Postfinance probt den Spagat auf sehr dünnem Eis

Quelle: Youtube

Wie positioniert sich die Postfinance in Zukunft – in der Nähe einer Challenger-Bank oder als traditionelle Bank mit neuen Gebühren und Strafzinsen?

Das scheint die Postfinance auch nicht so genau zu wissen, im Moment will sie beides. Einerseits präsentiert sie sich aktuell als moderne junge Digitalbank mit smarten Leistungen, welche jüngere Zielgruppen mit fetzigen und bunten TV-Spots überrascht, welche im Stil von Challenger-Banker daherkommen.

Auf der anderen Seite kündigt die Bank an, ihre traditionellen Kunden ab 1. Dezember 2019 über eine tiefergesetzte Guthabenschwelle mit Strafzinsen zu belasten.

Das Problem dabei: Die Postfinance ist eine einzige Bank, ohne ausgelagerte Challenger-Bank auf der grünen Wiese. Die Konten für "Challenger"-Kunden unterscheiden sich nicht von jenen der traditionellen Kunden. Nur die Botschaften und die Inhalte kommen im Moment völlig unterschiedlich daher.

Damit probt die Postfinance einen Spagat auf sehr dünnem Eis. Die Bank richtet sich mit völlig unterschiedlichen Botschaften über dieselben Kanäle an verschiedene Kundengruppen mit dem Effekt, dass dasselbe Produkt in wechselnden Gewändern etwas orientierungslos über den Laufsteg stolpert.

Schon klar, Absicht ist das nicht – aber wenn am selben Tag Tagesschau oder andere Medien "X" kommunizieren und die Postfinance im Werbeblock "U" sagt, hinterlässt das einigermassen verwirrte Zielgruppen.

Zuerst die fetzigen Attitüden der Challenger-Bank

Die Challenger-Bank N26 wirbt seit längerem mit dem Slogan "Die erste Bank, die du lieben wirst". Postfinance adoptiert das Liebeswerben der Neo-Bank und setzt nun ebenfalls auf forcierte Gefühle, die Nutzer dem digitalen Banking entgegenbringen sollen. 

Mit der aktuellen Kampagne fährt die Postfinance in Sachen Tonalität und Ansprache generell auf der Schiene der Challenger-Banken, sagt selbstbewusst "Wer mich kennt, liebt mich" und liefert sämtliche Gründe, weshalb das was werden könnte mit der neuen Liebe.

Der aktuelle TV-Spot inszeniert in knalligen Farben und lockeren Sprüchen das Digitale Banking der Postfinance.

Etwas irritierend ist einzig die Aussage des sprechenden Kontos, das mitten im Spot defensiv operiert und sagt: "...bin besser als mein Ruf". Welcher Ruf ist hier gemeint? Der Ruf der Gebühren, die bei Challenger-Banken gegen Null tendieren oder zumindest sehr günstig ausfallen – bei der Postfinance jedoch in die andere Richtung klettern? Diese Antwort bleibt das digitale Konto schuldig.

Und jetzt die schlechten Nachrichten der traditionellen Bank

Das generelle Negativzins-Umfeld braucht hier nicht weiter thematisiert zu werden. Ebenso wenig die missliche Lage der Postfinance, die immer noch keine Kredite und Hypotheken vergeben darf. Das eine wie das andere ist bekannt und Fakt.

Neue Gebühren hat die Postfinance bereits Anfang 2019 eingeführt. War die Kontoführung früher kostenlos, ein starkes Plus für die Bank, werden seit Januar 2019 neu 60 Franken pro Jahr belastet.

Seit Anfang November und auch aktuell geht die Meldung durch die Medien, dass die Postfinance neu und ab 1. Dezember 2019 ihre Kunden bereits bei Guthaben von 250'000 Franken (zuvor 500'000 Franken) mit Strafzinsen belasten will. Gegenüber der Tagesschau von SRF sagt die Postfinance:

Bei Kundinnen und Kunden, die nur Liquidität bei uns parkieren, setzen wir den Schwellenwert neu bei 250'000 Franken an

Die Bank nennt das "Guthabengebühr", Kunden sehen diese Gebühr als Strafzinsen. Zumal die Postfinance gegenüber Blick bestätigt, dass die Bank mit dem satten Satz von "1 Prozent" zulangen will.

