Neo-Banken

Wo genau hat's jetzt gekracht, bei der BLKB oder bei Radicant?

Ausschnitt des Hauptsitzes der BLKB in Liestal
Bild: BLKB

Was ist wo und wann schiefgelaufen? Diese Fakten sind wichtig, um die hochgehenden Wellen um die Neo-Bank Radicant einordnen zu können.

Die personellen Veränderungen bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) haben ein mediales Erdbeben ausgelöst. Das ist nicht erstaunlich, es ist überraschend und dramatisch, wenn mit BLKB-CEO John Häfelfinger, Bankratspräsident Thomas Schneider und Radicant-VR-Präsident Marco Primavesi gleich drei Spitzenleute den Hut nehmen und demnächst von Bord gehen.

Dazu kommt eine Mega-Wertberichtigung von 105.5 Millionen Franken auf die Radicant Holding AG. Diese Holding ist das Ergebnis der Fusion der Neo-Bank Radicant und dem Treuhand-FinTech Numarics, die seit Ende 2024 als Radicant Bank AG und Radicant Business Services AG firmieren.

Die gelieferten Schlagzeilen sind allerdings etwas einseitig. Von "Radicant-Misserfolg", "Radicant-Fiasko", "Radicant-Desaster" und von "Bruchlandung" ist die Rede – damit ist jeweils die Neo-Bank gemeint, man scheint sich ziemlich einig zu sein.

Der Baselbieter Politik kommen die jüngsten Ereignisse wahrscheinlich nicht mal ungelegen. Diese hatte die ungeliebte BLKB-Tochter Radicant immer schon im Visier, operiert seit längerem auf Abschuss und fordert nun eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) "zur Aufklärung der Misere". 

Bei der Entwicklung der Idee und der Gründung der Neo-Bank Radicant gibt es für eine PUK möglicherweise tatsächlich einiges aufzuarbeiten. Nur genügt es nicht, nun unisono auf die Neo-Bank einzudreschen. Sie ist das Produkt einer Entwicklung, bei der zahlreiche Protagonisten an den Fäden gezogen, die teilweise nicht mehr an Bord sind. Weder bei der BLKB noch bei Radicant.

Die wechselvolle Geschichte der Neo-Bank Radicant

Das Konzept für die Neo-Bank Radicant ist von Co-Gründer und CEO Anders Bally und seinem Team seit April 2021 entwickelt worden. Bally setzte ausschliesslich auf die Karte der Nachhaltigkeit und hat das FinTech in Auftritt, Look und Angeboten extrem auf grün getrimmt. Dermassen grün, dass die tatsächlich erreichbare Kundengruppe schon vor dem Start auf überschaubare Grössenordnungen geschrumpft ist.

Als grösstem Hoffnungsträger im FinTech-Portfolio der BLKB wurde der Neo-Bank eine lange Vorlaufzeit eingeräumt, der Start wurde mehrmals verschoben. Die BLKB operierte mit hohem Kapitaleinsatz für ihre Tochter, letztlich um die 100 Millionen, zumal die Neo-Bank mit einer Banklizenz starten wollte.

Konzept-Architekt Bally hat den Start seiner Neo-Bank nicht persönlich miterlebt, er wurde im Februar 2023 gefeuert. Allerdings nicht, weil er "Baselbieter Politiker als Hinterwäldler" bezeichnet hätte, wie die Basler Presse schreibt, Bally hatte schlicht darauf hingewiesen, dass vor allem ältere Politiker zuweilen Mühe bekunden, disruptive Aspekte von FinTechs zu verstehen. Das wurde von der empörten Politik als Majestätsbeleidung empfunden und Bally war weg. Kurz vor dem geplanten Start.

Zwei Interims-CEOs aus den Radicant-Reihen mussten übernehmen und nach einigen Umwegen und Startschwierigkeiten wurde im Sommer 2023 die erste richtig grüne Bank in den Markt gestellt. Für die grosse Masse war Radicant offenbar zu grün. Der Start war holprig und es zeichnete sich ab, dass der übertrieben forcierte Nachhaltigkeits-Kurs nicht zu den gewünschten Kundenzahlen führen würde.

Fazit: Grosse Investionen, grosse Teams, lange Vorlaufzeit und Start mit einem Konzept, das nicht den Marktbedürfnissen entsprochen hat.

