Kommentar

Einkaufstouristen gängeln – ein Schuss ins Knie, in den Fuss oder einfach nur wirkungslos?

Touristen schlendern in der Gasse einer schönen deutschen Kleinstadt
Bild: Ilari Nackel | Getty Images

Nicht allzu kreativ, wie das Schweizer Parlament den Einkaufstourismus eindämmen und den einheimischen Detailhandel schützen will.

Das grenznahe Ausland lockt regelmässig viele Schweizerinnen und Schweizer an: Hübsche Städte, einladende Cafés und der Einkauf bei Aldi, Lidl und anderen Ketten ist teilweise wesentlich günstiger im Vergleich zur Schweiz. Ergo wird das, was oftmals mit einem leisen Unterton von "Landesverrat" als "Einkaufstourismus" bezeichnet wird, von zahlreichen fröhlichen Verrätern als Ausflug und als Erlebnis mit anschliessenden Einkauf genossen.

All die fehlbaren Einkaufstouristen, gegen die das Schweizer Parlament jetzt antreten will, kaufen übrigens meistens in der Schweiz ein. Ihre gelegentlichen Shopping-Ausflüge ins grenznahe Ausland wollen Politikerinnen und Politiker jetzt aber unattraktiver machen, indem die 300-Franken-Freigrenze auf 50 Franken gesenkt wird. Was darüber hinausgeht, soll mehrwertsteuerpflichtig werden.

Fantasielose Massnahmen ohne Wirkung können teuer werden

Die Frage ist noch nicht gelöst, wie denn die Mehrwertsteuer erhoben und bezahlt werden soll. Direkt am Zoll durch ein Heer von Zöllnern, die sich dann auch noch mit Formularen, Berechnungen und Kleinsteinzügen von zwei, drei, vier Franken herumschlagen müssten? Oder durch Selbstdeklaration der Einkaufstouristen über Formulare oder eine App?

Die in Bern beschlossene Massnahme riecht nach gigantischem Aufwand und kleinen Erträgen. Vor allem aber wird die fantasielos aufgestellte Hürde keinerlei Wirkung zeigen. Denkt in Bern jemand im Ernst, dass Einkaufstouristen sich wegen ein paar Franken von Besuchen und Einkäufen im Ausland abhalten lassen?

Der aus der Hüfte abgefeuerte Parlaments-Schuss könnte sogar ziemlich nach hinten losgehen. Kollege Michael Heim von der Handelszeitung vermutet, dass "der neue Grenzschutz dazu führen könnte, dass – wenn schon, denn schon – gleich etwas mehr Geld im Ausland ausgegeben wird. Damit sich der Verwaltungskram bei der Einreise auch lohnt."

Heim könnte recht bekommen. Und falls nicht, dürfte der protektionistische Effekt kaum spürbar werden, der gewaltige Verwaltungsaufwand hingegen schon. So oder so lenkt die schildbürgerhaft anmutende Massnahme von den wirklichen Problemen ab. 

Wenn schon Protektionismus, dann bitte richtig

Unsere Parlamentarierinnen und Parlamentarier geben sich gerne liberal, weltoffen, über den eigenen Tellerrand hinausdenkend und auch global ausgerichtet. Weshalb im National- und Ständerat jetzt Massnahmen beschlossen werden, die im kleingedachten Format ihres Karos fast nicht zu toppen sind, hat Gründe: man hat sich für die einfachste Lösung entschieden, die keine ist – alles andere wäre mühsam. 

Zum Beispiel verbrennt sich im Parlament niemand freiwillig am vermutet sehr heissen Eisen die Finger und stellt ernsthaft die Frage, warum Einkäufe in der Schweiz im Vergleich zum Ausland zum Teil unglaublich viel teurer sind. Hohe Löhne, hohe Mieten, böse Markenartikel-Anbieter und mehr, schon klar – wer rechnet erkennt schnell, dass die gewaltigen Preisunterschiede sich nicht allein durch diese Faktoren erklären lassen. Hier liegen Möglichkeiten, das Einkaufen in der Schweiz deutlich attraktiver zu machen und die Magnetwirkung von Läden im Ausland etwas zu dämpfen.

