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Warum sich alle Jungunternehmerinnen und Gründer von Startups die "Höhle der Löwen" Schweiz ansehen sollten

Das Gründerteam des Startups Noii in der "Höhle der Löwen" Schweiz
Das Gründerteam des Startups Noii in der "Höhle der Löwen" Schweiz | Bild: CH Media

Die Gründershow ist mehr als blosse Unterhaltung – für Startups ist die "Höhle der Löwen" auch eine Trainingsstrecke für den Umgang mit Investoren.

In der Gründershow die "Höhle der Löwen" Schweiz pitchen Startups aus verschiedensten Sparten und versuchen, Investorinnen und Investoren für ihr Unternehmen und ihre Vision zu gewinnen. Der Unterhaltungsaspekt ist notwendiger Teil des Formats, um gute Zuschauerquoten zu generieren. Diese bringen den pitchenden Startups Breite und Bekanntheit.

Der wirklich interessante Aspekt für Jungunternehmerinnen und Gründer unter den TV-Zuschauern liegt jedoch nicht primär in der Unterhaltung, vielmehr in realen Lerneffekten. Vor allem auch für den eigenen Umgang mit Investoren. Die Startups in der Sendung liefern exemplarische Fallstudien: Warum kommt ein Pitch gut an – oder eben nicht? Auf was reagieren Investorinnen und Investoren gut, wie kann man sie verärgern? Wie können die Chancen deutlich erhöht werden, ein Investment an Land zu ziehen?

Wer regelmässig reinschaut, kennt die wichtigsten Triggerpunkte, die in der eigenen Praxis und ausserhalb von TV-Formaten den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen können. Das kann helfen, beim Pitch für das eigene Startup gut vorbereitet zu sein, wesentliche Fehler zu vemeiden und nicht in selbst gestellte Fallen zu tappen.

Die zweite Folge der vierten Staffel ist auch in dieser Hinsicht spannend: neben interessanten Startups und ihren Geschäftsmodellen zeigen sich auch hier die zentralen Faktoren, die einen Deal begünstigen oder unmöglich machen können.

Noiii: Die erste Video-Dating-Plattform der Schweiz

Die Gründerin Laura (22) und Mitgründer Thomas (29) präsentieren Noii, ihre videobasierte Online-Dating-Plattform. Eine Mischung zwischen Tinder und Speed Dating mit dem Unterschied: Singles sehen sich über Video, bevor sie sich live treffen. Letzteres tun sie nur dann, wenn sie von Eindruck, Stimme, Gestik, Mimik ihres Gegenübers angetan sind und nach ihrem ersten Videogespräch Gründe dafür finden. Laura zum bestechenden Unterschied zu "normalen" Dating-Plattformen:

Fünfzig Prozent aller Singles auf Dating-Plattformen lügen, sie machen sich besser und schöner als sie sind

Die beiden Gründer liefern eine coole Präsentation mit Humor und Witz – und nehmen mit ihrer Idee die Investoren für sich ein. 150'000 Franken für 5 Prozent der Firmenanteile sind allerdings zu hoch gegriffen, zumal noch einiges investiert werden muss, um das Konzept skalierbar zu machen und auch in andere Länder zu bringen.

Esprit und Charme des Duos lässt aktuell noch existente Defizite in Konzept und Technologie in den Hintergrund rücken, eine Löwinnen und ein Löwe sind motiviert, der Idee in der Schweiz und auch international zum Durchbruch zu verhelfen.

Deal: Die zu hohe Bewertung wird nicht zum Stolperstein, sondern einfach nach unten korrigiert. Diese "Grosszügigkeit" hängt damit zusammen, dass die Idee als smart und ausbaubar betrachtet wird und das Team frisch, dynamisch und glaubwürdig rüberkommt. Roland Brack und Anja Graf steigen gemeinsam ein – allerdings nicht für die von den Gründern offerierten 5, sondern für 10 Prozent der Unternehmensanteile. Die beiden Investoren bringen je CHF 100'000 ein und erhalten dafür je 5 Prozent der Firmenanteile.

