Fünf Fragen an Rosario Piazzese zu PSD2 und Open Banking

Rosario Piazzese, Geschäftsführer, Codd & Date Suisse
Bild: Rosario Piazzese, Geschäftsführer, Codd & Date Suisse

Wie sehen Branchenexperten die Auswirkungen der PSD2 und die Bedeutung von Open Banking für die Schweiz? Die Meinung von Rosario Piazzese, Geschäftsführer von Codd & Date Suisse, der die Schweiz in der Pole Position sieht, um sich eine Führungsrolle zu sichern.

Unsere Oktober-Serie ist abgeschlossen, die Diskussion geht weiter und wird kontrovers geführt. Deshalb bringen wir sporadisch Meinungen von Exponenten aus der Finanzbranche zum Thema. Rosario Piazzese ist Spezialist und Berater für Governance, Risk und Compliance und bringt seine Sicht der Dinge aus dieser Perspektive ein.

Piazzese kommt zu interessanten Schlussfolgerungen und sieht alle Türen offen, der Schweiz eine starke Position und sogar eine Führungsrolle im europäischen Markt zu sichern. Er sieht die Schweiz in der komfortablen Lage, jetzt entscheiden zu können, welche Rolle sie spielen möchte: Trendsetter oder nur ein Akteur und vielen anderen.

Fünf Fragen an Rosario Piazzese von Codd & Date Suisse

Welche Auswirkungen hat nach Ihrer Betrachtung die EU-Regulierung PSD2 für die Schweiz?

Man muss die EU-Regulierung PSD2 als solche und ihre technischen Aspekte im Zusammenhang mit der Öffnung des Interbanksystems für Akteure ausserhalb des traditionellen Bank- und Finanzwesens voneinander getrennt betrachten. Für mich ist die EU-Regulierung PSD2 für die Schweiz eine grosse Chance für die Umsetzung ihres Ziels, dass sie sich im Rahmen der EU-Sonderverhandlungen gesteckt hat: die Öffnung des Zahlungsmarktes für neue Akteure und die Förderung des Wettbewerbs bei der Zahlungsabwicklung und in weiterer Folge bei der Kreditvergabe. Die Schweiz kann ihre Position als im europäischen Markt integrierter Nicht-EU-Partner besser ausnützen, um die neue Regelung als Ankurbelung für die Erweiterung ihres Referenzmarktes ausserhalb ihrer Landesgrenzen auf den gesamten EU-Raum zu verwenden.

Dieser "Schwungradeffekt" kann natürlich auch ein Risiko bedeuten, wenn die EU-Regulierung PSD2 in der Schweiz in der Form zur Anwendung käme, wie sie von der EU erlassen wurde: Die Regulierung entsteht im politischen und sozialen Umfeld der EU und ist ein Kompromiss zwischen teilweise sehr unterschiedlichen Anforderungen, die von denen der Schweiz weit entfernt sind. Ihre wortwörtliche Umsetzung würde in der Schweizer Rechtsprechung eine Art Fremdkörper bedeuten, der nicht 1:1 auf das Land zugeschnitten ist. Hingegen würde die Anwendung der technischen Aspekte der PSD2 und die Öffnung des Interbanksystems die perfekte Vollendung einer Strategie bedeuten, die die Schweiz bereits in den vergangenen Jahren mit SEPA und ISO 20022 vorangetrieben hat. Damit würde ein starker Vektor für das Wachstum der digitalen Wirtschaft geschaffen, dank dessen die Schweiz zu einem führenden Standort auf diesem Sektor werden könnte.
 

Welche Bedeutung messen Sie Open Banking für den Finanzplatz Schweiz zu?

Die Öffnung der Interbanksysteme ist für die Schweizer Finanzwelt eine grosse Chance. Die Leistungsfähigkeit des Bankensystems des Landes würde stark aufgewertet werden. Die Finanzwelt entwickelt sich immer mehr in Richtung Dienstleistungslogik und entfernt sich zusehends von starrer Produktlogik. Die Geschäftsmodelle zielen zunehmend auf eine "commodity finance" ab, die die Fähigkeit erfordert, anhand von homogenen, komplett interoperablen Serviceplattformen komplexe und wohlstrukturierte Werteketten zu integrieren.

Die Schweiz hätte die grosse Chance, diese ihr eigene Vermittlungsfähigkeit zwischen Finanzpartnern und der grossen Entwicklung der Fintech-Welt unter Beweis zu stellen und ihre Präsenz in einem einheitlichen Interbanksystem zu gewährleisten, das ihr zu einer starken Position – oder gar Vormachtstellung – innerhalb des gesamten europäischen Marktes verhelfen würde.
 

Die SBVg bezieht Stellung und lehnt eine PSD2-analoge Regulierung für die Schweiz ab. Welche Signale werden dadurch gesetzt? Ist das ein Vorteil, ein Nachteil oder bleibt eine fehlende PSD2-analoge Regulierung ohne Auswirkungen für die Schweiz?

