InsurTechs

Warum die Autoversicherung mit kilometergenauer Abrechnung längst überfällig ist

Parkierte Autos von oben betrachtet
Bild: nonnie192 | Getty Images

Überholte Versicherungsprodukte bieten Raum für innovative, flexible und neue Lösungen von InsurTechs, die individuellen Lebensgewohnheiten Rechnung tragen.

Versicherungsgesellschaften sind nicht dafür bekannt, dass sie für ihre Kundinnen und Kunden Prämien sparen – das minimiert die Erträge der Versicherer. Solange die Versicherten bereit sind, (zu) hohe Prämien zu zahlen, sprudeln die Quellen weiter. InsurTechs sind hier aus naheliegenden Gründen etwas weiter: sie haben keine Vergangenheit zu verteidigen, sie bauen ihre Zukunft. 

Traditionelle Versicherer investieren zuweilen in InsurTechs, um in beiden Welten präsent zu sein. Besonders gewiefte Versicherer gestalten den Tanz auf mehreren Bühnen jedoch so, dass günstige InsurTech-Angebote die hochpreisigen klassischen Versicherungen nicht kannibalisieren. Ein Beispiel dafür ist die Baloise, die ihr InsurTech Friday seit Jahren in Deutschland mit neuen Versicherungs-Modellen zu tiefen Prämien den Markt aufmischen lässt, die günstigen Versicherungen von Friday jedoch tunlichst aus dem Markt Schweiz raushält. Wann wird sich das ändern?

Roberto Brunazzi, Head Group Media Relations bei der Baloise, hat uns auf Anfrage schon vor drei Jahren unverblümt den Wind aus den hoffnungsvoll geblähten Segeln genommen:

Zurzeit ist ein Ausbau in die Schweiz noch nicht geplant, kurzfristig sind andere europäische Märkte für eine Expansion interessanter

Verständlich, in anderen europäischen Ländern lässt sich neues Terrain erobern, in der Schweiz führen innovative InsurTech-Angebote mit tiefen Preisen zuerst einmal zu einem reduzierten Prämienvolumen. Möglicherweise aber auch zu neuen zufriedenen Kunden. Warum die Zurückhaltung bald schon dem Druck der wachsenden Konkurrenz weichen könnte, zeigt das Beispiel der Autoversicherung, die kilometergenau abrechnet und monatlich kündbar ist.

Die flexible Autoversicherung mit kilometergenauer Abrechnung in Deutschland

Ob jemand viel oder wenig Auto fährt, macht bei den Prämien für Autoversicherungen in der Schweiz praktisch keinen Unterschied. Das ist kein Überlegungsfehler, das ist vielmehr ein bewährtes Rezept, um die etwas pauschal ausgestalteten Prämien weiterhin hochzuhalten.

Das Baloise-InsurTech Friday propagiert in Deutschland seit längerem das Versicherungssparen mit kilometergenauer Abrechung. Auto versichern wird ab 1 Cent pro Kilometer angeboten. Das intelligente Versicherungsmodell folgt einer naheliegenden Überlegungen. Steht ein Auto meistens in der Garage oder regungslos auf Parkplätzen, wird es in dieser Zeit nicht in einen Unfall verwickelt, null Kilometer richten in der Regel keine Schäden an. Fährt eine Autolenkerin nur 3'000 Kilometer pro Jahr, ist ihr Schadensrisiko zehn Mal kleiner im Vergleich zu einem Vielfahrer mit 30'000 Kilometern.

Das Zahlen pro tatsächlich gefahrener Kilometer führt deshalb zu fairen Versicherungsprämien, welche die persönliche Nutzung eines Wagens und die damit verbundenen Risiken abbilden. Aus genannten Gründen ist dieses Modell aus Sicht der Versicherer in der Schweiz nicht allzu populär. Viel einträglicher ist es, in Pauschalen für alle zu denken und von (zu) hohen Kilometerleistungen auszugehen.