Oder: Ist die Einsicht soweit gediehen, dass Menschen und Konsumenten sich nicht dazu verdonnern lassen, wo genau sie gefälligst einzukaufen haben, ist der Weg frei für kreative Lösungswege. Unter dem Segel "Handeln statt Jammern" könnten Anschubprogramme gestartet werden mit dem Ziel, den Schweizer Detailhandel wirkungsvoll zu stärken. Durch das Entwickeln wirklich kreativer Ansätze, welche die Interessen aller Beteiligten im Auge behalten. Oder gibt's das schon?

Was der Volg in Bözen besser kann

Aktive und ideenreiche Organisationen und vor allem auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liefern Beispiele, in welche Richtung Überlegungen gehen können. Zum Beispiel der Volg-Laden in Bözen, einer kleinen Gemeinde im sonnigen Fricktal mit 600 Einwohnern. 

Werden die Läden in kleineren Gemeinden oder auch städtischen Quartieren oftmals geschlossen, floriert der Volg in Bözen. Warum? Der Laden hat sein Einzugsgebiet und seine Attraktivität massiv vergrössert – durch eine ganze Reihe von Massnahmen, die zum Teil auch in anderen Volg-Läden praktiziert werden. Zum Beispiel durch ein Supersortiment mit frischem Gemüse, Obst und Früchten aus der Region. Lust auf duftendes Brot? Die Leute bringen das, laufend frisch aufgebacken. Kein Bargeld in der Tasche? Der Volg ist auch eine Bank und versorgt via Sonect alle mit Cash. Keine Lust, das Postamt in der nächstgrösseren Stadt anzusteuern? Der Volg Bözen ist auch eine Post, mit allen Services, die gewünscht und gebraucht werden. Online einkaufen geht auch, die Volg-App kann das, mit Lieferung nach Hause oder Abholung im Volg, was eben praktischer ist.

Das Beste zum Schluss: Der Volg in einer Gemeinde mit gerade mal 600 Einwohnern hat sieben Tage in der Woche offen. Sieben Tage! Montag bis Samstag von 06:00 bis 21:00 Uhr, am Sonntag von 08:00 bis 18:00 Uhr. Ob Frühaufsteher oder Späteinkäufer, der Laden in Bözen hat genau dann offen, wenn die Leute einkaufen möchten. Weil nicht alle Konsumenten gleich ticken, eben einfach von früh bis spät. Was nach Grossstadt und Einkausmall riecht, ist es nicht, es ist der Volg in einem kleinen, beschaulichen Dorf. Geführt und betreut von mehreren aktiven und einsatzfreudigen Frauen, die all das jeden Tag stemmen und möglich machen. Und damit die Interessen verbinden von Konsumenten im ganzen Tal, von Bauern in der gesamten Region und von Frauen, die gerne auch Teilzeit arbeiten möchten. Ziemlich grossartig das alles – und ein starkes Konzept, um den Schweizer Detailhandel zu schützen und am Laufen zu halten.

Das Erfolgsrezept für alle?

Nicht unbedingt, pro Region und pro Laden gibt's Unterschiede. Das Beispiel zeigt jedoch plakativ, dass Hilferufe nach Bern und hilflose protektionistische Massnahmen aus Bern ersetzt werden können durch kreative Ideen, erdacht und auch umgesetzt von tatkräftigen Menschen.

Die Leute im Volg Bözen haben nicht nur begriffen, sie haben verinnerlicht und leben das, was Menschen und Konsumenten anzieht. Man hat sie noch nie jammern hören über die Umsatzverluste durch den Einkaufstourismus. Sie haben dermassen viel zu bieten, dass sie diesen Effekt verkraften können oder ihn sogar minimieren. Durch Leistung, Angebot und Freundlichkeit. Und durch Ideen und Einsatzbereitschaft, die Läden in der Schweiz nicht nur überleben, sondern sogar erblühen lassen.

Die Damen im Volg Bözen sind sicher auch bereit und offen dafür, eine Parlaments-Delegation aus Bern zu empfangen, um Politikerinnen und Politikern den Unterschied zwischen absolut hilflosen Flügelschlägen und wirkungsvollen Massnahmen vor Augen zu führen. Auch das zweifellos schonend und ihrem eigenen Slogan folgend: "frisch und fründlich".