Auf den ersten Blick könnte das Signal negativ interpretiert werden, wie eine konservative Reaktion, die darauf abzielt, die derzeitigen Standortvorteile aufrechtzuerhalten; das wäre aber kurzsichtig bei einer Gegenüberstellung mit den Chancen, die sich durch PSD2 ergeben. Eigentlich rollt diese Position nur zwei grundlegende Fragen auf: Macht es für die Schweiz Sinn, eine Regelung in ihr Regelwerk aufzunehmen, die in einem anderen politischen und sozialen Umfeld – nämlich dem der EU – entstanden ist, bei dem sich die Notwendigkeit ergibt, die Anforderungen von 27 voneinander sehr unterschiedlichen Ländern unter einen Hut zu bringen? Oder in anderen Worten, macht es für die Schweiz Sinn, gesetzliche Massnahmen zu ergreifen – oder wäre es vielleicht nützlicher und effizienter, sich nur auf der Ebene von Regelungen zu bewegen?

PSD2 ist ein Gesetz, das seit 3 Jahren darauf wartet, von der EU übernommen zu werden und bei dem eine Reihe von technischen Regulierungsstandards der Europäischen Bankenaufsicht ausgearbeitet wurde. Diese stammen allerdings ausschliesslich aus einem reinen Bankenkontext, technische Vorgaben, ohne übermässige Einmischungen seitens der Politik.

Der Weg in die Schweiz wäre bereits geebnet: Es ginge um die Ausarbeitung einer Interbank-Regelung unter der Kontrolle der FINMA, die kein Gesetz, sondern nur eine Regelung nach den Regulierungsstandards der Europäischen Bankenaufsicht und den Richtlinien der EPC darstellen, wobei nur geringfügige Anpassungen im Sinne einer Harmonisierung der neuen Regelung an die Schweizer Realität notwendig wären. Im Übrigen überwacht die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA bereits den Wandel der digitalen Finanztechnologie und die Öffnung der Interbanksysteme und ich kann mir gut vorstellen, dass in nächster Zeit ein Rundschreiben startet, das sich mit dieser Thematik befasst, ohne die Schweiz sinnloserweise in die komplexen politischen Diskussionen der EU miteinzubeziehen.
 

Wird die PSD2 in ihren Auswirkungen generell überbewertet oder ist es tatsächlich eine umwälzende Neuerung?

Das ist sicherlich eine umwälzende Neuerung. Nicht vom technischen Standpunkt gesehen (die erforderlichen technischen Voraussetzungen sind grösstenteils im derzeitigen Interbankmodell bereits vorhanden), sondern was die Formalisierung und Autorisierung der Disintermediation auf dem Zahlungssektor betrifft. Die Schaffung von wettbewerbsfähigen Modellen innerhalb eines tendenziell oligopolistischen Marktes ist sicherlich ein grosser Ansporn.
 

Welche Rolle wird Open Banking in fünf Jahren in Europa im Allgemeinen und in der Schweiz im Besonderen spielen?

Es wird ein wichtiger Teil eines weitaus umfangreicheren Projekts sein, das Open Banking als bedeutende Komponente für die Schaffung einer neuen Integrationslogik in der Dienstleistungskette des Finanzbereichs sieht, zu denen Instant Payment, die Integration von Krediten/Zahlungen, eine Profilerstellung der Kunden nach Berufsgruppen und nicht nach Einkommens- oder Vermögengruppen, die Entwicklung von Transaktionen mittels Blockchain- bzw. DLT-Technologie zählen (siehe die neuesten SWIFT-Projekte mit BNP).

Nun muss die Schweiz entscheiden, welche Rolle sie in einem Spiel übernehmen möchte, bei dem sie mitspielen muss: ob sie lieber Trendsetter sein möchte oder ein Akteur unter vielen. Das Schweizer System würde ihr zweifellos die Führungsrolle zusichern.
 

Was wir nicht gefragt haben, was jedoch Ihrer Meinung nach zum Thema PSD2 oder Open Banking unbedingt gesagt gehört:

Man muss das Verhältnis zwischen PSD2 und Open Banking bedenken, aber auch die jeweilige Eigenständigkeit derselben. Die politische Bedeutung der PSD2 darf nicht den grossen Geschäftswert von Open Banking in Frage stellen. So wie der rein finanztechnische Ansatz nicht die systemische Vision beeinträchtigen darf, die dem gesamten angeschlagenen Ökosystem durch das Szenarium der heutigen Entwicklung auferlegt wird, welches nicht nur die Finanzwelt, sondern auch den Einzelhandel und die B2C-Modelle betrifft, aber sich auch an die B2B-Modelle und die öffentliche Verwaltung wendet.

Der Interviewpartner: Rosario Piazzese

Rosario Piazzese, 50, Diplom in Philosophie und Mathematik, MBA, mit 25 Jahren Bank- und Finanzerfahrung. Zunächst als Senior Manager und Director bei Deloitte Consulting, dann als Generalunternehmer und Geschäftsführer von Codd & Date Suisse, einem auf Governance, Risk und Compliance spezialisierten Beratungsunternehmen im Finanzsektor mit Sitz in Zürich und Lugano. 

Rosario Piazzese arbeitet seit vielen Jahren in den wichtigsten Fragen der Banken-Compliance sowohl in der Europäischen Union als auch in der Schweiz und verfolgt die wichtigsten Arbeitstische zur digitalen Evolution von Zahlungssystemen.