Firmenbewertungen

Ist Patrizia Laeris Startup ElleXX 16 Millionen wert – oder eher eine "Luftnummer"?

ElleXX-Gründerinnen Simone Züger, Nadine Jürgensen, Patrizia Laeri (Bild: ElleXX)

Das Thema der Bewertung von Startups hat durch mehrere Crowdinvesting-Kampagnen neue Aktualität bekommen – eine Einordung.

Die stolze Bewertung von 16 Millionen Franken kommt vom Startup selbst im Zusammenhang mit seiner laufenden Crowdinvesting-Kampagne, MoneyToday.ch hat berichtet, hier und hier. Die Etikette der vermuteten "Luftnummer" kommt von Leserkommentaren auf Inside Paradeplatz.

Der Versuch einer Einordung zu Firmenbewertungen im Allgemeinen und zur Bewertung von Startups mit laufenden Funding-Kampagnen im Besonderen.

Wie werden Unternehmen bewertet?

Um pauschal zu bleiben: völlig unterschiedlich. Verschiedene Ansätze wie Substanzwert- oder Ertragswert- oder Multiplikatormethode und weitere Rezepturen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Methoden werden oftmals kombiniert und mit Meinung, Erfahrung und vermuteten Potenzialen angereichert.

Nach bewährten Schlüsseln spielen jedoch Vermögenswerte, Erträge und Umsätze, Gewinne und realistische Zukunftsaussichten die zentralen Rollen, um einen faire Bewertung zu ermitteln.

Andere Methoden bei Startups in Zeiten des billigen Geldes

VC- und professionelle Investoren haben ihre Startups und FinTechs in Zeiten des billigen und verfügbaren Geldes nach völlig anderen Regeln bewertet. Nach jeder neuen Finanzierungsrunde sind für schnell wachsende Startups teilweise abenteuerliche Bewertungen aufgerufen worden, die sich oftmals nicht an konkreten Erträgen und schon gar nicht an nicht vorhandenen Gewinnen orientiert haben, lediglich am Glauben an die Potenziale der Zukunft. Dabei war mit Blick auf Börsengänge auch Kalkül im Spiel. Ein gehyptes FinTech mit hoher Bewertung spielt bei einem Börsengang mehr Kapital in die Kassen der Investoren, als ein zurückhaltend bewertetes Unternehmen.

Die Übertreibungen der Vergangenheit haben wir verschiedentlich thematisiert. Der Markt korrigiert sich inzwischen allerdings selbst. Veränderte Zinsumfelder, eingetrübte Aussichten für zahlreiche FinTechs und ein von den Investoren verordneter Strategiewechsel von ungebremstem Wachstum zu Profitabilität für ihre Startups und FinTechs, lässt die hochfliegenden Bewertungen aus früheren Zeiten verblassen.

Revolut, N26, Bitpanda und auch weniger bekannte Startups und FinTechs werden teilweise immer noch hoch, aber meistens nicht mehr in abenteuerlich hohen Sphären bewertet. Eine der massivsten Korrekturen hat das Riesen-FinTech Klarna einstecken müssen. Neben weiterhin starkem Wachstum haben Investoren beim letzten Funding im Juli 2022 auch Geldverbrennungs- und Verlustfaktoren miteinbezogen – Ergebnis: die ursprüngliche Bewertung von 45.6 Milliarden US-Dollar ist um 85 Prozent auf 6.7 Milliarden reduziert worden.

Wie bewerten Startups sich selbst?

Ebenfalls unterschiedlich, aber in der Regel sehr optimistisch. Das liegt in der Natur von Startups, die an ihre Idee, ihr Geschäftsmodell und deshalb an explosives Wachstum glauben. Die können gar nicht anders, als ihr Startup und ihre Zukunftsaussichten hoch und rosig zu bewerten – alles andere wäre Verrat an der eigenen Idee.

Deshalb sollten Startups nie sich selbst bewerten, das sollten sie anderen überlassen, die mit Know-how und mit der neutralen Sicht von aussen den Bezug zur machbaren Realität mit einbringen. 

Ein Startup und seine Crowdinvesting-Kampagne

Für ElleXX steht nicht Patrizia Laeri allein, sie ist als CEO allerdings das bekannteste Gesicht des Startups. Laeri hat ElleXX gemeinsam mit der Journalistin und Juristin Nadine Jürgensen und der Designerin und Unternehmerin Simone Züger gegründet, die Plattform ist seit Oktober 2021 live.

