Wir haben bereits Anfang Dezember 2017 die Frage gestellt, ob Ende Juni 2018 alle Fahrgäste mit an Bord sein sein werden, wenn der Zug der Umstellung auf ISO 20022 abfährt.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die Banken mit laufenden Motoren auf den Schienen stehen, Firmenkunden jedoch zum Teil noch immer den Bahnhof suchen.
Resultate SIX-Bericht zur Readiness der Firmenkunden
Der von SIX nachgeführte Readiness-Index vom Dezember 2017 (Befragungszeitraum Juni/Juli 2017) hat ein eher diffuses Bild vermittelt. Die Resultate der Befragung von Firmenkunden haben wir am 8. Dezember 2017 publiziert und dabei zwei Aussagen aus dem Bericht besonders hervorgehoben:
Das Wohlwollen spiegelt sich aber nicht in einer hohen Umstellungsbereitschaft. Über 60 Prozent der mittel bis stark betroffenen Organisationen werden bis 30. Juni 2018 nicht auf ISO 20022 umgestellt haben.
Die Zahl von "über 60 Prozent" zu diesem Zeitpunkt war alarmierend. Zudem hat der Stand der Information bei den Unternehmen beim aktuellen Bericht, wie bereits bei der Befragung zuvor, berechtigte Fragezeichen aufgeworfen. So fühlten sich die Hälfte der NPOs und Unternehmen eher schlecht oder sehr schlecht informiert oder hatten schlicht keine Ahnung, ob und wie gut sie informiert sind. Berunruhigende hohe Anteile von Nicht-Information. SIX hat diese Resultate im Bericht so kommentiert:
Die Informationsanstrengungen des letzten Jahres haben gefruchtet. Trotzdem gibt es immer noch Betroffene, die von der Harmonisierung noch gar nichts gehört haben. Es braucht nun eine offene Kommunikation ohne Alarmismus, die Endtermine ins Zentrum rückt, die Vorteile der Umstellung betont und diejenigen zum Handeln anregt, die betroffen, aber noch nicht sensibilisiert sind. Die Kommunikation läuft idealerweise über die Finanzinstitute. Dieser Kommunikationsweg funktioniert.
Die Erwartungen an diesen Kommunikationsweg waren in der Vergangenheit offensichtlich zu hoch, zumal Banken verständlicherweise teilweise sehr stark mit sich selbst beschäftigt waren und das Thema der Umstellung auf ISO 20022 vorab im eigenen Hause und auf den eigenen Systemen stemmen mussten.
Keine Kompromisse beim Terminplan?
SIX hat in der Vergangenheit mehrfach kommuniziet, dass eine Verschiebung der zentralen Umstellungstermine, insbesondere der 30. Juni 2018, nicht infrage kommt und keine Option sein kann. Diese Haltung ist grundsätzlich richtig, auch von heute aus betrachtet, weil eine kommunizierte Aufweichung und Flexibilisierung der Terminpläne dazu führen kann, dass die Anstrengungen aller Beteiligten runtergefahren werden. Der mögliche Dominoeffekt setzt sich in die Zukunft fort und kann deshalb die koordinierte Umsetzung des gesamen Projekts gefährden.
Die verschiedenen Phasen des Projekts der Harmonisierung des Zahlungsverkehrs in der Schweiz können jedoch nur koordiniert und verzahnt funktionieren, wenn sämtliche Parteien an gemeinse Termine gebunden sind. Also: Fahrplan mit pünktlich fahrenden Zügen für alle und nicht Taxibetrieb mit individuellen Abfahrtszeiten und Routen.
Die Ankündigung einer nicht ausgesprochenen Verschiebung
Neue Signale sendet SIX Interbank Clearing mit ihrem Rundschreiben vom 19. Januar 2018 an die Verantwortlichen und Softwarehersteller von SIC/euroSIC. In diesem Schreiben, das der Redaktion vorliegt, hält SIX als erfreuliche Tatsache fest, dass die Banken die Migration im Dezember 2017 planmässig abgeschlossen hätten, weniger erfreulich dann das Bild bei den Firmenkunden:
Bei den Firmenkunden hingegen bleiben die Umstellungsarbeiten deutlich hinter dem Zeitplan zurück.
SIX ortet in ihrem Rundschreiben auch die Ursache für die anstehenden Probleme:
Etliche Banken haben das Thema erst im Oktober oder November 2017 in ihre Kundenkommunikation miteinbezogen.
Daraus zieht SIX Interbank Clearing in ihrem Schreiben den Schluss:
Auch wenn die Banken ihre Anstrengungen konsequent weiterführen, wird es schwierig sein, die Ziele für Mitte 2018 zu erreichen.