Das Versicherungs-Modell des Baloise-InsurTech Friday scheint in Deutschland sehr gut anzukommen – es spart Prämien und Kosten. Kundinnen und Kunden sind auf Basis ihrer geschätzten Kilometerleistung pro Jahr versichert. Fahren sie mehr, zahlen sie nach, fahren sie weniger, gibt's Geld zurück. Friday selbst bezeichnet dieses Modell als "eingebaute Fairness und Flexibilität" und ist damit gedanklich weiter als ihre Mutter Baloise.

Zudem und ebenfalls sehr kundenfreundlich: im Gegensatz zu Schweizer Policen mit möglichst langer Dauer, minimal ein Jahr, ist die Autoversicherung von Friday monatlich kündbar. Christoph Samwer, Mitgründer und CEO von Friday, zum Thema:

«Mit der kürzeren Kündigungsfrist wollen wir das gefühlte Risiko im Moment des Abschlusses von unseren Kunden nehmen. Wir ketten Kunden nicht an uns, sondern möchten mit einem guten Produkt und exzellentem Service überzeugen. Jemand, der seine Onlineeinkäufe nach 100 Tagen zurückschicken kann, versteht nicht, warum er sich bei seiner Autoversicherung für ein Jahr binden muss.»

Stimmt, das versteht keiner, ist aber in der Schweiz nach wie vor gelebte Praxis. Übrigens: die Hausratversicherungen von Friday sind sogar täglich kündbar. Auch da scheint ein InsurTech in die Kraft seiner Produkte zu vertrauen. Und die kundenzentrierte Ausrichtung zahlt sich offenbar aus.

Die flexible Autoversicherung mit kilometergenauer Abrechnung in der Schweiz

Mit MyWay springt die Zurich in die von der Baloise bisher offen gelassen Lücke. Das neue flexible Versicherungsprodukt funktioniert über eine überschaubare Grundgebühr, im Weiteren zahlen dann Versicherte nur noch pro gefahrene Kilometer. Die effektive Prämie wird monatlich neu berechnet. Wer einen Roadtrip plant, darf nach Aussagen der Zurich "cool bleiben", der Versicherer berechnet maximal 1'000 Kilometer pro Monat. Die Zurich ist dabei, ihr neues Versicherungsprodukt fit für die App zu machen, die dann Policen-Anpassungen, Schadensmeldungen und mehr übers Smartphone möglich machen soll. 

Eine weitere Pay-per-Kilometer-Versicherung gibt's von Simpego, die einer ähnlichen Rezeptur folgt wie das MyWay-Angebot der Zurich.

Einige Unterschiede zum Friday-Angebot sind weiterhin vorhanden. Zum Beispiel vertraut das InsurTech Friday seinen Kundinnen und Kunden, die dürfen die effektiv gefahrenen Kilometer online und ohne Belege melden. Zurich und Simpego wollen es "gemessen" wissen, die Ermittlung der Kilometer wird durch einen Adapter im Wagen der Kunden ermittelt. Weitere Unterschiede dürften sich im Laufe der Zeit glätten – spätestens dann, wenn Konsumentinnen und Konsumenten ihre Ansprüche nicht mehr für sich behalten, sondern ihren Versicherer fordern. Und den Anbieter wechseln, wenn ihr Wunschprodukt bei ihrem Versicherer nicht verfügbar ist. 

Viel Luft nach oben

Im Bereich der flexiblen Versicherungsprodukte, welche aktuellen Wünschen und unterschiedlichen Lebenssituationen von Konsumentinnen und Konsumenten Rechnung tragen, ist noch sehr viel Luft nach oben. Online abschliessbare Tagesversicherungen, kurze Laufzeiten und Kündigungsfristen, einfache und verständliche Versicherungsbedingungen in zahlreichen Sparten – Schweizerinnen und Schweizer sind bereit für innovative Produkte. Neue Lösungen dürfen von InsurTechs oder von klassischen Versicherern kommen – und auch von Versicherern, die InsurTechs für sich arbeiten lassen. Wichtig ist, dass verstärkt die Wünsche, Bedürfnisse und veränderte Lebensgewohnheiten von Versicherten im Zentrum stehen. Versicherungsprodukte von gestern hinken diesen Ansprüchen heute oftmals mehrere Schritte hinterher.