Das noch junge Startup will nach eigenen Aussagen die Finanzwelt bewegen, Frauen fit für die Finanzen machen und auf Themen rund um die eigene Vermögensentwicklung sensibilisieren. Das soll über redaktionelle Berichte, direkt angebotene Finanzprodukte sowie durch Beratung geschehen.

ElleXX ist eines von vier Startups, das auf der neu lancierten Plattform Oomnium frisches Kapital und neue Aktionäre über eine Crowdinvesting-Kampagne generieren will. Bei Redaktionsschluss haben bisher 990 Investorinnen über eine Millionen Franken in ElleXX investiert. Um das Maximalziel von drei Millionen zu erreichen, bleiben dem Startup noch 15 Tage Zeit.

Im Zusammenhang mit der aktuell laufenden Kampagne ruft das Startup ElleXX eine Bewertung von 16 Millionen Franken auf. Diese hohe Bewertung hat zu Fragen und zu medialer Kritik geführt, unter anderem von Blick, Inside Paradeplatz und Tippinpoint. Ist diese Kritik gerechtfertigt? 

Ist das Startup ElleXX 16 Millionen wert – oder doch eher eine "Luftnummer"?

In unserer Betrachtung trifft weder das eine noch das andere zu. Eine reine "Luftnummer" ist ElleXX deshalb nicht, weil das Startup in kurzer Zeit eine eher breite Angebotspalette aufgebaut hat. Das Angebot ist existent, was noch nichts über die Qualität aussagt, aber es ist mehr als nur Luft online und sichtbar.

Die von ElleXX selbst festgelegte Unternehmensbewertung folgt dem Muster der euphoristischen Rezepturen von VCs vor der Korrekturwelle, die wir bereits beschrieben haben. Der im Investment Proposal benannte Unternehmenswert von 16 Millionen Franken bei einem Jahresumsatz 2022 von 181'000 Franken orientiert sich nicht an belastbaren Zahlen, sondern multipliziert entschlossen den letztjährigen Umsatz mit dem bemerkenswerten Faktor 88. Das hat von aussen betrachtet mit Realitäten nicht viel zu tun, mehr mit dem Glauben der Gründerinnen an ihr Startup und an das erhoffte Potenzial der Zukunft, das sie realisieren möchten.

Die Gründerinnen sind überzeugt davon, dass ihre Plattform in der Schweiz, in nächsten Schritten auch in Deutschland und Österreich, massiv skalieren wird. Seit dem Launch haben nach Angaben von ElleXX 220'000 Menschen die Website besucht, davon sind gut 1'000 zu zahlenden Members geworden. Das Startup benennt insgesamt eine Community von 36'000 Menschen, Social Media Followers und Newsletter-Abos eingeschlossen, die seit Start bis heute verzeichnet werden. Diese Zahlen, realisiert in eineinhalb Jahren, sind ein guter Anfang, aber noch nicht berauschend.

Die zahlenden Members sollen von heute 1'000 bis Ende 2025 sprunghaft in die Region um die 30'000 wachsen. Im laufenden Jahr 2023 will ElleXX einen Umsatz von 1 Million Franken erreicht haben, für das Jahr 2026 prognostiziert das Startup einen Umsatz von 26.3 Millionen Franken.

Diese hochfliegenden Erwartungen und optimistisch gesetzten Ziele sind im Businessplan von ElleXX festgeschrieben, ob sie tatsächlich erreicht werden können, wird erst die Zukunft zeigen. Fragezeichen und Zweifel bleiben erlaubt. Der Umsatzsprung von 181'000 Franken letztes Jahr auf 1 Million Franken im laufenden Jahr ist ein stolzes Ziel, liegt jedoch für ein prosperierendes Startup im Bereich der schaffbaren Marken. In drei Jahren dann bei 26.3 Millionen Franken zu landen, wirkt von heute aus gesehen und ohne Detailkenntnisse der Strategien und Massnahmenpläne eher verwegen. 

Eine Einordung zu Crowdinvesting

Crowdinvesting-Kampagnen können für Startups und KMU interessante Instrumente sein, um frisches Kapital zu generieren und die Community als Aktionärinnen und Aktionäre mit ins Boot zu holen.

Die Frage der fantasiegetriebenen Unternehmensbewertungen ist abgehakt, damit steht ElleXX nicht allein auf weiter Flur, die Begeisterung für das eigene Startup setzt naturgemäss keine engen Grenzen. Bei ebenso fantasiegetriebenen Umsatzerwartungen würden wir auch nicht knüppelhart urteilen, weil: minimale Denkbegabung und normaler Menschenverstand können Anlegerinnen und Anlegern aus der Community helfen, die realistischen Marktchancen "ihres" Wunsch-Startups aus der Sicht künftiger Aktionäre einzuschätzen. 

