Wann ist eine Technologie zu gut für ein einziges FinTech?

Adriano Lucatelli, CEO bei Descartes
Adriano Lucatelli, CEO Descartes | Bild: Descartes

Möglicherweise dann, wenn sich mit der Technologie "As-a-Service" mehr verdienen lässt, als mit der alleinigen Nutzung durch die Entwickler.

FinTechs entwickeln Software, Apps oder Plattformen, um ihre Geschäftsmodelle in den Markt zu bringen. Banken mit Ambitionen tun das streckenweise auch, wenn sie neue Ideen testen oder zusätzliche Geschäftsfelder besetzen möchten.

Was mit Blut, Schweiss, Tränen und mit erheblichen Investitionen entstanden ist, steht in Zukunft im Zentrum des B2C-Geschäftsmodells und bringt das eigene Business voran. Ist die Entwicklung herausragend gut, kann sie möglicherweise auch anderen FinTechs und Finanzdienstleistern von Nutzen sein. 

Wird diese Überlegung konsequent zu Ende gedacht, öffnet sich für FinTechs im reinen B2C-Geschäft eine zweite Schiene im B2B-Bereich, der zusätzliche Erträge möglich macht. Immer vorausgesetzt, die Weitsicht ist grösser als die Angst, das Geschäft von Konkurrenten zu befeuern. 

As-a-Service-Modelle als zusätzliche Ertragskanäle

Fortschrittliche Banken behalten ihre Technologie nicht für sich alleine, sofern sie herausragend ist, sie schnüren Pakete in den Bereichen Banking as a Service (BasS), bieten Embedded-Finance-Lösungen oder öffnen ihre Plattformen (Banking as a Platform) und hauchen dadurch auf unterschiedliche Weise dem Begriff Open Finance Leben ein. Die Deutsche Bank ist bereits seit längerem auf diesen Pfaden unterwegs – und sie bleibt nicht allein auf weiter Flur.

Die Berliner Solaris zum Beispiel praktiziert BaaS als spezialisierte Anbieterin seit Jahren erfolgreich, indem sie Banking Services als White Label-Lösung zur Verfügung stellt. In Form von wählbaren Modulen, die FinTechs, Banken und Unternehmen in ihre eigenen Produkte und Umgebungen integrieren können. Regulatorik inklusive, dafür steht die Solaris mit ihrer Banklizenz.

In der Schweiz gehört die Hypothekarbank Lenzburg mit ihrer Finstar-Umgebung zu den Pionieren. Und auch mit einem Ökosystem, das zahlreichen Startups, FinTechs und Neo-Banken die benötigten Banking Services anbietet, die ohne Banklizenz nicht zu haben sind.

Im Bereich Aktien- und Kryptohandel ist seit einiger Zeit Bitpanda mit einer White-Label-Lösung am Start. Das österreichische FinTech stellt Dritten die eigene Technologie zur Verfügung, damit FinTechs und Neo-Banken schnell und ohne eigene Entwicklung mit einer Plattform starten zu können, die Nutzerinnen und Nutzern den Handel mit Aktien, Kryptowährungen, Rohstoffen oder Edelmetallen möglich macht.

Die Schweizer Neo-Bank Yapeal hat vor einiger Zeit ihre Strategie geändert und konzentriert sich in erster Linie auf den B2B-Bereich. Das FinTech ist die Neo-Bank mit der wahrscheinlich besten Software und herausragenden Tools – zu wertvoll, um die technologischen Schätze für sich allein zu behalten. Zudem und das dürfte mit dem Strategiewechsel zusammenhängen: zu Zeiten von Andy Waar als CMO waren Technologie und Marketing auf Augenhöhe positioniert und sichtbar, seit Waars Abgang ist Marketing praktisch nicht mehr existent – die Technologie jedoch schon.

Das Fintech Wise ist der Platzhirsch für internationale Überweisungen zu tiefen Gebühren. Seine Technologie-Plattform stellt Wise Dritten zur Verfügung, damit Banken und Neo-Banken schnelle und kostengünstige Überweisungen als Service direkt in ihre eigenen Produkte und Umgebungen integrieren können.

Diese Beispiel zeigen, dass in teilweise schon dicht besetzten Märkten mit Software und Technologie für B2B-Kunden möglicherweise deutlich mehr zu holen ist, als mit dem eigenen B2C-Business. Funktioniert das eine wie das andere, umso besser, dann kann sich mit der zusätzlichen B2B-Schiene ein attraktiver zusätzliche Umsatzgenerator öffnen, der das eigene Kerngeschäft gewissermassen extern skaliert.

Investas nutzt die Technologie von Descartes

Die Berner Vermögensverwalterin Investas dockt für ihre Säule-3a-Lösungen an die Technologie-Plattform des Zürcher WealthTech-Unternehmens Descartes an. Dass Descartes einen weiteren Vermögensverwalter an Bord geholt hat, ist für das FinTech erfreulich, für unsere Redaktion aber weniger der springende Punkt.

Interessanter ist, dass auch Descartes zu den Schweizer FinTechs gehört, welche die Bedeutung von Open Finance für sich definiert haben und deshalb die eigene Technologie für das Vorsorgegeschäft als As-a-Service-Modell anbietet. Descartes-CEO Adriano Lucatelli bringt diese Erweiterung seines Kerngeschäfts gleich selbst auf den Punkt:

Unsere Strategie, beim Vorsorgegeschäft auch aufs B2B-Geschäft zu setzen, war richtig und entspricht einem Bedürfnis in der Schweizer Finanzwelt

Diese Strategie, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen, wird inzwischen von einer zunehmenden Zahl von FinTechs verfolgt. Im Inland wie auch im Ausland. Eine Strategie, die sich lohnen und langfristig grosse Früchte produzieren kann, sofern der Markt für die Technologie-Lösung nicht zu nischig ist. Durch Multiplikatoren und Skalierung bringt das B2B-Standbein langfristig möglicherweise sogar grössere Ernten, als das eigene B2C-Kerngeschäft jemals einfahren könnte.

Das kann dann funktionieren, wenn Technologie, Software, Plattform und Services extrem stark und ausgereift sind und auf höchstem Standard laufend gepflegt und weiterentwickelt werden. Dann tut sich für alle Involvierten eine Rechnung auf, die mindestens zwei Parteien fröhlich machen kann:

Newcomer, FinTechs und Finanzdienstleister als Kunden nutzen exzellente Lösungen und Services, die in Eigenentwicklung zu viel Kapital und Zeit beanspruchen würden. Die Anbieter der bestehenden Lösungen generieren laufend zusätzliche Umsätze mit ihrer Technologie und skalieren das zweite B2B-Standbein ihres Geschäftsmodells in interessante Dimensionen.