Die Mobilität der Zukunft: Ein holpriger Weg voller Chancen

Symbolbild für die Mobilität der Zukunft
Bild: Nikada | Getty Images

Gastautor Michael Barr benennt die zahlreichen Hürden unterwegs zur Mobilität der Zukunft, sieht den Weg länger als gedacht, erkennt aber auch Chancen.

Die globale Automobilindustrie steht heute vor einer Reihe ernsthafter Probleme: Zum einen zahlen die Menschen momentan noch einen sehr hohen Preis, um mobil zu sein. Weltweit gab es allein im letzten Jahr etwa 1,2 Millionen Verkehrstote – das bedeutet, dass auf unseren Strassen alle 24 Sekunden ein Mensch ums Leben kommt. Zum anderen ist die gesamte Automobilbranche extrem schmutzig und für einen grossen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich. Auserdem ist sie ineffizient – das äussert sich vor allem in Staus und langen Wartezeiten. 

Im Vordergrund stehen Lösungen für Sicherheit, Klima und Effizienz

Um sich mit den Herausforderungen der Mobilität der Zukunft vollumfänglich auseinanderzusetzen, müssen daher vor allem Lösungen in den Bereichen Sicherheit, Klima und Effizienz gefunden werden. Gelingt es, diese Möglichkeiten zu identifizieren, können sie den Weg in eine radikal veränderte Transportindustrie ebnen.

Sicherheit: Menschliche Unachtsamkeit verursacht etwa 95 Prozent aller Verkehrsunfälle. Hier versprechen Fahrassistenzsysteme eine deutliche Reduzierung. Beispielsweise erkennen autonome Bremssysteme, ob der Fahrende auf eine bevorstehende Gefahr reagiert. Bei Bedarf verlangsamen die Systeme das Fahrzeug oder bringen es zum Stoppen. Andere Sicherheitseinrichtungen wie der Toter-Winkel-Assistent vermeiden Kollisionen, indem sie zum Beispiel rechtzeitig ein Warnsignal senden.

Klima: Elektrofahrzeuge gelten als Schlüsselwaffe im Kampf gegen die globale Erderwärmung. Sie sind vor allem dann ein sehr sauberes Verkehrsmittel, wenn sie ihren Strom aus Sonnen- oder Windenergie tanken. Daher verlangen auch immer mehr Regierungen von den Automobilherstellern, dass sie den CO2-Fussabdruck ihrer neuen Fahrzeuge reduzieren. Diese haben nach dem Dieselskandal ohnehin mit abnehmender Popularität zu kämpfen, weshalb sie ihre Hoffnung in den Verkauf von Hybrid- und Elektrofahrzeugen setzen. 

Effizienz: Heute verschwenden Millionen von Menschen ihre Zeit in Staus, die durch Unachtsamkeit, unvorhersehbares Fahrverhalten oder Gaffer noch verschlimmert werden. Wenn Autos einmal in der Lage sind, miteinander und der umgebenden Infrastruktur zu kommunizieren, sollten viele dieser Probleme verschwinden. Insgesamt haben selbstfahrende Autos daher das Potenzial, die Auslastung von Fahrzeugen in Zukunft drastisch zu steigern, den Bedarf an Parkflächen in Städten zu verringern und das Strassenverkehrsnetz produktiver zu erschliessen. 

Überschätztes Potenzial 

Trotz all dieser Potenziale rund um das Thema Mobilität der Zukunft waren Analysten und die Medien bisher zu optimistisch. Heute ist klar, die zu bewältigenden Herausforderungen sind grösser als gedacht.  

Eine vollständige Automatisierung von Fahrzeugen erfordert zum Beispiel nicht nur die Fähigkeit, GPS-Anweisungen stumpf zu befolgen, sondern auch die Fähigkeit, in Zehntelsekunden sowohl auf andere Verkehrsmittel als auch auf Fussgänger zu reagieren – und das ganz unabhängig vom Wetter. Neben der kontinuierlichen Weiterentwicklung unterschiedlichster Fahrassistenzsysteme wird letztlich die 5G-Technologie entscheidend sein, um diese Herausforderungen zu überwinden und tatsächlich zur Vollautomatisierung zu gelangen. 

