N26 fragt: Sind physische Bankkarten eine Notwendigkeit oder ein nettes Extra?

Grafik mit der Smartphone-Darstellung der Challenger-Bank N26
Grafik: N26

Die Challenger-Bank sagt: "Wir denken, du solltest das selbst entscheiden können". Gut gedacht, aber die Bank entscheidet gleich für ihre Kunden und streicht die Karte.

Seit einiger Zeit ist bei verschiedenen Challenger- und Neo-Banken die klare Tendenz zu beobachten, dass die kostenlosen Konten zunehmend unattraktiver ausgestaltet werden. Das funktioniert über einen Abbau der Leistungen, über die Eröhung der Gebühren – oder über beides.

Das ist nicht verwerflich, weil das bedingungslose Skalieren und schnelles Wachstum über kostenlose Leistungen auf Dauer für den Anbieter sehr teuer werden kann.

Die Frage stellt sich jedoch, wie Nutzer der Kostenlos-Konten in die bezahlpflichtigen Premium-Konten geführt werden können. Oder auch gedrückt, sollten sich die verwöhnten Kunden widerborstig zeigen und nicht widerspruchslos auf bezahlte Abos wechseln wollen. 

"Banking geht auch 100 % digital!"

Mit diesem motivierenden Slogan "verkauft" die Challenger-Bank N26 ihr kostenloses Standard-Konto. Die Ansprache richtet sich an Neukunden und meint im Klartext: Eine physische Karte, immerhin das Zentrum der Angebote von Neo-Banken, gibt's nicht mehr, zumindest nicht kostenlos. Wer nicht "100 % digital" unterwegs sein möchte, sondern weiterhin die physische Karte in der Brieftasche haben will, muss 10 Euro extra blechen.

In einem Blog-Beitrag erklärt N26 wortreich und nicht ganz frei von Pathos "den nächsten Schritt in Richtung einer noch nachhaltigeren digitalen Zukunft" und verpackt den Wegfall der physischen Karte in den Lockruf: "In ausgewählten europäischen Ländern haben neue N26 Kunden ab sofort bereits die Möglichkeit, sich für ein Banking-Erlebnis ohne Karte und frei von Plastik und Papier zu entscheiden". Zudem, und diese zusätzliche Nebelgranate wird als Verstärker nur nebenbei ins Argumentations-Getümmel geworfen, hätten sich "aufgrund von Lieferproblemen Kartenlieferungen verzögert"

Wer jetzt immer noch nicht reif ist für das kartenlose Leben, den baut die Neo-Bank mit den folgenden Ausführungen auf:

"Die Welt wird digitaler – deshalb haben wir uns gefragt, ob physische Bankkarten eine Notwendigkeit oder ein nettes Extra sind. Viele unserer Kunden möchten mit der Wahl ihrer Karte und Kartenfarbe ihre Persönlichkeit und ihren eigenen Stil ausdrücken. Andere möchten lieber eine nachhaltige Wahl treffen und, wenn möglich, auf Plastik verzichten. Wir denken, du solltest das selbst entscheiden können."

Die Übersetzung der neuen Strategie

So ganz freiwillig ist die Wahl für Neukunden nicht, weil virtuelle Karten (noch) längst nicht überall funktionieren. Dass Plastik ersetzt wird durch Alternativen, ist grundsätzlich eine sehr gute Idee. Das tun andere Anbieter mit Karten aus Holz oder aus recyceltem Plastik. Die virtuelle Karte ist jedoch keine wirkliche Alternative, sondern in erster Linie ein weiterer Leistungsabbau und eine neue Sparmassnahme. Mit der Intention, Kunden von Anfang an auf den Pfad der kostenpflichtigen Angebote zu führen. 

Bisherige Kunden sind davon (noch) nicht betroffen, Neukunden hingegen schon. Die aktuelle Massnahme, das kostenlose Standard-Konto unattraktiver zu machen, passt zum schleichenden Leistungsabbau, der schon seit einiger Zeit im Gange ist. 

Die Begründung des neu entdeckten grünen Gewissens steht auf wackligen Füssen, immerhin hat die geläuterte Challenger-Bank jahrelang vor allem mit der kostenlosen Schiene erfolgreich gewaltige Kundenzuwächse generiert.

Nach Kalkulationen und Profitabilitäts-Prognosen die Meinung, Haltung und Strategie zu ändern, ist immer erlaubt, keine Frage. Klug wäre aber vielleicht, die neue Strategie offen zu kommunizieren. Der Versuch, Kunden ein X für ein U vorzumachen, indem man Leistungsabbau und Sparmassnahmen hinter verbrämten Nachhaltigkeits-Argumenten verstecken will, kommt möglicherweise nicht so gut an.

Zurück zur Kostenwahrheit

N26 ist nicht einzige Neo-Bank, die auf dem Weg zur Profitabilität bestehende und neue Kunden dazu bringen will, sich für eine kostenpflichtige Kontovariante zu entscheiden. Bei diesen Abos ist das neu entdeckte grüne Gewissen von N26 übrigens noch nicht angekommen, keine Rede von digitalen Karten, da gehört die physische Karte einfach mit dazu.

Die argumentativen Purzelbäume mit einer grossen Portion Scheinheiligkeit wären ziemlich sicher gar nicht nötig – erfahrungsgemäss sind Kunden bereit, für gute Leistungen auch einen fairen Preis zu zahlen.

Ob der Weg ins Ziel führt, Kunden über den Umweg von Leistungsabbau oder Gebührenerhöhungen die kostenlose Kontovariante madig zu machen, wird sich erst zeigen. Ehrlicher und auch fairer wäre, für Kunden das günstigste Premium-Konto (bei N26 für 4.90 Euro pro Monat zu haben) mit ganz tollen Leistungen dermassen attraktiv zu gestalten, dass sich "kostenlos" irgendwann von selbst erledigt.