Alipay

Die Chinesen stehen am Berg

Bild: Denis Linine | Getty Images

Eine Bergbahn allein macht noch keine Revolution, aber: SIX nimmt Witterung auf und folgt der Fährte chinesischer Touristen. Und: Weshalb Alipay in der Schweiz noch für Überraschungen sorgen wird, welche uns nicht wirklich überraschen sollten.

Diese Fährte wird noch über zahlreiche Stationen führen und mit jeder Station wird der Pfad breiter. Kürzlich hat SIX Payment Services den niederländischen Flughafen Schiphol Alipay-tauglich gemacht. Die Reise geht weiter, SIX hat das mobile Zahlungsmittel im Akzeptanzangebot für Händler in ganz Europa und auch in der Schweiz integriert. Heute liegen die Titlis Bergbahnen am Weg der chinesischen Touristenströme.

Titlis Bergbahnen bereit für Alipay

Ab sofort bezahlen chinesische Touristen an den Kassen und Geschäften der Titlis Bergbahnen mit Alipay. Der Vorteil für die Titlis Bergbahnen liegt auf der Hand: über eine Million Gäste besuchen jährlich den Titlis, davon kommen mehr als 100'000 aus China. Chinesische Touristen sind auf Reisen im Ausland sehr ausgabefreudig – können sie den von Zuhause gewohnten Zahlkomfort auch im Ausland nutzen, fördert das Umsätze und auch die Zufriedenheit der Touristen.

Alipay ist sehr viel mehr als eine Bezahllösung

In China ist Alipay ein Lifestyle Tool mit zahlreichen Features und smarten Funktionen, mobiles Bezahlen ist nur eine davon. Alipay funktioniert für den Handel als bespielbares Marketing Tool, das Angebote, Rabatte und andere Inhalte als Push-Nachrichten auf die Smartphones passender Zielgruppen ausliefert.

Touristen aus China nutzen über Alipay in Europa lokale Services, individuell nach Standort: Vorschläge, Beschreibung und Bewertung von Geschäften, Restaurants oder Hotels, jeweils in Verbindung mit der Route zum Wunschziel. Plus personalisierte Angebote und Gutscheine, die vom Handel als Marketingangebote aufgespielt werden können. Tickets für Konzerte oder Kinos werden mit dem Handy direkt gebucht und der Wagen von Uber kann ebenso direkt angefordert werden.

Alles, was mit den persönlichen Finanzen zu tun hat, lässt sich ebenfalls über Alipay organisieren, bis und mit Geld anlegen, und, ja, bezahlen im Shop oder online kann man mit Alipay auch, P2P-Funktionen inklusive. Eine Lifestyle App eben, welche Bezahlen nicht in den Vordergrund stellt, vielmehr die Bezahlfunktion als logische Folge des Einkaufs- und Erlebnisverhaltens selbstverständlich mit an Bord hat.

Dieser Funktionsumfang und der damit verbundene Komfort im Alltag haben dazu geführt, dass Alipay in China über 500 Millionen aktive Nutzer hat und täglich ein gewaltiges Transaktionsvolumen bewältigt.

Der erwachende Riese hat die Augen sehr weit offen

So wie Alibaba mit Aliexpress in Europa und auch in der Schweiz den Online-Handel aufmischt, so besetzt auch Alipay zunehmend Terrain. Die wiederholten Aussagen von Alipay, dass eine Öffnung der Services für Europäer aktuell kein Thema wäre und auch keine konkreten Pläne dazu vorliegen würden, passt zur offensiven Zurückhaltung von Jack Ma (Gründer) und des Tech-Giganten Ant Financial Services Group. Die Strategie des Machens, Lieferns und Ausrollens, ohne sich mit Vorankündigungen aufzuhalten, hat sich bereits in der Vergangenheit bewährt.

Deshalb gehen wir von der Redaktion nach wie vor davon aus, dass Alipay in Europa und auch in der Schweiz für Überraschungen sorgen wird. Zumal die Strategie clever ist, mit der chinesischen Heimkundschaft auf Reisen das europäische Pilotprojekt zu starten, die notwendigen Strukturen und Partnernetze aufzubauen – und am Tag X die europäischen Konsumenten an den reich gedeckten Tisch zu bitten. Mit überzeugenden Argumenten und mit einem Produkt, das in China seit Jahren Erfolge feiert und die Feuerprobe in Europa bereits bestanden hat.

