Mobile Payment

Twint: Wie belastbar ist die erreichte Marke von zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzern?

Twint-Terminal im Laden
Bild: Twint

Ein grosses Update zu Twint – mit Zahlen, Fakten, Thesen, Vermutungen, Plänen für die Zukunft, einem Blick über den eigenen Tellerrand und einem Gedanken zur Unnötigkeit von Selbstbeschränkungen.

Ende Juli 2019 lagen die zentralen Werte der mobilen Bezahllösung Twint bei 1.6 Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzern sowie bei rund 3 Millionen Transaktionen pro Monat. Publiziert in unserem Sommer-Update zur App der Schweizer Banken.

Bereits damals hatten wir die Frage gestellt, ob die die genannten Nutzer nur registrierte Kunden oder tatsächlich aktive Nutzer sind. Und, im Falle der aktiven Nutzer, in welcher Häufigkeit die Nutzung stattfindet.

Die Verantwortlichen von Twint sind zu diesem Punkt ebenso stumm geblieben wie die Anbieter anderer konkurrierender Apps, zum Beispiel Apple Pay oder Google Pay.

Einen guten Monat nach unserem Sommer-Update (3. September 2019) hatten sich nach Angaben von Twint weitere 100'000 User angemeldet (1.7 Millionen) und die Zahl der Transaktionen pro Monat lag um 1 Million höher, neu bei rund 4 Millionen. Der Anstieg von 6.25 Prozent bei den Usern im Verhältnis zu starken 33 Prozent bei den Transaktionen, lässt mehrere mögliche Schlussfolgerungen zu:

  • These 1
    Die letzten 100'000 User sind in der Nutzung extrem viel aktiver als die bisherigen 1.6 Millionen.

    Wahrscheinlichkeit: Wenig wahrscheinlich, weshalb sollten ausgerechnet die Letzten die Ersten sein?
     
  • These 2
    Grössere Gruppen von bisher inaktiven Usern sind im Sommer 2019 erwacht, auf den Geschmack gekommen und haben begonnen, Twint aktiv zu nutzen.

    Wahrscheinlichkeit: Grundsätzlich möglich, nur: Weshalb sollten Langschläfer in grosser Zahl plötzlich erwachen – mitten in einem heissen Sommer?
     
  • These 3
    Alle User sind aktiv, mögen sich mit dem Schnitt von 1.875 Transaktionen pro Nutzer (Juli 2019) jedoch nicht zufriedengeben, nutzen Twint verstärkt und haben deshalb den Durchschnitt pro User gemeinsam auf 2.35 Transaktionen (September 2019) hochgehievt.

    Wahrscheinlichkeit: Wir misstrauen unserer eigenen These, so viele aktive und ehrgeizige User, die sich dazu noch organisieren und mit vereinten Kräften agieren, hat kein Anbieter.

So richtig griffig und schlüssig wirkt keine der Thesen. Unsere Enttäuschung hält sich in Grenzen, aber das kommt dabei heraus, wenn keine verlässlichen Fakten vorliegen und man deshalb gezwungen ist, selbst zu orakeln und zu rechnen.

Leicht ernüchtert ob unseren eigenen Berechnungen, wenden wir uns den neuen Zahlen zu, welche Twint diese Woche kommuniziert hat.

Twint im Januar 2020 in aktuellen Zahlen

Den Start ins neue Jahr kommuniziert Twint mit dem Superlativ der "klaren Nr. 1 der mobilen Zahlungssysteme in der Schweiz" und unterlegt den obersten Podestplatz mit folgenden Zahlen:

Nutzerinnen und Nutzer: mehr als zwei Millionen

Transaktionsvolumen: über 5 Millionen Transaktionen pro Monat

Wir haben Fragen

Um diese erfreulichen Zahlen etwas kompetenter interpretieren zu können als im gescheiterten Versuch von oben, haben wir bei den Verantwortlichen von Twint auch dieses Mal nachgefragt:

1. Wie hoch ist der Anteil der aktiven Nutzer im Verhältnis zu den 2 Millionen der registrierten Nutzer?
Diese Frage ist deshalb zentral, weil registrierte Kunden noch keine tatsächlichen Nutzer sein müssen. Deshalb liegt in den aktiven Nutzern der Schlüssel und der Massstab für wirklichen Erfolg. Die wiederum massiv gesteigerten Transaktionen (+ 1 Million pro Monat) sind ein Indikator für erhöhte Aktivität, unklar bleibt jedoch, woher diese Aktivität kommt.

2. Gibt’s bei Twint eine Definition für "aktive Nutzer"?
Diese Frage zielt auf die Nutzungsqualität von aktiven Twint-Kunden. Ein aktiver User, der Twint pro Jahr einmal nutzt, ist anders zu bewerten als Kunden, die täglich, wöchentlich oder monatlich mehrmals die App nutzen. Deshalb sagt der Begriff "aktive Nutzer" (ohne Details) noch wenig aus.