Das ist zum aktuellen Zeitpunkt sehr dezent und zurückhaltend ausgedrückt – wir konkretisieren:
Sofern bei den von SIX publizierten Umfragewerten vom Dezember 2017 inzwischen nicht ein Wunder passiert ist, was aufgrund der spät angelaufenen Kommunikation unwahrscheinlich erscheint, wird es schlicht nicht möglich sein, den Umstellungstermin vom 30. Juni 2018 für alle Beteiligten zu halten.
Die konkreten Massnahmen von SIX
SIX spricht noch nicht von einer Verschiebung der Umstellung auf ISO 20022, wirft den Blick vielmehr auf die Phase danach: die Umstellung zur QR-Rechnung, welche allerdings erst dann erfolgreich eingeführt werden kann, wenn die Hausaufgaben der Migration auf ISO 20022 von allen Firmenkunden und Organisationen gemacht worden sind. Weil das eine mit dem anderen zusammenhängt, dürfte sich auch der Umstellungstermin vom 30. Juni 2018 verschieben.
In ihrem Rundschreiben vom 19. Januar 2018 kommuniziert SIX Interbank Clearing das weitere Vorgehen, welches Verwaltungsrat und Geschäftsleitung beschlossen haben (wir zitieren den Wortlaut aus dem Rundschreiben in Auszügen):
- Der Stand der Kundenmigration wird ab 2018 bei den grössten Banken monatlich und bei den übrigen Banken quartalsweise erhoben. Zusätzlich wird im zweiten Quartal eine weitere Marktforschungsstudie mit gfs.bern über den Stand der Migration den Kunden erstellt.
- Auf der Basis dieser Daten wird Mitte 2018 der Entscheid über die zeitliche Einführung der QR-Rechnung gefällt. Bei der Umstellung auf die QR-Rechnung sind im Unterschied zu ISO 20022 sämtliche Kunden betroffen. Um Kunden, Softwarepartnern und Banken genügend Zeit für die Vorbereitung der QR-Rechnung zu geben, wird die Markteinführung nicht vor Mitte 2019 stattfinden.
- Eine Interbankgruppe unter der Leitung der SIC kümmert sich um alle Belange der Markteinführung.
Das heisst konkret, die Markteinführung der QR-Rechnung ist aktuell um mindestens ein halbes Jahr nach hinten verschoben, von ursprünglich Anfang Januar 2019 auf neu frühestens Mitte 2019.
Roadmap und Support für Banken
SIX hat in ihrer offiziellen Roadmap den Termin für die Einführung der QR-Rechnung bereits angepasst und von ursprünglich Anfang Januar auf Mitte 2019 bzw. Anfang 2020 verlegt. Zudem hat SIX als Sofortmassnahme eine neue "Standardpräsentation für Bankkundenberater" aus dem Boden gestampft, welche Banken und Kundenberater fachlich bei Kundengespräche unterstützen soll. Die Präsentation ist einsatzfertig und kann seit 19. Januar 2018 als animierte und statische Power Point-Version runtergeladen werden, Benutzeranleitung für Kundenberater inklusive.
Kein Spielraum für Schwarzpeter-Spiele
Ob nun "etliche Banken" für das Informationsdefizit bei Firmenkunden in der Pflicht stehen, wie SIX schreibt, oder ob SIX selbst sich an die eigene Nase fassen darf, weil die Kommunikation an Firmenkunden und Organisationen sehr spät als Notwendigkeit entdeckt und angepackt worden ist – das eine wie das andere spielt zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt keine Rolle. Im Zentrum stehen jetzt einzig konkrete Massnahmen und damit die gemeinsamen Anstrengungen, welche helfen, Informationsdefizite zu beseitigen sowie Hürden und Friktionen aus dem Weg räumen.
Die Harmonisierung Zahlungsverkehr Schweiz ist ein komplexes und anspruchsvolles Projekt. Vieles ist gut koordiniert worden und bisher auch sehr gut gelaufen. Die Defizite sind jetzt bekannt. Dass bei komplexen Projekten mit verschiedenen involvierten Gruppen die frühzeitge und koordinierte Kommunikation eine tragende Rolle spielt, ist eine Binsenwahrheit. Ebenso, dass Kommunikation nicht allzu schnell wirkt, wenn bei Firmenkunden und Organisationen eine teilweise eher geringe Lust auf Umstellungen auszumachen ist, wie SIX selbst mehrfach als Ergebnis aus Umfragen festgestellt hat.
Es macht den Anschein, als wäre die Bedeutung von Information und Kommunikation an Firmenkunden und Organisationen massiv unterschätzt worden – teilweise von Banken und auch von SIX selbst. Genau so, wie die Schnelligkeit der Wirkung überschätzt worden ist, wenn diese Kommunikation mit Verspätung einsetzt. Diese Erkenntnisse sollten jetzt in konkrete, gemeinsame Massnahmen einfliessen.