In keiner Weise gemildert werden die schlechten Nachrichten durch die Aussage der Postfinance gegenüber SRF, wie die Strafaktion verhindert werden könnte:

Bei jenen, die aktiv mit uns zusammenarbeiten und eine breite Palette unserer Produkte, Dienstleistungen und Services nutzen, gilt weiterhin ein Schwellenwert von 500'000 Franken

Nur schon deshalb nicht, weil das Damoklesschwert der Strafzinsen weiterhin schwebt, einfach etwas höher. Zudem klingt die Aufforderung, dass Kunden eine "breite Palette von Produkten und Services" zu nutzen hätten, um Strafzinsen (oder auch Kontoführungsgebühren) zu entrinnen, nicht unbedingt einladend.

Für zahlreiche Kontoinhaber und Sparer steht die finanzielle Welt seit längerem etwas auf dem Kopf. Sie haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie für ihr Geld praktisch keine Zinsen erhalten. Je nach Temperament investieren sie ihre Bareinlagen in Wertpapiere und andere Anlagen – oder eben auch nicht.

So oder so werden sie sich kaum mit dem Gedanken anfreunden können, dass sie für das Geld, das sie ihrer Bank anvertrauen, ebendieser Bank Strafzinsen mit der Deklaration "Guthabengebühren" abliefern sollen. Diesen Akt, den nicht wenige als "Raubzug" empfinden, werden sie ihrer Bank übelnehmen. Ziemlich sicher ist das Durchsetzen der Strafzinsen auf immer tieferem Level eine geeignete Massnahme, um den emotional aufgeladenen Begriff "meine Bank" zu pulverisieren. Schade, in vielen Fällen hat es Jahre und Jahrzehnte gedauert, bis eine Bank zu "meiner Bank" geworden ist. 

Die Moral von der Geschichte eines misslungen Spagats

Jede Bank hat ihre individuelle Aufwand- und Ertragsrechnung und auch ihr individuelle Politik und Marketing-Strategie. Das soll so sein, jedoch darf nicht durchwegs und für alle Massnahmen mit dem Verständnis der betroffenen Kundengruppen gerechnet werden. Auch dann nicht, wenn diese Massnahmen aus Sicht der jeweiligen Bank als dringend notwendig betrachtet werden.

Wir von der Redaktion sehen in weiterbelasteten Negativzinsen und sinkenden Schwellenwerten ein erhebliches Risiko, das Finanzinstitute eingehen. Verstärkt noch dadurch, wenn die Belastungen einzelner Institute höher liegen als das Level der effektiven Negativzinsen.

Ob die Erziehungs- und Disziplinierungs-Massnahmen greifen und bei Schweizer Kunden als Marketing-Botschaft ankommen, jetzt doch einfach Investitionen in Anlagen zu tätigen und sonstige Services zu nutzen, damit alles gut wird, darf bezweifelt werden.

Zudem probt die Postfinance hier exemplarisch einen Spagat auf sehr dünnem Eis, der kaum funktionieren wird – das Eis könnte an mehreren Stellen gleichzeitig einbrechen. Ein und dieselbe Bank, mit ein und demselben Kontoangebot bläst zur gleichen Zeit zwei völlig unterschiedliche Botschaften in die Welt hinaus:

Traditionelle und bestehende Konto-Kunden werden aufgefordert, sofort mehr Leistungen zu nutzen, sonst wird's teuer, ihr Konto wird mit neuen Gebühren belastet und ihr Geld wird weniger.

Jüngeren Kundengruppen und neuen Segmenten wird dasselbe Konto als hip, trendy, smart und lässig verkauft, "...besser als mein Ruf", ganz im Stil des Werbegrooves einer Challenger-Bank. Im TV und über andere Kanäle, welche die gepiesakten "Alten" und die umworbenen "Jungen" zur gleichen Zeit nutzen. 

Mehr sichtbare Dissonanz und mehr Spagat ist fast nicht möglich.

Die Frage der Positionierung

Vielleicht eine gute Idee, wenn das "Digital Powerhouse" nochmals etwas Power zurücknehmen würde, um zuerst in Ruhe die eigene Positionierung zu überdenken. Was will die Postfinance sein oder zu welchem Typ Bank will sie werden? Wie und mit welchen Geschäftsmodellen genau? Und für wen genau? 

Da bestehen zahlreiche Möglichkeiten. Die Postfinance ist, aller aktuellen Hürden und Schwierigkeiten zum Trotz, grundsätzlich sehr gut aufgestellt. Deshalb sind wir gespannt.

Einzig der Weg, als ein und dieselbe Bank innerhalb der laufenden Aufführung vor grossem Publikum die Gewänder und die Ansprache zu wechseln, dürfte sich als schwieriger Pfad erweisen. Ein Weg, der auf Kosten der Glaubwürdigkeit gehen und dazu führen könnte, weder von den "Alten" noch von den "Jungen" verstanden zu werden.