Twint hat Antworten

Nicht, dass die Verantwortlichen bei Twint sich ganz in die Karten gucken lassen möchten, aber immerhin, wir haben einige interessante Ergänzungen und Ausführungen zu unseren Fragen erhalten. Die Antworten bringen wir im Original-Wortlaut, um nicht ungewollt eine Interpretation von unserer Seite reinzuschmuggeln:

1. Wie hoch ist der Anteil der aktiven Nutzer im Verhältnis zu den 2 Millionen der registrierten Nutzer?
"Prozentzahlen zu den aktiven Usern kommuniziert Twint nicht. Aber sie sind stark steigend. Die Wachstumsentwicklung betrug von 2017 auf 2018 über 230 Prozent und von 2018 auf 2019 rund 240 Prozent der aktiven User YoY (Red: Year over Year).

Steigend ist übrigens ebenso die Zahl der Multi-User: Immer mehr User nutzen mehrere der Twint-Anwendungsoptionen und das in zunehmendem Masse (2017: 21.8 Prozent; 2019: bereits 44.9 Prozent)."

2. Gibt’s bei Twint eine Definition für "aktive Nutzer"?
"Unter einem «aktiven Nutzer» verstehen wir einen Nutzer, der mindestens eine Transaktion innerhalb von 28 Tagen macht."

Alles klar? Alles noch nicht, aber mit den gelieferten Zahlen und Ausführungen lassen sich generelle Entwicklung und Erfolg etwas besser einordnen.

Twint in der Zukunft

Die Verantwortlichen haben ambitionierte Zielmarken aufgestellt. So will Twint 2020 zum Beispiel die Marke von 100 Millionen Transaktionen knacken. Der Sprung nach vorne um 40 Millionen zusätzliche Transaktionen ist nicht ohne. 

Ebenfalls im laufenden Jahr soll das Bezahlen von Rechnungen über den QR-Code möglich werden. Und in Planung ist eine weitere smarte Funktion der App: Das Zusammentragen gemeinsamer Ausgaben einer Gruppe, um sie später auf die einzelnen Gruppenmitglieder aufzuteilen. Zudem werden die Nutzerinnen und Nutzer im Jahr 2020 auch direkt via Twint App Einkäufe tätigen können, um somit Gutscheine oder Guthabencodes digital zu beziehen.

Twint will die Möglichkeiten erweitern, das System in unterschiedlichsten Situationen einzusetzen und durch diese Vielfalt den Anreiz bieten, ganz auf Bargeld zu verzichten. Einfach deshalb, weil Twint "überall geht".

CEO Markus Kilb will "das Portemonnaie sowie andere Zahlungsmittel ganz durch Twint ersetzen und 2020 zeigen, dass Twint und das Team sämtliche für die Kundschaft wichtigen Zahlungssituationen meistern können". Kilb fasst die Ziele für 2020 mit folgenden Worten zusammen:

Unser Fokus ist ganz klar: Wir wollen den Nutzerinnen und Nutzern von Twint so viele Einsatzmöglichkeiten wie möglich bieten und ihnen damit den vollständigen Bargeldersatz ermöglichen, indem sie Twint für alle Zahlungssituationen im Alltag einsetzen

Twint in Europa

Über die Europa-Pläne von Twint und die Möglichkeit des internationalen Bezahlens haben wir im September 2019 ausführlich berichtet. Eine Konkretisierung dieser Pläne oder Termine hat Twint in der Neujahrs-Mitteilung nicht geliefert, lediglich eine Bestätigung der bereits bekannen Fakten:

"Obwohl die Transaktionen der/des durchschnittlichen Schweizerin/Schweizers zu fast 97 Prozent in der Schweiz stattfinden, erarbeitet Twint als Gründungsmitglied der European Mobile Payment Systems Association (EMPSA) derzeit auch eine länderübergreifende Einsatzmöglichkeit."

Begeisterung für das Projekt ist in Anbetracht der genannten 97 Prozent (?) Auslandszahlungs-abstinenten Schweizerinnen und Schweizer aus der Mitteilung von Twint nicht herauszulesen. Das kann sich möglicherweise noch ändern. Zumal der auslandorientierte Mini-Anteil von 3 Prozent etwas gar tief erscheint und vielleicht durch die Neudefinition der durchschnittlichen und reisefreudigen Schweizer zu anderen Zahlen führen könnte.

Zudem ist für internationale Banken und international agierende Player wie SIX und Worldline der weiterführende Gedanke nicht allzu verwegen, auch Nicht-Schweizer in die Planspiele für eine wirklich starke Twint-International-Lösung mit einzubeziehen. Da könnte ja möglicherweise etwas Grosses entstehen, wenn wir uns nicht schon in der Planungsphase selbst beschränken.