Nager's Wiesenbackstube: Handgemachte Nager-Leckerli

Natürliches Futter für alle möglichen Nagetiere und Kaninchen, handgemachte Nager-Leckerli, mit vielen Rohstoffen aus der Schweiz. Aus Nager's Wiesenbackstube kommen verschiedene Produkte unter dem Motto: "Vom Feld in die Tüte".

Die selbst backenden Manuela (37) ist eine sympathische Bernerin aus dem Emmental. Sie selbst erobert die Herzen der Löwinnen und Löwen, ihre Geschäftsidee ist etwas zu klein gedacht und ohne konkrete Marketing-Strategie kein Investitions-Case.

Fazit: Kein Deal, aber viel Support. Roland Brack nimmt die Produkte ins Sortiment seines Online-Shops auf und hilft mit beim Vertrieb. Andere Löwen bieten Unterstützung für die Gründerin mit Kontakten und öffnen Vertriebskanäle. Kein Deal ist nicht unbedingt kein Deal – wer sympathisch und vor allem auch authentisch rüberkommt, wird manchmal auf andere Weise belohnt.

Dancing Queens: Online-Shop für Tanzschuhe

Die Gründerinnen Bettina (34) und Sophie (32) haben als begeisterte Tänzerinnen eine Lücke entdeckt: für Salsa, Kizomba, Bachata, Tang und andere Tänze braucht's unterschiedliche Tanzschuhe, die praktisch nicht zu finden sind. Mit Dancing Queens schliessen sie die Lücke, ein Online-Shop, der zur grössten Tanzplattform in Europa ausgebaut werden soll.

Mit 450'000 Franken Umsatz im laufenden Jahr weist das Startup erste Erfolge vor, die jedoch noch nicht zur aufgerufenen Bewertung von 5 Millionen passen. Investor Tobias Reichmuth ärgert sich über Bewertung und Angebot: 500'000 Franken für 10 Prozent der Firmenanteile. Reichmuth will nicht in Potenzial investieren, sondern in reale Werte, sieht den Firmenwert höchstens bei 1.5 Millionen und kommentiert leicht genervt:

Das ist so weit weg, ich will nicht mal verhandeln, bin schon draussen

Das von Reichmuth angeführte Potenzial liegt in den präsentierten Ausbauplänen und der mittelfristigen Umsatzerwartung der Gründerinnen von 3.5 Millionen Franken. In Anbetracht zu hoher Firmenbewertungen sind die Löwinnen und Löwen meistens unisono und im Rudel genervt. Die bisher erreichten Meilensteine und die überzeugende Ausstrahlung der beiden Gründerinnen verhindern diesen Gruppeneffekt. Bettina Hein schlägt sogar eine ganz andere Richtung ein und sagt:

Ihr müsst ehrgeiziger sein, das sieht man häufig, vor allem bei Unternehmerinnen, die einfach nicht hoch genug zielen – 3.5 Mio Umsatzerwartung ist zu wenig, ihr müsst sagen: wir machen 20 Millionen

Reichmuth staunt und die Gründerinnen freuen sich. Lukas Speiser ist bereit, mit einer halben Million Franken einzusteigen, allerdings nicht für 10, sondern für 40 Prozent der Firmenanteile. Das Schlucken der Startup-Gründerinnen wird abgelöst durch ein weiteres Angebot.

Deal: Das zweite Angebot von Roland Brack und Bettina Hein überzeugt die tanzbegeisterten Unternehmerinnen. Brack und Hein steigen gemeinsam ein – beide investieren je 250'000 Franken und erhalten dafür jeweils 15 Prozent der Firmenanteile. 

Dokoki: Das Babyphone, das zu viel kann und will

Das App-basierte Babyphone "Sandy" des Gründers Marc (41) liefert mit integrierter Kamera Videoüberwachung, Nachtlicht, bringt mit sanften Liedern und Geräuschen Babys zum Einschlafen, soll später die Vitalwerte von Kleinkindern messen und noch so viel mehr, dass die Löwinnen und Löwen überfordert sind. Insofern überfordert, als die Hightech-Maschine in Form eines Babyphones aktuell schon fast zu viel kann und durch eher vage Pläne in Zukunft noch viel mehr können soll.

Marc, der Gründer des Startups Dokoki, möchte 500'000 Franken von den Investoren und bietet dafür 6 Prozent seiner Firmenanteile. Die stolze Bewertung des Startups von knapp 8.5 Millionen lässt sich durch den 2021 erzielten Umsatz von 357'000 Franken nicht rechtfertigen. 