ElleXX warnt im Disclaimer vor den Risiken von Investitionen in Startups und zieht auch die Möglichkeit eines Totalverlustes in Betracht. Damit ist gesagt, was zwingend gesagt werden muss: es kann auch schiefgehen und wenn's anders kommt als gedacht, ist das Geld weg. Investorinnen und Investoren aus der Community werden in der Regel mit kleineren Beträgen zu Aktionären, der Einstieg bei ElleXX ist ab 272 Franken möglich. Längeres Warten auf Renditen oder auch der Verlust der Investition wäre deshalb ärgerlich, aber kaum ruinös. Bei Anlegern mit grösseren Invests darf vorausgesetzt werden, dass sie wissen, was sie tun und sich tiefer und breiter informieren, bevor sie ihre Anlage platzieren.

Dennoch helfen realistische Unternehmensbewertungen und faktenbasierte Umsatzerwartungen mit, das Instrument Crowdinvesting schneller gross zu machen. Vor allem dann, wenn nicht nur Fans und die Community, sondern weitere Kreise mit Rendite-Erwartungen in Startups investieren sollen.

Ein ausgemachter Schwachpunkt liegt in der Plausibilitätsprüfung

Oomnium setzt beim Check der Startups, die eine Crowdinvesting-Kampagne lancieren wollen, auf die unabhängige Beratungsfirma BV4. Dieses Unternehmen steht für die Plausibilitätsprüfung der einzelnen Unternehmen. 

Im Kern basiert diese Prüfung auf Aussagen und Dokumenten der jeweiligen Gründerinnen und Gründer. Die Liquiditätslage von ElleXX zum Beispiel wird von BV4 folgendermassen beschrieben:

"Der derzeitige Barmittelbestand ermöglicht es dem Unternehmen, angesichts der derzeitigen Burn-Rate das Geschäft für einen angemessenen Zeitraum weiter zu betreiben. Um jedoch den Geschäftsplan vollständig umsetzen zu können, muss das Unternehmen zusätzliche Finanzierungsmittel von Investoren beschaffen."

Das Unternehmen braucht Geld, begriffen, ob ein "angemessener Zeitraum" jedoch einen Monat, sechs Monate oder länger meint, bleibt ein Rätsel. Noch schwammiger wird's bei der finanziellen Prognose, dazu schreibt BV4:

"Die in die Zukunft gerichteten Finanzzahlen (Umsatz von CHF 1.0 Mio. im Jahr 2023, CHF 26.3 Mio. mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 122% zwischen 2023 und 2027) sind ambitioniert, werden aber durch dokumentierte Annahmen gestützt, die auf der Ebene des Umsatzes und der Kooperations Vertragsbedingungen mit den Finanzierungspartners detailliert sind. Das Erreichen dieser Zahlen ist abhängig von den Marktbedingungen und der Ausführung."

Mit Verlaub, mit dieser Aussage lässt sich nun gar nichts anfangen. Dass die Ziele ambitioniert sind, wussten wir schon. Dass diese Ziele durch "dokumentierte Annahmen gestützt" werden, errichtet keine tragfähigen Stützen, weil es sich eben um Annahmen handelt. Vollends diffus ist die Bemerkung, dass Marktbedingungen und die Art der Ausführung entscheiden, ob die anvisierten Zahlen erreicht werden können. Das ist grundsätzlich und immer bei allen Unternehmen der Fall. 

Ähnlich unkonkret und wenig aussagekräftig wird die sehr hohe Bewertung kommentiert. Am Schluss der Prüfung und nach einem Interview mit den Gründerinnen wird ein "plausibles Gesamtbild" attestiert und alles ist gut. Ist es das?

Der Begriff "Plausibilitätsprüfung" suggeriert Brief und Siegel, dadurch eine Art von Sicherheit und kann deshalb bei Anlegerinnen und Anlegern Vertrauen schaffen. Die Frage ist allerdings, was genau wird da in welcher Tiefe auf Plausibilität geprüft? Und was genau wird durch diese Prüfung garantiert oder zumindest bestätigt? In unserer Betrachtung wenig bis nichts. Möglicherweise liegt hier noch eine Schwachstelle, welche durch die Macherinnen und Macher der Crowdinvesting-Plattform auf Plausibilität überprüft und durch etwas härtere Fakten ersetzt werden sollte.