Kommentar

Inflation, steigende Energiekosten und sinkende Sparquote – Gedanken zum Zusammenhalt der Gesellschaft

Junge Frau dreht ihre Brieftasche um, sie ist leer
Bild: andriano_cz | Getty Images

Die Zahl der schlechten Nachrichten nimmt spürbar zu. Nicht alle negativen Entwicklungen lassen sich verhindern – deren Auswirkungen teilweise aber schon.

Im Moment progostiziert eine wachsende Gruppe von Analysten, Wirtschaftsexperten und Journalisten weiterhin steigende Inflationsraten und bezeichnet eine starke Rezession bereits als "unabwendbar". Hardliner gehen noch weiter und skizzieren Szenarien, die schon apokalyptische Züge tragen.

Diese Prognosen kommen natürlich nicht von ungefähr, Inflation, steigende Energiekosten und weitere Faktoren machen Menschen und Unternehmen tatsächlich zu schaffen – wenn auch in unterschiedlicher Stärke.

Beunruhigend ist die Beobachtung der Deutschen Sparkasse – Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis sagte gegenüber der Welt am Sonntag, dass ein Grossteil der Bundesbürger wegen der hohen Inflation zunehmend an ihre finanziellen Grenzen stossen würden. «Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen», meinte Schleweis. Das eingestreute « – oder mehr – » würde heissen, dass schlicht das Geld nicht mehr reicht, um das eigene Leben zu finanzieren und seine Rechnungen zu bezahlen.

Eine verunsicherte Bevölkerung in Not ist gefährlicher als jede Rezession

In Anbetracht der wirtschaftlichen Umfelder und geopolitischen Verwerfungen läuft die reale Wirtschaft insgesamt noch erstaunlich gut. Es bleibt schwer abzuschätzen, ob die zunehmende Zahl der Analysten und Prognostiker Recht bekommen wird, welche einen Börsencrash, eine weiter ansteigende Inflation und sogar eine schwere Rezession für "unausweichlich" und "unabwendbar" hält.

Die Schweiz steht mit einer Inflationsrate von momentan 3.5 Prozent innerhalb von Europa noch vergleichsweise gut da. Deutschland leidet unter 7.9 Prozent und die Deutsche Bundesbank hält im Herbst eine zweistellige Inflationsrate für möglich. Eine Rezession ebenfalls.

Die schwarzmalenden Prognosen sind sicher nicht unberechtig, sie bilden aber auch den Stoff, der die Bevölkerung verunsichert. Zumal die düsteren Bilder zu den eigenen Erfahrungen passen, die Konsumentinnen und Konsumenten in diesen Tagen an der Tankstelle, an der Supermarktkasse oder auch im Restaurant machen: vieles ist teurer geworden und das schlägt empfindlich auf die eigene Haushaltskasse durch. 

Ob die Welt, Europa und auch die Schweiz mit einem blauen Auge davonkommen oder ob sich die düsteren Progrnosen bewahrheiten, wird sich erst zeigen. Wie das eine oder das andere gemeistert werden kann, ist jedoch keine bange Frage an die Zukunft, vielmehr eine Frage der konkreten Massnahmen, die heute schon ergriffen und bereitgestellt werden.

Die Inflation ist teuer, guter Rat ist es nicht

Unangenehme Nachrichten soll man nicht verschweigen – vielleicht wäre es aber gut, wenn man bei Konsumentinnen und Konsumenten in Anbetracht drastisch steigender Energie- und sonstiger Preise nicht nur Existenzängste schürt, sondern auch Rezepte mitliefert, wie man mit all dem, was kommt – oder vielleicht auch nicht kommt – persönlich umgehen kann.

Immerhin liegen in der anderen Waagschale auch sehr viele positive Faktoren mit Gewicht, welche allzu hysterische Düster-Prognosen mildern könnten. Und sollten dennoch einige Stricke mehr als erhofft reissen, dann ist guter Rat erst recht gefragt. Werden Zeiten und Aussichten anspruchsvoll und schwierig, dann sitzen alle im selben Boot, Gesellschaft, Wirtschaft, und Politik. Das will sagen, da müssen wir gemeinsam durch. Das kann deutlich besser funktionieren, wenn eine Gesellschaft gut vorbereitet auf mögliche Schwierigkeiten zusteuert.

Deshalb wäre es wichtig und sinnvoll, das gilt für jedes Land, die Bevölkerung nicht mit allerhand apokalyptischen Szenarien alleinzulassen, sondern ein gutes Gefühl zu vermitteln, im Sinne von pragmatischen Überlegungen, zum Beispiel in Richtung von: Wie lässt sich jetzt schon vorsorgen? Was ist zu tun, wenn's wirklich schwierig wird? Wo gibt's Hilfe für wen? Und mehr.

