Factoring

Betrugsfall Advanon: Welche Lücke der Betrüger ausgenutzt hat

Factoring mit Advanon
Bild: Andrey Popov | Getty Images

Ein Betrüger hat beim Zürcher FinTech Advanon einen Weg durch die Maschen der Prüf- und Kontrollsysteme gefunden.

Das FinTech Startup Advanon informiert in seinem Firmen-Blog, dass ein Betrüger mit gefälschten Rechnungen Advanon und private Investoren um einen Millionenbetrag geschädigt hat.

Der Betrüger ist offenbar mit hoher krimineller Energie, Raffinesse und Perfektion vorgegangen und hat Lücken ausgenutzt, welche das mit höheren Risiken behaftete Silent Factoring offen lässt. Wir haben die Details zum Betrugsfall recherchiert und zusammengetragen.

Das Geschäftsmodell von Advanon

Auf der Online-Plattform von Advanon finanzieren KMU über Investoren offene Debitoren-Rechnungen. Die Geschäftsidee des Crowd Factoring ist in der Schweiz gut angekommen, das Startup zählt sich heute zu den grössten Finanzierungsplattformen der Schweiz. Nach Angaben des Unternehmens ist im Mai 2018 erstmals mehr als eine Million Volumen an einem Tag finanziert worden.

Advanon bietet auf seiner Website zwei Arten der Finanzierung von Debitoren-Rechnungen an:

Vorfinanzierung
Bei der Vorfinanzierung bleibt das KMU, das seine an Kunden gestellten Rechnungen vorfinanzieren lässt, der direkte Schuldner und damit in der Pflicht für die Rückzahlung der finanzierten Beträge, inklusive Zuschlag für die Finanzierung.

Factoring
Der Kunde des KMU ist neu der Schuldner, weil die Debitoren-Rechnungen nicht vorfinanziert, sondern verkauft werden. Beim klassischen Factoring muss der Kunde ein Einverständnis zum Verkauf der Rechnungen geben und wird deshalb von Advanon kontaktiert.

Nach Angaben von Advanon besteht zusätzlich die Variante des "Silent Factoring". Bei dieser Variante werden Schuldner nicht über den Rechnungsverkauf informiert. Vor allem dieser Punkt hat beim aktuellen Betrugsfall offenbar eine zentrale Rolle gespielt.

Der Betrugsfall

Advanon bezeichnet den Betrugsfall als "umfassend" und "massiv". Nach Angaben des FinTechs hat eine Schweizer Handelsgesellschaft für Elektrobedarf über den Online-Marktplatz von Advanon angeblich offene Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Wert von rund 2,4 Millionen Schweizer Franken an 78 Privatanleger verkauft. Nach heutigem Kenntnisstand wurden diese weitgehend gefälscht, ebenso die Kontoauszüge und zahlreiche E-Mails im Auftrag namhafter Schuldner über angeblich erbrachte Dienstleistungen und Güter.

Advanon-Gründer und CEO, Phil Lojacono, zum Betrugsfall:
 

Der Betrüger handelte mit einer Menge krimineller Energie und einer hohen kriminellen Perfektion – vom Aufbau der Kundenbeziehung bis hin zur Akribie, mit der er die Dokumente gefälscht hat

Die Schwachstelle

Die beschuldigte Handelsgesellschaft hat nach Angaben von Advanon die Variante des "Silent Factoring" für ihre betrügerischen Aktivitäten gewählt und offenbar erfolgreich ausgenutzt. Möglich geworden deshalb, weil Schuldner bei dieser Variante nicht über den Verkauf ihrer Rechnungen informiert werden. Im Gegensatz zum Open Factoring, bei dem in der Phase des Nachfragens bei den Schuldnern der Schwindel mit gefälschten Debitorenrechnungen sofort aufgeflogen wäre, weil die verkauften Rechnungen schlicht nicht existieren.

