Unternehmensnachfolge

FinTech und KI als Unterstützung für den Generationswechsel in Familienunternehmen

Generationen bei der Firmenübergabe in Familienunternehmen

Die Übergabewelle rollt auf die DACH-Region zu – FinTech und Künstliche Intelligenz als zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Nachfolgeplanung.

Familienunternehmen bilden seit Jahrzehnten das wirtschaftliche Rückgrat der DACH-Region. Deutschland zählt laut Institut für Mittelstandsforschung über 90 Prozent familiengeführte Unternehmen, Österreich kommt auf etwa 88 Prozent, die Schweiz auf rund 80 Prozent.

Die Bedeutung dieses Unternehmenssegments ist enorm, denn hier entstehen die meisten Ausbildungsplätze, ein grosser Teil der Wertschöpfung sowie ein wesentlicher Anteil der Innovationsleistung im Mittelstand. Gleichzeitig stehen die drei Länder am Beginn einer Übergabewelle, die die Wirtschaftsstruktur der kommenden Jahre massgeblich prägen wird.

Die KfW geht in Deutschland bis 2027 von rund 236'000 geplanten Übergaben aus. In Österreich erwartet die Wirtschaftskammer WKO bis 2030 eine ähnlich dynamische Entwicklung. Und in der Schweiz sehen mehr als 20 Prozent der familiengeführten Unternehmen in den nächsten fünf Jahren eine Nachfolgeregelung vor sich.

Die strukturelle Herausforderung ist damit immens. Nur etwa ein Drittel der Familienunternehmen schafft den Übergang in die zweite Generation, und lediglich ein Bruchteil erreicht die dritte. Die Gründe ähneln sich über Ländergrenzen hinweg. Fehlende strategische Vorbereitung, unzureichende Transparenz in den Unternehmenszahlen sowie ein Generationenkonflikt rund um Digitalisierung und Modernisierung gelten als häufige Ursachen für gescheiterte Übergaben.

In dieser Gemengelage gewinnen digitale Finanzwerkzeuge und Künstliche Intelligenz an Bedeutung, denn sie schaffen Klarheit und reduzieren Risiken in einer Phase, die für jedes Unternehmen existenziell ist.

FinTech als Infrastruktur einer gut vorbereiteten Nachfolge

Eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge erfordert eine präzise und vollständig dokumentierte Informationslage. In der Praxis scheitert es jedoch häufig genau daran. Steuerrelevante Unterlagen, Cashflow-Analysen, Buchhaltungsdaten und elektronische Rechnungen liegen in vielen Familienunternehmen noch immer dezentral vor oder sind nicht so aufbereitet, dass sie im Übergabeprozess belastbar genutzt werden können.

Für Berater, Banken oder Wirtschaftsprüfer bedeutet dies zusätzliche Arbeit und für die übergebende und übernehmende Generation Unsicherheiten, die den Entscheidungsfluss hemmen.

Digitale Finanzplattformen setzen an dieser Schwachstelle an. Sie bündeln Buchhaltung, Zahlungsverkehr, Liquiditätsplanung und Compliance in einem System, das jederzeit abrufbare Transparenz schafft. Für die DACH-Region ist dies besonders relevant, weil steuerliche Vorgaben und Dokumentationspflichten immer komplexer werden.

In Deutschland steht die verpflichtende E-Rechnung ab 2025 beziehungsweise 2026 bevor, in Österreich und der Schweiz entwickeln sich ähnliche Regulierungsrahmen. Ein FinTech-System, das elektronische Rechnungen automatisch archiviert, Fristen überwacht, Finanzdaten strukturiert und für Steuerberater oder Banken unmittelbar zugänglich macht, sorgt für Stabilität in einer Übergabe, die sonst leicht an administrativer Überforderung scheitert.

Die Digitalisierung ist dabei keineswegs selbstverständlich. Europaweit liegen Deutschland und Österreich im DESI-Vergleich (Digital Economy and Society Index) nur im Mittelfeld, wenn es um die digitale Transformation kleiner und mittlerer Unternehmen geht. In der Schweiz zeigt das Bundesamt für Statistik, dass ein erheblicher Teil der KMU Digitalisierungspotenziale insbesondere im Finanz- und Administrationsbereich ungenutzt lässt.

