E-Voting: Wann können Schweizerinnen und Schweizer endlich elektronisch abstimmen?

Computer-Tastatur mit Taste Electronic Vote
Bild: ponsuwan | Getty Images

E-Voting ist in der Schweiz seit Jahren schon ein Dauerbrenner-Thema, bisher ohne flächendeckende Lösung – die Bevölkerung scheint langsam ungeduldig zu werden.

Was die Bevölkerung in Estland seit Jahren (2005) schon kann, elektronisch abstimmen, ist in der Schweiz bisher nicht über Experimente und Pilotversuche hinausgekommen. Seit 2004 wird gepröbelt und getestet – bisher haben in über 300 Versuchen insgesamt 15 Kantone jeweils für einen Teil der Stimmberechtigten E-Voting geöffnet. Fakt bleibt, fast zwei Jahrzehnte Experimentallabor und Teststrecke waren nicht genug, E-Voting ist in der Schweiz weiterhin nicht möglich.

Ob die bisherige Halbherzigkeit nun tatsächlich durch Entschlossenheit ersetzt werden kann, bleibt noch abzuwarten. Immerhin hat der Bundesrat im April 2021 die Weichen für "eine stabile Grundlage für den E-Voting-Versuchsbetrieb" gestellt, Details dazu bei eGovernment Schweiz. Dennoch dürfte es noch Jahre dauern, bis E-Voting in der Schweiz zu den wählbaren Selbstverständlichkeiten gehört.

Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung will digital abstimmen

Dass Frau und Herr Schweizer fürs E-Voting weder besonders sensibilisiert noch überredet werden müssen, zeigt eine aktuelle und repräsentative Umfrage von Deloitte: 84 Prozent der Befragten geben an, dass sie ihre Stimme gerne elektronisch abgeben möchten.

Die Deloitte Swiss Digital Government Study 2021 liefert weitere bemerkenswerte Einsichten. Die Corona-Pandemie hat nicht nicht nur das Einkaufs- und Zahlungsverhalten verändert, auch der Hunger nach staatlichen digitalen Dienstleistungen ist deutlich grösser geworden. Interessanter Kontrapunkt: Parallel zum Wunsch nach mehr Digitalisierung und abrufbaren staatlichen Services ist bei 21 Prozent der Befragten das Vertrauen in digitale Dienstleistungen der Behörden während der Pandemie stark gesunken – viele nennen Cybersicherheit und Datenschutz als zentrale Gründe.

Hier sind die Behörden gefordert, nicht nur effiziente und nutzerfreundliche digitale Lösungen zu schaffen, sondern auch den Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Risiken von Cyber- und Datensicherheit Rechnung zu tragen.

Die Bevölkerung wünscht sich schweizweit einheitliche Services vom Staat

Eine sehr deutliche Mehrheit der befragten Personen wünscht neue Dienstleistungen, die über die bereits bekannten und gut genutzten E-Government-Dienste hinausgehen. Die Corona-Pandemie scheint sich zum Katalysator für Digitalisierung und damit auch für neue staatliche E-Services zu entwickeln. So sagen beispielsweise 84 Prozent, dass sie auch den Pass oder die ID gerne vollständig digital bestellen möchten, ohne noch aufs Passbüro gehen zu müssen.

Die Umfrage zeigt, dass für bestehende und für neue Dienstleistungen der Staat als Anbieter stehen soll. Explizites Ergebnis der Studie: 86 Prozent der Befragten wollen, dass digitale Dienstleistungen von einer staatlichen Stelle und nicht durch private Unternehmen angeboten werden.

Rolf Brügger, Director für Government & Public Services bei Deloitte Schweiz, zum Thema:

«Unsere Umfrage zeigt eine noch viel stärkere Skepsis als bei der der Volksabstimmung zur E-ID vom letzten Frühling, wo sich bereits eine klare Mehrheit der Bevölkerung dagegen aussprach, E-Government-Dienste durch private Unternehmen anzubieten»

Was schätzen Nutzerinnen und Nutzer des digitalen Schalters?

Die Befragten sehen viele und weitreichende Vorteile in den digitalen Dienstleistungen der Behörden. Neben Einfachheit (68 Prozent) und Selfservice (68 Prozent) stehen vor allem die Effekte von Zeitersparnis (72 Prozent), örtlicher Flexibilität (72 Prozent) und zeitlicher Flexibilität (75 Prozent) im Vordergrund. Nur ein eher geringer Anteil von durchschnittlich rund acht Prozent erkennt in digitalen Dienstleistungen der Behörden keinen Mehrwert.

Die Grafik zeigt im Detail, welche Aspekte im Zusammenhang mit digitalen Dienstleistungen der Behörden für Nutzerinnen und Nutzer eine Rolle spielen.

Klarer Auftrag an die Behörden

Zahlreiche Serviceleistungen werden von Behörden bereits digital zur Verfügung gestellt – diese sind auch weitgehend bekannt, werden geschätzt und zunehmend stark genutzt. 

Inzwischen scheinen jedoch die Ansprüche der Bevölkerung den digitalen Innovationswillen des Staates und der Behörden überholt zu haben. Klare Strategien und forciertes Tempo bei der Einführung neuer E-Services sind gefragt – und: Ja, E-Voting gehört mit dazu. Ein guter Zeitpunkt, die nun schon fast zwei Jahrzehnte andauernde Experimentalphase durch konkrete Pläne, Ziele und Lösungen zu ersetzen.

Der baltische Kleinstaat Estland hat Abstimmen, Gesundheit, Steuern, Recht, eID und mehr sowie sämtliche damit verbundenen Behördengänge schon längst in einen digitalen One Stop Shop gestellt. Nahezu alles, was die Bevölkerung im Kontakt mit Staat und Behörden braucht, ist via Smartphone oder PC ansteuerbar und durchführbar. Estland als Pionier und Vorreiter hat sehr viel Erfahrung, wie sich ein Staat digitalisieren und mit seiner Bevölkerung verbinden lässt.

Bekanntermassen sind die Verantwortlichen in Estland sehr auskunftsfreudig und auch kooperativ. Ein Know-how-Transfer könnte helfen, digitale Projekte auch hierzulande zu beschleunigen.