen Bank in Betracht ziehen, das fassen nur 25 Prozent ins Auge.

Der Geschäftsführer von Moneyland, Benjamin Manz, empfiehlt zudem auch unverblümt:

«Wer von Negativzinsen auf dem Konto betroffen ist, sollte sich zuerst informieren, bevor er oder sie einen Teil des Gelds bei der Bank in Anlagelösungen investiert», sagt Manz. «Häufig gibt es günstigere Anlagelösungen als bei der Hausbank – vergleichen lohnt sich.»

Dieser Empfehlung scheinen viele Kunden zu folgen – in den letzten Jahren haben zahlreiche neue Anbieter ein Terrain geschaffen, auf dem diese Kunden auch fündig werden.

Negativzinsen könnten sich zum Abwanderungs-Torpedo entwickeln

Gut möglich, dass der Schuss mit den weiterbelasteten Negativzinsen für Banken mittelfristig kräftig nach hinten losgehen kann. Zahlreiche Neo-Broker und FinTechs mit interessanten Angeboten sind bereit – und sie bieten ihren neuen Kunden die Anlagemöglichkeiten und Services zu Gebühren zwischen tief und kostenlos an.

Wie MoneyToday.ch schon mehrfach berichtet hat, zum Beispiel hier, sind Online-Plattformen für Aktien- und Kryptohandel am Boomen. Das hat verschiedene Gründe, das Ausbleiben von Zinserträgen auf dem Konto ist nur einer davon. Werden ausbleibende Zinserträge von Banken jedoch mehr und mehr ersetzt durch die Belastung von Minuszinsen, dürfte zusätzliche Bewegung in die Reihen von Bankkunden kommen. Kunden, die ebenfalls gerne direkt und eigenverantwortlich anlegen, das heisst: ohne Bank.  

Bankkunden, die bevorzugt in die Säule 3a investieren möchten, 44 Prozent aller Befragten, finden heute attraktive Angbote von FinTechs, die in den Gebühren weit unter den Lösungen von klassischen Banken liegen. Dasselbe gilt für eine inzwischen grosse Zahl von digitalen "Vermögensverwaltern" und Invest-Plattformen mit attraktiven Anlageplänen in ETFs. Das will sagen: Kundinnen und Kunden steht heute eine Vielzahl von Möglichkeiten offen, jenseits von klassischen Banken, die auf unterschiedliche Wünsche und auch Anleger-Temperamente ausgerichtet sind. 

Beim vielgepriesenen Vertrauensvorteil, von dem Banken profitieren, hat sich in den letzten Jahren auch einiges bewegt. Klassische Banken haben tendenziell verloren, FinTechs und auch Big Techs haben massiv zugelegt. Die Bereitschaft, Finanzdienstleistungen von Nicht-Banken zu beziehen, ist stark gewachsen und Entwicklungen rund um die Möglichkeiten von Embedded Finance dürften in den nächsten Jahren für klassische Finanzinstitute zu einer der grösseren Herausforderungen werden. Eine Herausforderung, die Banken wählbar als unbeteiligte Zuschauer oder als aktive Mitspieler beschäftigen wird.

Reagieren alle Kundensegmente gleich?

Unterschiede im Verhalten gibt's bei den Geschlechtern, den Altersgruppen und auch beim Vermögen. Männer reagieren öfter und stärker als Frauen. Jüngere Kundengruppen sind zurückhaltender, ältere eher rigoroser. Und auch bei den Kunden mit höherem Vermögen ist die Entschlossenheit grösser, mit verschiedenen Massnahmen den Negativzinsen zu entgehen.

Männer reagieren öfter

Proaktiv geben sich vor allem Männer: Sie nennen fast sämtliche Massnahmen überdurchschnittlich oft. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Überblick:

Männer ergreifen eher Massnahmen

Massnahme bei Negativzinsen

Männer

Frauen

Informieren auf Vergleichsdiensten

65%

58%

Teiltransfer zu anderer Bank

64%

57%

Kündigung des Kontos

55%

46%

Einzahlung in Säule 3a

44%

43%

Kündigung der gesamten Bankbeziehung

41%

34%

Investition in Immobilien

37%

31%

Investition in Anlagelösungen der eigenen Bank

33%

23%

Investition in Wertschriften bei der eigenen Bank

37%

20%

Geld im Schliessfach deponieren

26%

23%

Investition in Wertschriften bei einer anderen Bank

34%

17%

Geld zu Hause deponieren

24%

22%

Investition in Gold

28%

16%

Investition in Kryptowährungen

17%

11%

Junge Menschen kündigen weniger

Interessantes Ergebnis, weil eher erstaunlich: Wenn es um die Kündigung der Bankbeziehung geht, sind junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren besonders zurückhaltend. Zwar geben mehr als ein Viertel (27 Prozent) an, dass diese Massnahme in Frage kommt, das ist jedoch wesentlich weniger als der Durchschnitt über alle Altersgruppen (37 Prozent).

