Neo-Banken

Wo liegen die Chancen für Relio, die jüngste Neo-Bank der Schweiz?

Relio-Gründer Milos Stokic, Lav Odorovic und Zarko Vukadinovic
Relio-Gründer Milos Stokic, Lav Odorovic und Zarko Vukadinovic | Bild: Relio

Relio ist nicht die Neo-Bank für alle, das FinTech fokussiert auf KMU – insbesondere jene, die in den Compliance-Netzen von Banken hängenbleiben.

Die Schweiz hat im Vergleich zu Europa und auch zum Rest der Welt eine sehr hohe Neo-Banken-Dichte. Deshalb sind die Chancen für ein weiteres Startup, dass die Neo-Bank für alle sein will, sehr gering bis nicht vorhanden.

Im Vertical Banking besteht weiterhin Raum, zumal noch längst nicht sämtliche Nischen besetzt oder alle speziellen Kundengruppen wirklich gut versorgt sind. 

Hat ein Schweizer Digital-Konto für KMU Chancen?

Auf den ersten Blick wirkt die Positionierung von Relio und die Ausrichtung auf das Segment der KMU nicht unbedingt berauschend. Umso mehr, als inzwischen zahlreiche Neo-Banken wie Revolut, Wise, N26, Yapeal und andere schon länger Business-Konten anbieten. Für Selbstständige und für KMU, mit den Services, die kleinere und mittelgrosse Unternehmen eben so brauchen.

Wahrscheinlich mit ein Grund, weshalb die Gründer der Neo-Bank Relio unter der Flagge "Die neue Business Class" segeln, um erste Unterschiede anzutippen. Neu allein genügt allerdings nicht – was also macht Relio anders, um für ihre neue Business Class mit Leistungen und Kompetenz fassbare Unterschiede zu schaffen? Wir haben nachgefragt und uns mit einem der Gründer, Milos Stokic, unterhalten.

Was Relio besser machen will als alle klassischen Banken und sämtliche Neo-Banken

Zum einen, sind die Gründer überzeugt, betritt Relio ein sehr grosses Spielfeld. Immerhin sind 99 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz KMU, das sind mehr als 600'000 Firmen. Dazu kommen laufende Neugründungen. Im einen wie im anderen Fall sehen die Gründer ungelöste Probleme.

Zum anderen gibt's in der Schweiz keine andere digitale Bank, die sich ausschliesslich und zu hundert Prozent auf KMU konzentriert und deshalb in der Lage ist, diese Kunden mit spezifischen Leistungen, ausgerichtet auf deren Bedürfnisse, zu bedienen.

Zum Dritten, und damit ziehen die Gründer ihre stärkste Karte: ein KMU, das nicht dem gängigen Standard entspricht, bleibt früher oder später in den Maschen der Compliance hängen. Bei Relio nicht, sagen die Gründer, weil die Neo-Bank genau auf solche Unternehmen ausgerichtet ist.

Früher hängenbleiben heisst: die Kontoeröffnung kann für KMU, die nicht ins Standard-Compliance-Verfahren passen, Wochen oder Monate dauern. Mit Abklärungen, Rückfragen, Dokumenten-Austausch und Bergen von Papier, um sämtlichen regulatorischen Anforderungen an KYC und Geldwäsche zu genügen.

Später heisst: Veränderte Geldflüsse, Zahlungen aus neuen Ländern oder andere Faktoren können bei klassischen Banken wie auch bei Neo-Banken zur temporären Kontosperrung führen, im schlimmsten Fall zum Rauswurf des KMU, weil es einfach anders tickt und eben nicht wie ein Standard-KMU geschäftet.

Worin liegt der Unterschied zwischen Standard und Komplex?

Eine Schweizer Bäckerei mit einigen Angestellten und regelmässigen Lohnzahlungen, welche die Rechnungen ihrer Schweizer Lieferanten in Schweizer Franken bezahlt und auch sonst durch keine exotischen Besonderheiten auffällt, ist das Musterbeispiel eines KMU, dem die Etikette "Standard" verliehen werden darf.

Ein Handelsbetrieb mit Holding-Struktur, mehreren Inhabern, zwei davon mit ausländischem Pass, zahlreichen Lieferanten und Kunden in der Schweiz, in Osteuropa und in der Türkei, mit Geldflüssen in verschiedene Richtungen und in mehreren Währungen – das ist ein Musterbeispiel eines KMU, das unter "Komplex" segelt. Kommen durch Expansion und weitere Geschäfte neue Finanzströme plötzlich auch aus Kolumbien, schrillen bei klassischen Banken und Neos sämtliche Compliance-Glocken und der Kunde läuft Gefahr, dass Zahlungen blockiert werden oder sogar sein Konto gesperrt wird.

