Medien & Bildung

Mediennutzung: Gehören Sie zu den News-Deprivierten?

Junge Leute mit Smartphones
Bild: Disobey Art | Getty Images

Sie haben keine Ahnung, ob Sie Mitglied im Club der News-Deprivierten sind, weil Sie noch nicht mal die Frage verstehen? Keine Panik, Sie sind in guter Gesellschaft.

Der Begriff hat medial Konjunktur bekommen im Zusammenhang mit der aktuell publizierten Studie zu Mediennutzung und Qualität der Medien in der Schweiz. Auf die Studie kommen wir zurück, zuerst der Begriff der "News-Deprivierten".

Nach der Definition der Studienautoren des Fög (Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft, Universität Zürich) sind News-Deprivierte jene Gruppen der Bevölkerung, "die wenig und wenn, dann qualitätsschwache Informationsmedien vorab auf Social Media konsumieren".

Die Zahl dieser News-Verweigerer, die Unterhaltungs-Angeboten den Vorzug vor Information geben, nimmt markant zu. Innerhalb der ganzen Bevölkerung der Schweiz, sehr stark bei jungen Menschen.

Luzi Bernet, Chefredaktor der NZZ am Sonntag, hat den Begriff ebenfalls nachschlagen müssen (wie Sie, ich und tausend andere) und kommentiert in seinem letzten «Wort zum Sonntag»:

Kein Wunder, lesen die Jungen wenig Zeitungen, wenn sich die Studienautoren in derartigem akademischem Gescheit-Sprech üben und die Journalisten eine solche Wortwahl übernehmen

Wo er recht hat, hat er recht – wir bleiben im Folgenden bei News-Verweigerern, wenn wir News-Deprivierte meinen.

Wer gehört zu den News-Verweigerern?

Der generelle Anteil nimmt jährlich zu, und das sehr schnell: 2018 zählt bereits mehr als jeder dritte Mediennutzer (36 Prozent) zu diesem Nutzertyp.

Besonders beunruhigend: Unter den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 53 Prozent. Das heisst, mehr als die Hälfte der jungen Menschen interessiert sich sehr schwach bis gar nicht für News, mehr für Unterhaltung. Das eine wie das andere bevorzugt konsumiert auf digitalen Social Media-Kanälen. Schweizer Qualitätszeitungen, die sich übrigens nach der Studie ebenfalls auf dem absteigenden Ast bewegen, können mit recherchierten News und Hintergrund nicht mehr landen.

Gut zu diesem Befund passt, dass dieselben jungen Zielgruppen Influencer unterhaltsamer (54 Prozent), interessanter (56 Prozent) und sogar glaubwürdiger (30 Prozent) finden als klassische Medien (Quelle: Media Use Index 2018).

Warum es wichtig ist, diese Entwicklungen und Zahlen zu kennen

Zum einen, weil medienkonsumierende Menschen auch Kunden und Zielgruppen sind. Gut zu wissen, ob und wo man sie erreicht, nicht (mehr) erreicht und was man voraussetzen darf. Letzteres kann helfen, in Ton und Sprache nicht ganz falsch zu liegen.

Zum anderen ist möglicherweise die Einsicht von Bedeutung, dass die Geschicke eines Landes sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen durch die Bevölkerung gelenkt und beantwortet werden. Geschieht das durch gut informierte Menschen mit Haltung, Meinung und Urteilsvermögen, dürfte die Zukunft für alle eine bessere sein. Beginnen hier bisher gute Voraussetzungen zu erodieren, ist diese Entwicklung nicht nur eine Warnflagge, vielmehr eine Handlungsaufforderungen.

Was ist zu tun?

Die noch immer wachsenden Anteile von aktuell 53 Prozent der jungen Menschen und immerhin mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung, welche der Gruppe der News-Verweigerer angehören, können selbstversändlich nicht zum gehobenen Medienkonsum verdonnert werden.

Möglicherweise liegen jedoch Chancen darin, eine gesunde Neugier zu fördern. Und damit auf spielerische Weise den Wunsch zu wecken, die Welt verstehen zu wollen – um dadurch die Lust zu aktivieren, Zusammenhänge zu schaffen und erkennen zu können. Gelingt das, könnten eher desinteressierte Konsumenten zu informierten Mitspielern werden, welche mitreden und mitgestalten wollen.

Neue Strategien für Medien und Bildung

Digitalisierung sowie neu geschaffene Möglichkeiten und Kanäle schaffen beste Voraussetzung, um News und Informationen zu transportieren. Qualitätsjournalismus und Qualitätsmedien sind nicht an Print gebunden, die Koexistenz von Print- und digitalen Medien wird weiterhin funktionieren, auch wenn Print zunehmend Anteile verlieren wird.