Was aktuell im Vordergrund stehen muss
Terminverschiebungen sind nicht erfreulich, aber auch keine Katastrophe bei einem komplexen Projekt dieser Grössenordnung. Zudem, ganz ungewöhnlich ist das nicht, zur Erinnerung: Die Europäische Kommission hat die Umstellungsfrist für SEPA im Jahr 2014 um ein halbes Jahr verschoben, weil eine zu grosse Zahl von Firmenkunden noch mitten im Projekt steckte und schlicht nicht bereit war für die Umstellung.
Im Moment stehen breite Kommunikation und klare Informationen im Vordergrund – für alle Beteiligten zugänglich und direkt von den Projekt-Veranwortlichen als Absender verfasst und koordiniert. Blasen zu viele Parteien jeweils unterschiedliche Informationen in den Markt hinaus, führt das zu Konfusionen – und allgemeine Verwirrung im Sinne von unterschiedlichen Nachrichtenlagen, können das Projekt und seine Fertigstellung tatsächlich gefährden.
Konkrete Hilfe und Anlaufstellen
Alle Beteiligten fahren in derselben Flotte, müssen gemeinsam dasselbe Ziel erreichen, rudern jedoch unterschiedlich schnell. Deshalb stellt sich die Frage, wer aktuell welche Informationen, Werkzeuge und konkrete Hilfe braucht, um den Takt der Ruderschläge wirkungsvoll erhöhen zu können. Das Projekt verträgt keine Armada von Nachzüglern, die auf unterschiedlichen Wegen unterwegs sind.
Wer jetzt noch akut im Rückstand ist, braucht klare Informationen, möglicherweise Hilfe und deshalb Anlaufstellen, die tatkräftige Unterstützung bieten können.
Tatkräftig kann zum Beispiel bedeuten: Zum aktuellen Projektzeitpunkt wäre eine allgemein zugängliche zentrale Projekt-Hotline eine gute Idee, welche einfachere Fragen direkt beantwortet und komplexe Hilferufe richtig kanalisiert. Zum Beispiel zu Spezialisten, welche der Firmenkunde engagieren kann. Mit dieser Hotline hätten Firmenkunden und Organisationen eine zentrale Anlaufstelle und fühlten sich nicht alleingelassen. Zudem wäre diese Brücke zum Markt ein Pulsmesser, der wichtige Informationen liefern kann, lange bevor die nächste Marktforschungsstudie mit gfs.bern in den Markt geht und ausgewertet ist.
Klare Termine
Aktuell herrscht im Markt, konkret bei Firmenkunden und Organisationen, Unklarheit über die Terminsituation. Im Moment werden Informationen aus unterschiedlichen Quellen herumgeboten, auch hier braucht es klare Ansagen zu Terminen, direkt von den Projektverantwortlichen.
Informationen aus verschiedenen Ecken...
Die aktuelle Situation ist unglücklich: SIX informiert im engeren Kreis involvierte Banken und Softwarepartner, Medien informieren (aus eigener Initiative, ausgelöst durch das ihnen zugespielte "interne" Rundschreiben von SIX) die breite Öffentlichkeit und damit auch Firmenkunden und Organisationen. In unterschiedlicher Tiefe und teilweise auch mit unterschiedlicher Interpretation der Faktenlage. Das führt zu Unsicherheiten im Markt.
Breitstreuende Medien wie Tages-Anzeiger und Blick haben das Thema letzten Freitag aufgenommen und berichtet. Das Wirtschaftsmagazin ECO wird im Schweizer Fernsehen heute Abend um 22:25 Uhr das Projekt und seine Termine thematisieren.
...ersetzen durch klare Kommunikation aus der Projektzentrale
Für zeitunglesende Firmenkunden und fernsehschauende Organisationen werden damit nicht alle Fragen beantwortet, im Gegenteil, es tun sich sogar neue auf. Diese offenen Fragezeichen sollten sehr schnell, in aller Deutlichkeit und mit absoluter Klarheit beseitigt werden. Damit Firmenkunden und Organisationen die zentralen Informationen nicht aus ihrer Tageszeitung beziehen müssen, sondern direkt von den Verantwortlichen des Projekts erhalten. Und damit auch erfahren, wo Hilfe zu bekommen ist, wenn sie Unterstützung brauchen. Oder wie sie vorgehen können oder wen sie mit ins Boot holen sollten, wenn sie aktuell bei der Umstellung auf ISO 20022 anstehen und im Verzug sind. Ebenso wichtig: Welche Termine gelten nun verbindlich für welche Phase, die zwingend eingehalten werden müssen?
Kommunikation und Information eben – klar, einfach und verständlich, im Auftritt konzertiert, als Massnahmen-Paket gut orchestriert und so koordiniert, dass am Schluss bei allen Beteiligten unmissverständlich dasselbe ankommt.