Diese Meinung hat mit Prognose und Glaskugel nicht das Geringste zu tun, viel einfacher: es gibt schlicht keinen einzigen einsichtigen Grund, weshalb ein tolles Produkt, eine grossartige Lifestyle App, die sehr viel mehr kann als andere Apps, auf Dauer in einem riesigen Markt ausschliesslich chinesischen Touristen vorbehalten bleiben soll. So viel sinnlose Selbstbeschränkung ist schwer vorstellbar, für ein expansives und schnell wachsendes Tech-Unternehmen wie Alibaba schlicht nicht denkbar.

Ein Seitenblick auf Aliexpress im E-Commerce

Die gigantische Online Shopping Mall Aliexpress kommt aus demselben Hause wie Alipay. Aliexpress schaffte 2017 in der Schweiz den Sprung auf den achten Platz der beliebtestens Online Shops, mit einem Umsatz von 130 Millionen Franken (Quelle: GfK). Terry von Bibra, General Manager Europe der Alibaba Group, war letzte Woche Gast und Referent am World Web Forum in Zürich. In einem Interview mit der Handelszeitung, das Karen Merkel mit Terry von Bibra geführt hat, sagte der Europachef von Alibaba auf die Frage, wie er die Umsatzentwicklung und Rangierung von Aliexpress in der Schweiz bewertet:

Wir werden demütig angesichts solcher Entwicklungen. Und natürlich fühlen wir uns dann auch herausgefordert, das Angebot noch zu verbessern. Und so gehen wir da auch vor. 

Bei der ersten Demut dürfte es also nicht bleiben, Terry von Bibra meinte weiter, aufgrund der Nachfrage wäre es für Alibaba jetzt lohnend, sich vermehrt mit der Schweiz zu beschäftigen. Und er doppelte nach mit einer Aussage, die über Aliexpress hinausgeht und darauf zielt, Endkonsumenten sehr viel stärker in den Fokus zu rücken:

Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren auch in Europa mehr im Endkonsumentengeschäft machen können. Das fehlt uns im Moment noch, ausser über Aliexpress sprechen wir den Endkonsumenten noch nicht an.

Die Aussagen von Terry von Bibra beziehen sich auf Aliexpress und auf weitere Tochtergesellschaften von Alibaba, zu denen auch Alipay gehört. Naheliegend deshalb, dass Europa in absehbarer Zeit mit weiteren Angeboten und Services rechnen darf, deren Bezahlung einfach und komfortabel funktionieren soll. Und was Alibaba am besten kann, wie die Marktposition in China zeigt:

Komfort für den Alltag, Services, Einkaufserlebnisse, Bezahlfunktionen und sehr viel mehr in Applikationen und Lifestyle Tools zu packen, denen über 500 Millionen Chinesen nicht widerstehen können (und auch nicht wollen). Keine Gründe in Sicht, weshalb Europa da anders ticken sollte. Deshalb: Überraschungen bleiben möglich, die nicht wirklich überraschen sollten, mehr als logische Folge einer konsequent verfolgten Strategie betrachtet werden dürfen.

Die Chinesen stehen am Berg (oder sind sie schon oben?)

Um auf unsere Titelzeile zurückzukommen: Sie werden nicht stehenbleiben und kommen schneller auf den Gipfel, als man denkt. Ratsam deshalb für europäische Anbieter, forciert über das Leistungs- und Komfortspektrum von Tools und Apps nachzudenken, welche sämtliche Wünsche von Anwendern und Kunden erfüllen. Keine reinen Bezahl-Apps, die hatten es bisher schon schwer, vielmehr Lifestyle Apps, über die sich Erlebnisse, Buchungen und Einkäufe innerhalb des individuellen Lifestyles am Schluss selbstverständlich auch bezahlen lassen. Die chinesischen Erfolgsmuster liegen vor – Rezepturen mit denen kein Chinese und auch kein Europäer am Berg steht, der entschlossen den Gipfel erklimmen möchte.

Apropos China und damit der Fokus nicht nur auf Alipay liegt: Tencent, das ist der zweite Technologie-Gigant aus China, ist mit Wechat Pay ebenfalls in Europa unterwegs. Alipay hat Vorsprung, Wechat Pay wird jedoch seinem Erzrivalen nichts schuldig bleiben, um Marktanteile zu erobern. Denkbar bleibt, dass es in Europa noch lebendiger werden könnte. Dann, wenn sich Amazon, Apple, Google oder andere Tech-Giganten dazu entschliessen sollten, ihr Know-how im Zahlungsverkehr, ihren Zugang zu gewaltigen Kundenstämmen und ihre bereits bestehenden Ökosysteme auch im Bereich der mobilen Zahlungen zu nutzen.