Dahingegen ist beim Thema Elektroautos die grösste Herausforderung seit Jahren bekannt: Wie stellt man einen Akku her, der leistungsstark ist, sich schnell auflädt, bei voller Ladung lange Distanzen übersteht, gleichzeitig aber sicher und erschwinglich ist? Leider stehen diese Eigenschaften nach dem derzeitigen Stand der Batterietechnologie oft im Widerspruch zueinander. Ein Beispiel: Um die Leistung und Reichweite einer Standard-Lithium-Batterie zu erhöhen, könnte beispielsweise der Kobaltgehalt verringert und der Nickelgehalt erhöht werden; jedoch beeinträchtigt dieser Vorgang die Stabilität und Haltbarkeit der Batterie. Momentan schlagen sich die hohen Herstellungskosten daher auch im Kaufpreis nieder, was viele potenzielle Interessenten vom Kauf eines Elektrofahrzeuges noch abschreckt.

Auch hinsichtlich der Ressourcennutzung des Stromnetzes verlieren E-Fahrzeuge an Attraktivität. Länder wie Deutschland sind zum Beispiel noch stark auf Kohle als sekundäre Stromquelle angewiesen und schädigen damit gleichzeitig den sauberen Ruf ihrer elektrifizierten Fahrzeuge. Um die Verbraucherinnen und Verbraucher vom Kauf eines E-Autos zu überzeugen, muss daher nicht nur die Anzahl der Ladestationen erhöht, sondern insbesondere auch der Einsatz erneuerbarer Energiequellen berücksichtig werden. 

Insgesamt erlebt Europa aber momentan einen enormen Schub in Richtung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Der Dieselskandal scheint hier ein wichtiger Katalysator gewesen zu sein. Im Zuge des Skandals konnte Toyota 2018 beispielweise den Anteil seiner europäischen Kundschaft, die sich für die Hybridvariante ihrer Automodelle entschieden haben, von etwa 20 auf 70 Prozent erhöhen. Gleichzeitig steigen aber auch die von der Europäischen Union vorgeschriebenen Grenzwerte für die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Neufahrzeugen weiter an, was die Hersteller zwingt, Hybrid- und vollelektrische Autos anzubieten. 

Facettenreiches Investitionspotenzial

Angesichts der staatlichen und privaten Nachfrage nach Elektrifizierung kann von einer anhaltenden Investitionsbereitschaft der Hersteller beim Verkauf von Fahrzeugen ausgegangen werden. Dies kommt letztlich sowohl den Herstellern von Batteriematerialien als auch den Lieferanten von Ladegeräten und anderen Schlüsselkomponenten zugute. 

Enormes Investitionspotenzial haben auch Unternehmen, die wichtige Soft- und Hardware in den Bereichen Fahrerassistenten und Sicherheitsfunktionen anbieten. Denn obwohl die Vollautomatisierung noch in weiter Ferne liegt, erfreuen sich diese Funktionen bei den Kunden grosser Beliebtheit und dürften daher ein starkes Wachstum verzeichnen.

Ausserdem ist die Vollautomatisierung von Fahrzeugen stark abhängig von der vollständigen Integration der 5G-Technologie in das gesamte Infrastrukturnetz. Bis es soweit ist, können noch etwa zehn Jahre vergehen und Anleger müssen sich bis dahin mit kleinen Fortschritten zufriedengeben, wie zum Beispiel mit Robo-Taxis, die sich auf vordefinierte Routen beschränken. 

Die Mobilität der Zukunft ist multidimensional und stellt Investoren vor grosse Herausforderungen. Sie erfordert Verständnis für eine Reihe von unterschiedlichen Branchen, von Technologieunternehmen bis hin zu Energie- und Materialherstellern. Der Weg dorthin mag holprig und lang sein, er bietet aber auch Chancen für diejenigen, die den Weg mit ihrer Expertise und tiefgreifenden Fachkenntnissen zu navigieren vermögen. 

Der Autor: Michael Barr

Michael Barr ist Managing Director und Portfolio Manager des Next Generation Mobility Fonds. Barr kam 2006 zum unabhängigen US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman und ist dort Senior-Research-Analyst für das Global-Equity-Team. Zu seinen Verantwortlichkeiten gehören die Bereiche zivile Luftfahrt, Fluggesellschaften, Verteidigung, Transportwesen sowie Spezialmetalle.

Vor seiner Tätigkeit bei Neuberger Berman verbrachte Barr zwei Jahre als Research-Analyst bei Shockoe Capital in Richmond, Virgina. Von 1999 bis 2004 war er zudem Associate-Analyst bei der Prudential Equity Group in New York, wo er sowohl den Luft- und Raumfahrt- als auch den Verteidigungs- sowie den Transportsektor und Fluggesellschaften betreute. Michael Barr erwarb 1999 seinen BA in Wirtschaftswissenschaften an der University of Virginia.