"You'll never walk alone" ist eine gutgemeinte Floskel, es braucht aber einen fassbaren Rahmen: Rat, Tat, mutmachendes Gemeinschaftsgefühl entwickeln, Sicherheit vermittteln, sichtbare Fallnetze aufstellen, falls für bestimmte Bevölkerungsgruppen alle Stricke reissen – und mehr. Das ist vor allem eine politische, aber auch eine soziale und gesellschaftliche Aufgabe. Eine Aufgabe, die offtmals erst dann als solche wahrgenommen wird, wenn der Flächenbrand bereits da ist.

Das ist er jetzt noch nicht. Deshalb ein guter Zeitpunkt, für jedes Land, seine Bürgerinnen und Bürger auf eine gemeinsame Linie einzuschwören, die mit klugen Strategien, mit kreativen Konzepten und gemeinsam verfolgten Zielen stark genug ist, das Schlimmste zu verhindern – für den Fall, dass das Zweitschlimmste eintreffen sollte. Ist die Bevölkerung gut informiert und deshalb bereit, mit dem Zweitschlimmsten umzugehen – mit dem Wir-Gefühl einer ganzen und starken Nation, die gemeinsam unterwegs ist – erst dann füllt sich die Floskel "You'll never walk alone" mit gelebtem Inhalt und ist keine mehr.

Kein Raum für Parteien-Hickhack, pragmatische Lösungen sind gefragt

Bei der Lösungsfindung für die wachsende Zahl der Probleme, die sich langsam auftürmen, leisten sich hüben und drüben nicht wenige Politgrössen weiterhin den Luxus, ideologische Gärten und parteiprogrammatische Haltungen zu verteidigen. Das steht pramatischen Lösungen nicht nur im Wege, das schadet der gesamten Gesellschaft. Wer jetzt immer noch nicht begriffen hat, wem und was die Stunde schlagen könnte, gehört zur unreifen Fraktion der Politisierenden, ohne jedes Gefühl dafür, wann Zeit für Parteiprogramm-Wahlkampf ist und wann eben nicht. 

Jetzt sind Lösungen gefragt. Und tragfähige Konzepte. Konkrete Pläne ebenfalls, die verschiedene denkbare Szenarien vorwegnehmen, durchdenken und durch geeignete Massnahmen Schaden verhindern. Zumindest abmildern. In anspruchsvollen Zeiten wie diesen ist keinerlei Raum vorhanden für Links-Rechts-Parteien-Hickhack. Bestehende und noch anrollende Probleme lassen sich nicht ideologisch bewältigen, nur pragmatisch anpacken. Mit dem Gespür für das Notwendige, das Richtige und mit dem Blick auf Menschen und eine ganze Gesellschaft, die möglicherweise bald schon Orientierung und Unterstützung dringend brauchen, um als Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten solidarisch funktionieren zu können. Kluge Politikerinnen und Politiker wissen das und handeln entsprechend – parteienübergreifend als geeinte Gruppe, einzig der herausfordernden Sache, dem Land und seiner Bevölkerung verpflichtet.

Eine geschlossene und geeinte Gesellschaft meistert jede Krise

Ohne Blessuren und Verzicht sind Krisen möglicherweise nicht zu meistern. Sollte es nicht zu vermeiden sein, sind diese Blessuren jedoch zu verschmerzen. Fühlt sch eine Bevölkerung von der Politik nicht alleingelassen, sondern umsichtig geführt, begleitet und unterstützt, ist sie auch für vielleicht notwendigen Verzicht zu gewinnen. Eine geschlossene und geeinte Gesellschaft hat eine unglaubliche Kraft und ist in der Lage, mit einem aufgebauten, kultivierten und (vor-) gelebten Wir-Gefühl Krisen zu meistern und zu überstehen.

Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen: Ohne eine starke Politik sowie wirkungsvoll gesetzte Massnahmen und Begleitung, kann sich diese Kraft in die entgegengesetzte Richtung entladen. Das richtet für das jeweils betroffene Land im Vergleich zu einer Wirtschaftskrise mit Auswirkungen einen weitaus grösseren und schwer heilbaren Schaden an. Eine alleingelassene und desillusionierte Gesellschaft fühlt sich verraten und wird ihre Haltung nach einer Krise nicht korrigieren, deshalb wird eine globale Krise durch eine nationale und selbstgemachte Krise abgelöst und weitergeführt.

Sollten sich die oben zitierten düsteren Prognosen nicht bewahrheiten, was möglich bleibt, sind die getroffenen Vorbereitungen dennoch nicht für die Katz'. Die Welt dreht sich schneller als auch schon und neue Herausforderungen werden nicht auf sich warten lassen. Wer die Generalprobe bestanden hat, die Schweiz hat beste Voraussetzungen dazu, ist für eine spätere Premiere auf heute noch nicht bekannten Bühnen besser gerüstet.