Unterschiede nach Alter

Massnahme bei Negativzinsen

18-25

26-49

50-74

Informieren auf Vergleichsdiensten

57%

61%

64%

Teiltransfer zu anderer Bank

52%

61%

64%

Kündigung des Kontos

42%

55%

48%

Einzahlung in Säule 3a

48%

52%

31%

Kündigung der gesamten Bankbeziehung

27%

42%

35%

Investition in Immobilien

31%

38%

30%

Investition in Anlagelösungen der eigenen Bank

23%

27%

31%

Investition in Wertschriften bei der eigenen Bank

28%

27%

30%

Geld im Schliessfach deponieren

17%

25%

28%

Investition in Wertschriften bei einer anderen Bank

25%

28%

22%

Geld zu Hause deponieren

23%

26%

20%

Investition in Gold

14%

23%

24%

Investition in Kryptowährungen

21%

17%

7%

Vermögende ergreifen eher Massnahmen

Negativzinsen betreffen in der Regel diejenigen Bankkunden, die ein grosses Vermögen besitzen. Das dürfte der Grund sein, warum besonders viele vermögende Personen Massnahmen ergreifen oder sie zumindest in Erwägung ziehen: Fast vier Fünftel (79 Prozent) der Befragten mit 300’000 Franken Vermögen oder mehr geben an, dass sie als Reaktion auf Negativzinsen einen Teil ihres Geldes zu einer anderen Bank verlegen würden oder bereits verlegt haben. Die Kündigung des Kontos (59 Prozent) oder der Bankbeziehung (44 Prozent) kommt für vermögende Menschen ebenfalls eher in Frage.

Massnahmen nach Vermögen

Massnahme bei Negativzinsen

bis 300'000 Franken

ab 300'000 Franken

Information auf Vergleichsdiensten

61%

74%

Teiltransfer zu anderer Bank

59%

79%

Kündigung des Kontos

51%

59%

Einzahlung in Säule 3a

46%

41%

Kündigung der gesamten Bankbeziehung

37%

44%

Investition in Immobilien

34%

43%

Investition in Anlagelösungen meiner Bank

27%

40%

Investition in Wertschriften bei meiner Bank

27%

48%

Geld im Schliessfach deponieren

25%

28%

Investition in Wertschriften bei einer anderen Bank

25%

41%

Geld zu Hause deponieren

25%

21%

Investition in Gold

23%

28%

Investition in Kryptowährungen

15%

14%

Ein guter Zeitpunkt für Banken, ihre Rolle zu überdenken

Negativzinsen werden Banken sowie deren Kundinnen und Kunden wahrscheinlich noch längere Zeit beschäftigen. Die Studie von Moneyland vermittelt interessante Einblicke, wie unterschiedliche Kundengruppen mit weiterbelasteten Negativzinsen umgehen.

Ein unsensibler Umgang im Zusammenhang mit Negativzinsen kann sich für Banken mittelfristig sehr negativ auswirken. Zumal verärgerte und verscheuchte Kunden kaum zurückkehren werden. Das Angebot an Bank-Alternativen ist in den letzten Jahren stark gewachsen und wird von Neo-Banken, Neo-Brokern und FinTechs in zahlreichen Sparten aktiv vorangetrieben und ausgebaut. Dazu kommen Embedded Finance-Entwicklungen und die Rolle von Big Techs, deren Appetit auf Dienstleistungen im Finanzbereich sichtbar grösser wird. Treiben klassische Banken einen Teil ihrer Kunden in die Arme der neuen Anbieter, bieten sich zwei Handlungs-Möglichkeiten an:

Banken werden innerhalb von Ökosystemen zu aktiven Vermittlern und erhalten Provisionen von den neuen Anbietern. Oder Banken öffnen neue Kanäle und werden selbst zu alternativen Anbietern, wie zum Beispiel die ZKB mit Frankly, die Credit Suisse mit CSX oder die Postfinance mit Yuh. 

Das eine wie das andere Modell hinterlässt weiterhin zufriedene Kunden, die nicht vertrieben, sondern mit Bedacht sensibel "umplatziert" werden, weil die Interessen der Bank nicht mehr mit jenen des Kunden zusammenpassen. Und die Bank bleibt an den Erträgen weiterhin beteiligt.

In Negativzinsen und der damit verbundenen Abwanderung von Kunden liegen auch Chancen. Allerdings nur dann, wenn klassische Banken ihre Rolle überdenken und als Teil von Ökosystemen neu organisieren.