Digitale Schweiz

Alain Veuve zur Zukunft der digitalen Schweiz

Alain Veuve

In unserer Serie richten wir den Scheinwerfer auf die digitalen Macherinnen und Macher der Schweiz – heute auf Alain Veuve.


Wer bist du und was muss ein junger Digital Native, der noch am Anfang seiner Berufskarriere steht, über dich, deine Organisation und ihre digitalen Initiativen wissen?

Ich bin Unternehmer im Tech-Bereich mit starkem "Einschlag" Richtung Startups. Ich kümmere mich momentan hauptsächlich um die beiden Unternehmen Accounto und Parashift. Ich finde es immer dann spannend etwas zu machen, wenn neue Technologie Paradigmenwechsel in der Wirtschaft auslösen können.

Über uns sollte man vielleicht wissen, dass wir mit Parashift drauf und dran sind das Dokumenten-Extraktionsproblem umfassend technologisch zu lösen. Eine Errungenschaft, die überall in der Wirtschaft ganz neue, ungeahnte Möglichkeiten der Veränderung und Verbesserung schafft. Im Umgang mit Dokumenten, ob jetzt digital oder analog, nehmen wir massiven Aufwand und umständliche Abläufe hin, weil wir es noch nicht anders kennen. In ein paar Jahren wird die Dokumentenverarbeitung, wie wir sie heute noch praktizieren, bizarr altmodisch anmuten.

Mit welcher digitalen Macherin möchtest du dich gerne einmal bei einem Kaffee austauschen, weil sie für dich ein spannendes Rollenmodell oder gar Vorbild verkörpert? 

So gerne ich jetzt hier einen Namen nennen möchte, so wenig habe ich Vorbilder. Ob jetzt weiblich oder männlich, spielt überhaupt keine Rolle. Ich finde es super, dass wir mehr und mehr Frauen im digitalen Bereich sehen. Frauen waren schon immer cool.

Was können Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Bildung und wir alle tun, damit es in Zukunft Google, Salesforce und Facebook aus der Schweiz gibt? 

Ich glaube, wir können dafür nicht besonders viel tun. Der Grund, dass diese Firmen in den USA an den Start gekommen sind, ist vielmehr eine Kombination von verschiedenen Zufällen, als die Folge irgendeiner Massnahme.

Generell wäre es wohl hilfreich, wir hätten viel mehr hungrige junge Leute hier (was eigentlich positiv ist, denn der fehlende Hunger ist eine Folge des unglaublichen Wohlstandes in unserem Land), eine Kundschaft, die sehr schnell bereit ist, neue Produkte auszuprobieren und administrative Hürden, die so tief wie möglich sind. Alle drei Dinge haben wir nicht. Trotzdem denke ich, dass die Schweiz ein exzellenter Wirtschaftsstandort ist – allem voran, weil es ein enorm guter Ort ist, um ein tolles Leben zu führen. 

Die viel wichtigere Frage aus meiner Sicht ist, ob wir überhaupt in Europa diesem "Unicornism" nacheifern müssen. Wir sind ja sehr gut darin, uns mit der Welt zu vergleichen und uns selbst schlecht zu machen. Auch wenn das vielleicht eine ur-europäische Angewohnheit ist, führt es halt trotzdem nirgends hin, hemmt uns kollektiv, weil wir uns damit in gewisser Weise die Hoffnung auf ein "grossartiges Morgen" nehmen – oder uns zumindest entmutigen.

Ich denke, wenn wir etwas wirklich brauchen könnten, dann mehr Ambitionen auf eine grossartige Zukunft. Weniger Bewahren, mehr Riskieren, mehr Neugier, mehr Dankbarkeit. Wenn wir so eine Einstellung in den Köpfen der jungen Leute haben, folgt alles andere fast schon automatisch.  

Was würde dein Teenager-Ich heute zu dir sagen und was würdest du deinem 15-jährigen Ich mit auf den Weg geben wollen für seine Zukunft? 

Mein Teeager-Ich zu mir: «Du hattest mehr Glück als Du verdienst».

Ich würde meinem 15-jährigen Ich wohl sagen, dass die Grenzen, die man sich selber setzt, völliger Quatsch sind. Löst man sich von der Vorstellung, man habe Grenzen, sind plötzlich Dinge in Reichweite, die man sich nie zugetraut hätte.

Welchen Stellenwert haben Anlässe wie der Digital Economy Award für die Förderung einer starken digitalen Innovationskultur in der Schweiz? 

Ich glaube, dass solche Events grundsätzlich schon gut sind. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass halt immer überall viel Show ist. Innovation oder eben eine Innovationskultur ist aber eine im Prinzip unangenehme Sache – sie findet nicht auf der Silicon Valley Tour statt, sondern in der täglichen Weiterentwicklung des Business durch den Einsatz von neuer (digitaler) Technologie.

Das ist ein Weg, der in der Regel geprägt ist von komplexen, mühsamen Herausforderungen, von Rückschlägen und neuen Versuchen. Dann weiterzumachen, wenn die alten Füchse sagen, etwas sei "nicht möglich". Wenn sich Innovation im Kleinen toll und gefällig anfühlt, ist die Chance hoch, dass man gerade nicht innovativ genug ist. Ich würde mir wünschen, solche Events würden diesem Aspekt der Innovationskultur mehr Beachtung schenken.

Der Interviewpartner: Alain Veuve

Alain Veuve ist Gründer und CEO des Machine Learning Robo-Accounting Startups Parashift sowie Gründer des digitalen Steuerberaters Accounto. Zudem ist Alain CFO/Head Strategy der TYPO3 GmbH in Düsseldorf, Treasurer der TYPO3 Association und Mitglied des Agile- und Digital Transformation Advisory Boards bei AOE, einem der global führenden Anbieter von Open Source Enterprise Web- und E-Commerce Lösungen. 

Seit 1997 hat sich Alain Veuve an einer Reihe von IT- und Internet-Unternehmen sowie Startups finanziell und operativ beteiligt. Im Rahmen dieser Tätigkeiten hat er unterschiedliche internationale Unternehmen bei der digitalen Transformation sowie bei ihren E-Business-Plänen begleitet und strategisch beraten.

Heute ist Alain ein Thought Leader für die Digitale Transformation in Europa, der regelmässig als Referent an Konferenzen teilnimmt. Sein Blog ist eine stark frequentierte Informations-Quelle für Entscheidungsträger im digitalen Bereich, zudem schreibt Alain regelmässig für verschiedene Medien.