Was läuft für "einfache" und für komplexe KMU bei Relio anders?

Nach Aussagen von Relio sind 80 Prozent der KMU dem "einfachen" Lager zuzuordnen. Diese können ihr Konto online eröffnen und praktisch im Handumdrehen damit arbeiten. Und, ist die Neo-Bank überzeugt, weil Relio Konto und Leistungen für KMU nicht als zweite Schiene, sondern ausschliesslich und exklusiv anbietet, sollen Firmenkunden von Funktionen und Services proftiieren können, die nicht "ein bisschen passen", sondern punktgenau das liefern, was ein KMU braucht. Das gilt auch für das "K" im KMU, also für Selbstständige, Freelancer und junge Startups.

Komplexe KMU, so das Versprechen von Relio, kommen sehr viel schneller zu ihrem Konto als bei jeder anderen klassischen oder Neo-Bank. Ein bisschen komplex soll in 24 Stunden zu schaffen sein, ziemlich komplex kann zwei Tage in Anspruch nehmen, sehr komplex soll nicht Wochen, sondern wenige Tage dauern.

Wie soll das gehen?

Die Neo-Bank hat ihr Geschäftsmodell mit einem Algorithmus unterlegt, der die Compliance weitgehend automatisiert und intelligent durchprozessiert. Ein Algorithmus, der nach Aussagen des FinTechs alles in den Schatten stellen soll, was bei klassischen und bei Neo-Banken im Einsatz ist. Keine Frage, dass dabei sämtliche regulatorischen Anforderungen eingehalten werden.

Dieser schlaue Algorithmus soll bereits bei der Kontoeröffnung greifen und auch später im Tagesgeschäft – zum Beispiel bei registrierten Abweichungen vom gewohnten Kunden-, Konto- und Zahlungsfluss-Verhalten. Zusätzliche Abklärungen und "Handarbeit" sollen so auf ein Minimum reduziert werden. Das entlastet Kunden wie auch die Neo-Bank und soll Zahlungs-Stopps oder Kontosperrungen verhindern.

Relio will also das erste Schweizer Digtal-Konto für KMU mt automatisierter Compliance-Plattform lancieren. Der Markteintritt soll bald erfolgen, die Neo-Bank wartet einzig noch auf die FinTech-Lizenz der FINMA.

Wer steht hinter Relio?

Die drei Gründer Milos Stokic, Lav Odorovic und Zarko Vukadinovic sind überzeugt von ihrem Konzept und sehen im digitalen KMU-Konto mit Compliance-Kompetenz eine Alleinstellung. Sie glauben, dass KMU in der Schweiz, insbesondere die komplexen, in der Schweiz bisher ziemlich stiefmütterlich behandelt worden sind.

Relio-CEO Odorovic bringt sehr viel einschlägige Erfahrung mit, er war Mit-Gründer und CEO von Penta, der deutschen Digitalbank für Freelancer, Startups und Kleinbetriebe. Penta ist im Sommer 2022 von der Neo-Bank Qonto gekauft worden, die mit diesem Deal ihre Kundenzahl massiv erhöht und ihre Marktposition ausgebaut hat. Nach unbestätigten Berichten soll Penta zu einem Preis um die 200 Millionen Euro den Besitzer gewechselt haben.

Odorovic hat während seiner Zeit bei Penta die Compliance-Lücke für die komplexen KMU entdeckt und ist mit seinen Partnern seit Frühjahr 2021 am Ball, mit dieser inzwischen geschlossenen Lücke das Geschäftsmodell von Relio auf tragfähige Schienen zu stellen. Die Neo-Bank sieht im Schweizer Markt Tausende komplexer KMU, die von Relios digitalem Geschäftskonto profitieren sollen. 

Relio hat seit April 2021 haushälterisch gewirtschaftet: eine Pre-Seed-Runde von 700'000 Franken mit SIX FinTech Ventures und dem High-Tech Gründerfonds hat bis Ende 2022 gereicht. Das Vertrauen der Investoren ins FinTech und seine Compliance-Technologie scheint ungebrochen, Anfang 2023 hat Relio 3 Millionen Franken von TX Ventures (TX Group), SIX Fintech Ventures (SIX Group) und dem High-Tech Gründerfonds erhalten.

Nach dem Marktstart wird sich zeigen, ob die jüngste Neo-Bank ihr Versprechen "Compliance without Complications" einlösen kann und ob Relio mit ihrem Online-Geschäftskonto Freelancer, Startups und KMU – einfache und komplexe – in grosser Zahl begeistern wird.