Neuer CEO und drastischer Wechsel der Strategie

Mit Anton Stadelmann hat Ende 2023 ein neuer CEO auf dem heissen Chefsessel von Radicant Platz genommen. Ein CEO mit Startup- und FinTech-Erfahrung, der auch bei Twint markante Zeichen gesetzt hat. Zu einer Zeit, in der schwierigen und heissen Phase, als Twint im medialen Gegenwind stand und als "kostspieliges Millionengrab" abqualifiziert und ohne Chance auf Erfolg abgeschrieben wurde.

Stadelmann war knapp fünf Jahre lang Deputy CEO von Twint. Als Chief Customer Officer hat er Innovationen vorangetrieben und an der Erfolgsgeschichte von Twint massgeblich mitgeschrieben. Das "kostspielige Millionengrab" ist zu einer der grössten Erfolgsgeschichten der Schweizer FinTech-Szene geworden, die Bezahl-App mit Lifestyle-Charakter dominiert heute den Markt.

Stadelmann hat nach seinem Antritt als CEO einen rigorosen Strategiewechsel durchgezogen und Radicant völlig neu und anders positioniert. Das ultragrüne und schwerblütige Invest-FinTech ist zu einem Unternehmen geworden, das als dynamische Neo-Bank wahrgenommen wird. Nachhaltig investieren gehört mit dazu, aber ohne jede Aufdringlichkeit.

Was hat die Neo-Bank Radicant seit dem Strategiewechsel erreicht?

Zahlreiche neue Features, zusätzliche Produkte und ein aggressives Pricing haben die Neo-Bank ins Blickfeld breiter Kundengruppen gerückt. Radicant wurde 2024 Kassensturz-Testsiegerin beim Kostenvergleich von Debit- und Kreditkarten (Profil Ausland). Der Vergleichsdienst Moneyland hat Radicant beim Vergleich von Konto und Karten 2024 und 2025 auf den Spitzenplatz sämtlicher Neo-Banken gesetzt.  

Ausgehend von einem sehr tiefen Level weist Radicant Ende Juni nun 18'000 Kundinnen und Kunden aus. Eine verstärkte Wachstumsdynamik war insbesondere im zweiten Quartal 2025 zu beobachten. Ein Indikator dafür, dass das neue Konzept greift und das Wachstum sich beschleunigt. Zudem kann die Neo-Bank mit starker Ausrichtung auf Investbereiche offenbar auch vom schwächeren Zinsumfeld profitieren.

Wir haben nachgefragt: Was kommt als Nächstes?

Die Neo-Bank verbreitert ihre Angebots-Palette und zielt auf neue Kundensegmente wie KMU. Dabei kommen insbesondere die Produkte-Features der ehemaligen Numarics zum Tragen. 

Das KMU-Konto ist auf Kurs, Go-Live der neuen App soll bis Ende Jahr über die Bühne gehen.

Im August wird die Docubox für private Kunden live gehen. Nutzerinnen und Nutzer können jede Art von Dokumenten in ihrer Docubox speichern, kategorisieren und jederzeit griffbereit aufbewahren. Rechnungen können direkt über die Docubox bezahlt werden. Ein vergleichbares Feature hat bisher keine andere Neo-Bank im Programm.

Mit diesen Neuerungen ist Radicant gut aufgestellt und überzeugt, in bestehenden und neuen Kundensegmenten stark wachsen zu können.

Wo genau hat's jetzt gekracht, bei der BLKB oder bei Radicant?

Die Einordnung der aktuellen Ereignisse bedingt eine rückwärtsgerichtete und eine vorwärtsgerichtete Betrachtung. 

Der Blick in die Vergangenheit offenbart neben Mut und Risikobereitschaft auch Fehleinschätzungen und Fehler. Das ist nicht ungewöhnlich bei Startups, in der Schweiz aber schwerer verzeihbar als im Ausland. Dazu gehören sehr hohe Investitionen, Anrichten mit (zu) grosser Kelle, zu hohe Erwartungen, Markteintritt mit einer schiffbruchverdächtigen Positionierung, Schlingerkurs und personelle Wechsel zur Unzeit.

Die gewaltige Wertberichtigung von 105.5 Millionen Franken dürfte ebenfalls auf Fehleinschätzungen beruhen. Die Fusion von Radicant und Numarics ist Ende 2024 vollzogen worden. Verzögerungen bei der Integration des Treuhandgeschäfts der Radicant Business Services AG (ehemalige Numarics) und unvorhergesehene Problemstellungen, die sich unter anderem in tieferen Kundenzahlen, geringeren Erträgen und höheren Kosten im Treuhandgeschäft niederschlagen, werden als Gründe angegeben.