Für einen Generationswechsel bedeutet das: Wer frühzeitig in digitale Finanzsysteme investiert, schafft damit die Grundlage für einen transparenten, gut dokumentierten und rechtlich abgesicherten Übergabeprozess.

Künstliche Intelligenz wird zum strategischen Entscheidungspartner

Während FinTech-Systeme strukturieren und dokumentieren, erweitert die Künstliche Intelligenz die Perspektive. Generative KI kann grosse Datenmengen aus Rechnungswesen, Geschäftsentwicklung, Liquiditätsplanung und Steuerpflichten in Szenarien umwandeln, die eine vorausschauende Entscheidungsfindung ermöglichen. Sie simuliert mögliche Risiken, berechnet steuerliche Belastungen, weist auf potenzielle Engpässe in der Liquidität hin oder unterstützt Exportgeschäfte, indem sie regulatorische Vorgaben verschiedener Länder automatisiert berücksichtigt.

Vor allem mittelständische Unternehmen profitieren von diesem technologischen Fortschritt. Viele verfügen zwar über exzellentes operatives Know-how, haben aber weder die Kapazität noch die finanziellen Mittel, regelmässig umfassende Beratungsleistungen einzukaufen.

KI schafft hier ein neues Niveau der Selbstermächtigung. Sie hilft, kritische Phasen der Nachfolge auf einer objektiven, datenbasierten Grundlage zu steuern. Gleichzeitig entschärft sie Konfliktpotenziale, weil sie die Informationsasymmetrien zwischen den Generationen reduziert und komplexe Zusammenhänge anschaulich aufbereitet.

Der wirklich entscheidende Punkt ist jedoch ein anderer: KI begleitet nicht nur den administrativen Übergang, sondern wirkt inhaltlich an der Neuausrichtung des Unternehmens mit. Sie macht sichtbar, wo Stärken liegen, wo Prozesse modernisiert werden sollten und wie sich finanzielle Spielräume langfristig entwickeln könnten. Damit trägt sie dazu bei, dass der Generationswechsel nicht als Verlustmoment, sondern als strategischer Neustart verstanden wird.

Ein Transformationsmoment für Familienunternehmen

Die DACH-Region erlebt derzeit einen historischen Wendepunkt. Tausende familiengeführte Unternehmen suchen eine Nachfolge und damit eine Lösung für die Frage, wie Tradition und Zukunft gleichermassen gesichert werden können.

FinTech- und KI-Technologien bieten in diesem Kontext mehr als nur operative Unterstützung. Sie schaffen Transparenz in einer Phase, in der Unsicherheit der grösste Feind ist. Sie reduzieren Komplexität, erhöhen die Entscheidungsfähigkeit der neuen Führung und sorgen dafür, dass Werte, Wissen und Verantwortung tatsächlich übergehen können.

Für Familienunternehmen bedeutet dies eine Chance, die weit über den Abschluss eines Übergabeprozesses hinausreicht. Digitale Finanzsysteme und KI wirken wie ein zusätzliches Stabilitätsfundament, das die Weichen für nachhaltiges Wachstum stellt. In einer Zeit, in der wirtschaftliche Rahmenbedingungen volatiler werden und der Fachkräftemangel die Region belastet, gewinnt dieser technologische Rückhalt an strategischem Gewicht.

Familienunternehmen, die FinTech und KI frühzeitig in ihre Nachfolgeplanung integrieren, stärken nicht nur ihren Übergabeprozess. Sie professionalisieren ihre finanzielle Steuerung, verringern operative Risiken und erhöhen ihre Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext. Damit sichern sie nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch ihre Rolle als Stabilitätsanker der DACH-Wirtschaft.

Der Autor: Alessandro Camilotti

Alessandro Camilotti, CFO des FinTechs Finom

Alessandro Camilotti ist CFO von Finom. In dieser Rolle liegt sein Fokus auf dem Aufbau eines leistungsstarken Finanzteams, der Stärkung von Finanzsteuerung und Risikomanagement durch umfassende Kontrollmechanismen, der Sicherstellung regulatorischer Compliance sowie der Optimierung von Finanzprozessen und Reportings

Vor seinem Einstieg bei Finom war Camilotti als Head of Finance & Analytics EU bei Klarna massgeblich am Ausbau der europäischen Geschäftsaktivitäten beteiligt. Zuvor leitete er bei Wise als Head of Commercial Finance die finanzstrategische Ausrichtung und trug wesentlich zum Wachstum des Unternehmens bei.