Das Problem liegt nicht in den Kanälen, es liegt mehr bei den Medien und den Medienhäusern selbst. Sparkurse, Abbau von Redaktionen und redaktionelle Verbundsysteme sind Qualität und Vielfalt nicht durchwegs zuträglich. Oftmals resultiert daraus ein halbherzig recherchierter News-Einheitsbrei, der unter Druck und möglichst schnell in möglichst viele Medien-Kanäle geblasen wird.

Dazu kommt das Problem, um den Bogen zur Bildung zu schlagen, dass in der Schweiz rund 800'000 Erwachsene (in Deutschland 7,5 Millionen) nicht richtig lesen und schreiben können. Sie gelten als funktionale Analphabeten und sind damit weitgehend abgeschnitten von News und Informationen, die über eine "normale" und breite Mediennutzung zugänglich sind.

Zusätzlich brisant und noch gefährlicher ist die Entwicklung, dass eine zunehmende Zahl von Kindern und Jugendlichen Texte wohl lesen, deren Inhalte und Sinn jedoch nicht verstehen kann. Fehlendes Textverständnis ist wie ein Bildschirm, der wohl läuft, aber dennoch schwarz bleibt: keine Information, keine Einordung, keine Zusammenhänge. Auch diese Gruppe ist weitgehend abgekoppelt von gelesenen Informationen. Lesen ohne Verstehen bleibt eine sinnlose Fähigkeit, die nur gerade für den Einkaufszettel genutzt werden kann.

Medien und Bildung haben einen Auftrag

Medien haben die Rolle der vierten Gewalt. Eine wichtige Rolle, die zahlreiche Medien in den letzten Jahr allerdings schwach bis gar nicht mehr wahrgenommen haben, weil Sparmassnahmen, geschrumpfte Redaktionen und der Druck zur Produktion schneller News im Wege stehen.

Medien haben jedoch vor allem einen Informationsauftrag und damit ebenfalls eine zentrale Rolle in der Bildung. Qualitätsjournalismus, Wahrhaftigkeit, gelebte Informations- und Meinungsvielfalt, Zusammenhänge erkennen und sichtbar machen, Einordnungsvorschläge  – das und mehr sind wesentliche Stichworte und Faktoren, die Qualitätsmedien ausmachen.

Das Problem: Medien befinden sich nicht nur bei Auflagen oder Nutzung im Sinkflug. Die Studie "Qualität der Medien" hält fest, dass rund ein Drittel der 66 untersuchten Medientitel die Medienqualität im Vergleich zum Vorjahr nicht halten konnte. Mag die Qualität der Medien in der Schweiz aktuell noch relativ hoch sein – sie sinkt.

Die oft selbstverschuldeten Gründe sind vielfältig und können im Jahrbuch Qualität der Medien im Detail nachgelesen werden.

Der Auftrag von Bildungsinstitutionen und ihren Bildungssystemen liegt darin, sehr rudimentär umrissen, junge und weniger junge Menschen neugierig auf die Welt zu machen. Ihnen zu helfen, die Welt zu verstehen, Entwicklungen, Informationen und News einordnen zu können und sich eine eigene Meinung zu bilden. Und ihnen sämtliche Instrumente in die Hand zu geben, um aktiv und lustvoll an der Veränderung der Welt mitzuwirken. 

Was zugegebenermassen fast schon etwas naiv klingt, ist im Anspruch eine wahrhaft grosse Aufgabe. Eine lösbare allerdings. Die Voraussetzungen waren noch nie so gut wie heute. Errungenschaften und Technologien der Digitalisierung öffnen Erreicharkeit, Kanäle und Medien, die genutzt werden können. 

Wie diese Möglichkeiten konkret ausgestaltet und wie die verfügbaren Kanäle bespielt werden, dürfte eine grosse Auswirkung darauf haben, wie die Schweiz in Zukunft aufgestellt ist und welche Position unser Land im internationalen Kontext einnimmt. Die Zukunft, auch die digitale, wird von Menschen gemacht. Und dabei spielt eine gut informierte und gestaltungsfreudige Bevölkerung eine tragende Rolle – neben Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Das Jahrbuch Qualität der Medien Schweiz

Dieses Jahrbuch ist nicht einfach eine Studie unter vielen, nicht nur ein Qualitätsscore der Schweizer Medien – im Inhalt schürft das Jahrbuch tiefer. Es ist eine breit gefasste Abhandlung, ein Status quo und ein Bild der Gesellschaft, der Medien, der Digitalisierung und der zahlreichen Einflüsse, die auf das eine oder das andere einwirken.

Das umfangreiche Jahrbuch mit knapp 160 Seiten kann kostenlos als PDF beim Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich runtergeladen werden, über den Link gleich unten.