Die Erwartungen an den Beitrag des physischen Treuhandgeschäfts zum Wachstum von Radicant hätten sich nicht erfüllt. Zudem hätten sich geplante Synergien zwischen der Radicant Bank AG und der Radicant Business Services AG ebenfalls nicht wie vorgesehen realisieren lassen.

Bringt die frühere Numarics offenbar nicht die erwartete Performance, erscheint eine Wertberichtigung in dieser Grössenordnung nach kurzen sechs Monaten dennoch sehr seltsam. Reicht ein halbes Jahr, um mehr als 100 Millionen an Wert und Erwartungen zu verbrennen? 

Der vorwärtsgerichtete Blick zeigt eine Neo-Bank, die sich in den gut eineinhalb Jahren unter der Ära Stadelmann völlig neu ausgerichtet hat und auch Erfolge vorweisen kann. Allerdings belastet durch die Hypothek der Ereignisse und deren Folgen aus dem rückwärtsgerichteten Blick. 

Diese Belastungen und offensichtlichen Fehler sind so weit wie möglich korrigiert worden, Tatsache aber ist: die gewaltigen Investitionen sind längst getätigt worden, Radicant bleibt dadurch ein hochpreisiges Investment. Zudem braucht die Neo-Bank etwas mehr Zeit, um sämtliche Fehler der Vergangenheit auszubügeln und in Ertragszonen zu kommen, die auch Investoren Freude machen.

Die von der Baselbieter Politik geforderte PUK könnte den verschiedenen Ursachen des aktuellen Knalls noch etwas auf den Grund gehen, dürfte jedoch etwas weitergedacht zu einem zusätzlichen Schluss kommen: Wird die ungeliebte Tochter der BLKB abgeschossen, sind auch die investierten 100 Millionen Franken weg.

Gibt man Radicant, die erst vor kurzer Zeit und unter neuer Führung den Weg zu einer interessanten und erfolgversprechenden Neo-Bank gefunden hat, eine Chance, eröffnen sich neue, ganz andere und möglicherweise spannendere Perspektiven.

Um aber die von uns schon im Titel aufgeworfene Frage final zu beantworten: Im aktuellen Fall hat's bei der BLKB gekracht, nicht bei der Neo-Bank Radicant.


Die Schweizer Neo-Banken-Landschaft im Überblick

Die Zusammenstellung der in der Schweiz aktiven Neo-Banken mit den jeweils zuletzt gemeldeten Nutzerzahlen vermittelt einen ungefähren Eindruck der aktuellen Grössenverhältnisse und Marktanteile.

Schweizer Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Alpian (F-ISPB) Oktober 2022 20'000 20'000
Kaspar& März 2022 7'000 7'000
Neon März 2019 237'000 237'000
Radicant (BLKB) August 2023 18'000 18'000
Yapeal Juli 2020 10'000 10'000
Yuh (Postfinance & Swissquote) Mai 2021 300'000 300'000
Zak (Bank Cler) März 2018 70'000 70'000
Aktive Schweizer Apps: 7      
       
Ausländische Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
N26 Schweiz 2019 8 Millionen keine Angaben
Revolut Schweiz 2017 60 Millionen 1'000'000
Wise März 2010 16 Millionen keine Angaben
Aktive ausländische Apps: 3      
       
Neo-Banken Verticals Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Relio Oktober 2023 Angaben folgen Angaben folgen
Aktive Vertical Apps: 1      
       
Neo-Banken in Umwandlung      
CSX (Credit Suisse)
UBS plant keine eigenständige
Weiterführung der App
Wechselangebot an Kunden:
Key4 Banking Pure von UBS
Oktober 2020 400'000 400'000
Coop Finance+ (Coop)
Coop plant keine eigenständige
Weiterführung der App
Wechselangebot an Kunden:
Lila Set von Valiant
Oktober 2023 keine Angaben keine Angaben
       
Neo-Banken in Liquidation      
FlowBank
FINMA: Konkurs eröffnet am
13. Juni 2024
November 2020 keine Angaben keine Angaben
Swiss4
FINMA: Konkurs eröffnet am
4. März 2025
April 2024 keine Angaben keine Angaben

Hinweis der Redaktion: Neo-Banken, die ihre aktuellen Kundenzahlen nicht korrekt gespiegelt sehen, weil länger nicht kommuniziert, dürfen Letzteres jederzeit gerne nachholen, hier, damit Ersteres auf den neusten Stand gebracht werden kann.