Phil Lojacono zum Silent Factoring:

«Dies birgt natürlich höhere Risiken als bei Open Factoring und spiegelt sich in einer attraktiveren Rendite für die Anleger wider. Wir haben festgestellt, dass dies nicht allen Investoren bekannt ist. Aus diesem Grund werden wir in Zukunft nur noch ein diversifiziertes Portfolio anbieten, in dem die Risiken auf mehrere Rechnungen verteilt sind und nicht alle Risiken auf einzelne Rechnungen.»

Silent Factoring

Wählt ein KMU nicht die Form der Vorfinanzierung, sondern setzt auf Factoring, dürfte einer beträchtlichen Zahl von Unternehmen die Variante des Silent Factoring sympathisch sein. Aus zwei naheliegenden Gründen. Zum einen werden die Kunden des KMU nicht über den Rechnungs-Verkauf informiert – die zusätzlich geschaffene Liquidität oder eben auch ein Liquiditätsengpass werden deshalb nicht öffentlich und bleiben intern. Zum anderen dürfte es nicht jedem Rechnungsempfänger gefallen, dass eine Forderung seines Lieferanten an jemanden verkauft und abgetreten wird, den er nicht kennt.

Die beim Silent Factoring höhere Rendite mag für Anleger verlockend sein, damit werden jedoch auch markant höhere Risiken in Kauf genommen. Kann eine verkaufte Rechnung nicht direkt beim betroffenen Kunden verifiziert werden, steigt auch die Gefahr gefälschter Rechnungen und fingierter Forderungen. Hier öffnen sich Wege und Tore für raffinierte Fälscher und Betrüger.

Die kurzfristigen Konsequenzen

Der aktuelle Betrugsfall ist hart für ein junges FinTech, das smarte Dienstleistungen anbietet und damit erfolgreich im Markt operiert. Advanon stellt sich den aktuellen Realitäten, wählt die einzige richtige Kommunikations-Strategie und informiert offen über den Fall. 

Advanon hat zusammengetragene Beweise bereits der Staatsanwaltschaft übergeben. Betroffene Investoren sind sofort informiert worden, ebenso die FINMA. Das FinTech bedauert, dass es involvierte Investoren nicht vor dieser Straftat schützen konnte, obwohl es der Sorgfaltspflicht stets nachgekommen wäre und bei der Vermittlung der Geschäfte mit der gebührenden Sorgfalt gehandelt habe. Die Leitung von Advanon unterstreicht, alles daran zu setzen, um den Geschädigten zu ihrem Recht zu verhelfen.

Zudem hat Advanon angekündigt, in Zukunft nur noch institutionelle Investoren auf seiner Plattform zuzulassen.

Crowd-Plattformen besonders betroffen?

Den bereits gestern gehörten Unkenrufen, dass die Bereiche Crowdfunding, Crowdlending oder andere Peer-to-Peer-Plattformen besonders anfällig für Betrügereien wären, darf man entgegenhalten:

Betrüger mit hoher krimineller Energie nutzen jede Lücke, die sich bietet. Lücken gibt's in klassischen und in neuen Geschäftsmodellen. Diese Schwachstellen zu erkennen und zu schliessen, gehört in beiden Welten zu den Selbstverständlichkeiten. Die Methoden dazu sind sicher unterschiedlich, weil die Prozesse nicht vergleichbar sind.

In diesem Zusammenhang die "alte" Welt gegen die "neue" Welt auszuspielen, greift jedoch zu kurz. Klassische und neue digitale Geschäftsmodelle stellen unterschiedliche Anforderungen und bieten ebenso unterschiedliche Risiken – der Wille und die Entschlossenheit, Verfahren sicherer zu machen und Betrügern keine Chance zu lassen, sind in beiden Bereichen im selben hohen Masse vorhanden. In der Umsetzung mit vereinten Branchen-Kräften, im eigenen und im Interesse der Kunden.

Advanon-CEO Phil Lojacono kommentiert abschliessend:

«Als junges und aufstrebendes Unternehmen ist das ein schwerer Rückschlag für uns. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass unsere Agilität, schnelle Lernkurve und gute Kundenbeziehungen uns aus dieser Erfahrung gestärkt hervorgehen lassen werden.»