Das finale Aus für eine mögliche Beteiligung kommt jedoch durch eine etwas problematische Beteiligungsstruktur: der Gründer hält nur noch 9 Prozent der Anteile seines Startups, 91 Prozent der Anteile sind durch die hohen Entwicklungskosten von 6.25 Millionen bereits platziert worden. 

Fazit: Kein Deal, weil Gründer mit Mini-Beteiligungen und überzogene Bewertungen Löwinnen und Löwen abschrecken, zudem sind bereits zu viele Investoren mit im Spiel.

Livom: Das Sofa fürs Leben

Das Startup Livom produziert das Sofa fürs Leben, um der Wegwerf-Mentalität entgegenzuwirken. Das Sofa ist modular, langlebig, nachhaltig, in Form und Funktion flexibel und deshalb mehr als nur ein Sofa. Das Gründerteam Tamara (30) und Sandro (27) hat mehrere Überraschungs-Pfeile im Köcher, die mit einer bemerkenswerten Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein abgeschossen werden.

Zum einen die Firmenbewertung: mit dem Wunsch von 600'000 Franken gegen 3 Prozent ihrer Firmenanteile rufen die Gründer eine Bewertung von 20 Millionen Franken für ihr Startup auf.

Zum anderen das fast nebenbei platzierte Statement von Sandro:

Wir sind profitabel, waren wir vom ersten Tag an, weil wir uns etwas anderes nicht leisten konnten

Und zum Dritten überzeugen die Gründer mit erstaunlichen Zahlen: Im ersten Jahr hat das Startup einen Umsatz von 8 Millionen Franken generiert, 2022 sollen 24 Millionen in mehreren Ländern erreicht werden. Die Löwinnen und Löwen sind mehr als nur erstaunt.

Roland Brack: «Klingt alles fast zu schön, um wahr zu sein»

Lukas Speiser: «Nicht ganz alles, die Bewertung von 20 Millionen ist zu hoch»

Jürg Schwarzenbach: «Eindrücklich, wie viel Umsatz die im zweiten Jahr machen, aber die Bewertung ist defintiv zu hoch»

Tobias Reichmuth: «Aus dem Ding kann man ein Unicorn bauen...»

Die Investoren beraten sich, halbieren die Firmenbewertung von 20 auf 10 Millionen, erhöhen die Kapitaleinlage von 600'000 Franken auf eine runde Million und platzieren ihr Angebot.

Deal: Das Gründerteam schlägt ein, Roland BrackLukas Speiser, Jürg Schwarzenbach und Tobias Reichmuth investieren jeweils 250'000 Franken und erhalten dafür je 2.5 Prozent der Firmenanteile.

Green Leaf: Apfel, Minze und Holunder

Das Erfrischunggetränk Green Leaf kommt mit nur drei Zutaten aus: Apfel, Minze und Holunder. Ein naturbelassenes und gesundes Getränk, das kombiniert mit der recycelbaren Glasflasche und der dezentralen regionalen Produktion auch in Sachen Nachhaltigkeit Furore machen soll. Die Gründer wünschen sich 150'000 Franken von den Investoren gegen 15 Prozent der Firmenanteile.

Das junge Gründerteam Marco (19), Aline (22) und Ismael (21) will Green Leaf zum neuen Standard in der Getränkebranche machen. Das engagierte Trio kommt bei den Investorinnen und Investoren an, ihr Getränk ebenfalls, unklare Wachstums-Strategie und massiv unterschätzte Marketingkosten dann etwas weniger.

Die Einschätzung der Löwinnen und Löwen: Cooles Team, schönes Projekt, aber Nischenprodukt und Skalierbarkeit eher schwierig – im Kleinen kann das funktionieren, im Grossen eher nicht und mit 1 Million ist die aufgerufene Firmenbewertung zu hoch.

Fazit: Kein Deal, aber eine sympathische Präsentation, neue Publizität und zusätzliche Bekanntheit für das Startup und für sein gesundes Getränk. Zudem gibt Anja Graf dem Team Unterstützung, sie will Green Leaf in ihren Firmenstrukturen etablieren.