Finanzierung

Crowdinvesting für Startups: Wer sammelt wie viel Kapital ein?

Das Team des FinTechs Selma
Das Team von Selma feiert die erste Million über Crowdinvesting (Bild: Selma)

Ein Finanzierungskanal nimmt Fahrt auf: Aktuell sammeln die FinTechs Lend und Selma über laufende Crowdinvesting-Kampagnen frisches Kapital ein.

Für private Anlegerinnen und Anleger schaffen Crowdinvesting-Kampagnen die Möglichkeit, sich an Startups oder KMU zu beteiligen, in denen sie Potenzial vermuten. Für die Community eines Startups gilt dasselbe, bei dieser Gruppe mit etwas mehr Nähe – möchten überzeugte Kundinnen und Kunden nun auch Aktionärinnen und Aktionären "ihres" Startups oder FinTechs werden, dann öffnet sich über Crowdinvesting ein umkomplizierter Zugang.

Unkompliziert deshalb, weil die Prozesse zur Firmenbeteiligung über spezialisierte Plattformen komplett durchdigitalisiert ablaufen. Die Hürden zur Investition sind meistens sehr tief gehalten, damit auch Kleinaktionäre mit wenig verfügbarem Kapital zum Zug kommen. Die gewünschte Anzahl der Aktien wird den neuen Aktionärinnen und Aktionären direkt in ihre Wallet gespielt. 

Institutionelle Investoren bleiben nicht ausgeschlossen, wenn sie sich mit grösseren Beträgen zur Crowd gesellen und in ein bestimmtes Unternehmen investieren wollen. Oftmals limitieren Startups jedoch die maximale Investitionssumme, weil sie nicht einige wenige grosse, sondern viele kleinere Investorinnen und Investoren als neue Aktionäre mit an Bord haben möchten.

Bisher 1.2 Millionen Euro für Selma

Die digitale Vermögensverwalterin Selma hat ihre Crowdinvesting-Kampagne am 5. Juni 2023 auf der Plattform Seedrs gestartet. Investorinnen und Investoren werden mit einem minimalen Einsatz von 277.95 Euro zu Aktionären, das entspricht 5 Aktien.

Bisher haben 476 Investorinnen und Investoren aus der Community knapp 1.2 Millionen Euro zugesagt, damit ist das Kampagnenziel von 1 Million bereits übertroffen. Die Kampagne läuft noch bis am 28. Juni, seit gestern können auch Interessenten ausserhalb der Community von Kundinnen und Kunden teilnehmen.

Bisher gut zwei Millionen Franken für Lend

Die Crowdlending-Plattform Lend hat ihre Crowdinvesting-Kampange am 16. Juni 2023 auf der Plattform Oomnium gestartet. Investorinnen und Investoren werden mit einem minimalen Einsatz von 537.20 Franken zu Aktionären, das entspricht 8 Aktien.

Bisher haben 169 Investorinnen und Investoren aus der Community gut 2 Millionen Franken zugesagt, damit ist das minimale Kampagnenziel von 1.5 Millionen Franken bereits übertroffen. Die Kampagne läuft noch bis am 7. Juli und steuert jetzt das Maximalziel von 3 Millionen Franken an.

Sind diese beiden Kampagnen Ausreisser oder provozierte Erfolge?

Der Vergleich mit früheren und von anderen Startups durchgeführte Kampagnen zeigt: eher provozierte Erfolge. Zu dieser Rezeptur gehören einige Faktoren, die wichtig sind und zum Gelingen einer Crowdinvesting-Kampagne beitragen.

Erfolg haben in der Regel reifere Startups mit etwas Geschichte und Vergangenheit. Also Scaleups, welche die Zeit als Startup genutzt haben, um eine grössere Community aufzubauen. Die Ressource "Community" ist offenbar aktivierbar und mit guter kommunikativer Begleitung auch bereit, sich am Unternehmen zu beteiligen. Mit zum Erfolg gehören ein guter Pitch sowie ein professionelles Investment Proposal, das alle Fragen beantwortet und in einer Sprache gehalten ist, die auch Normalmenschen verstehen. Dazu gehören vor allem Offenheit und Plausibilität im Umgang mit den Unterenehmenszahlen und den Prognosen für die Zukunft.

Bei den jeweils aufgerufenen Bewertungen ist die Community offenbar nicht allzu kritisch, auch abenteuerliche Bewertungen werden goutiert. Dasselbe gilt teilweise für fantasiegetriebene Prognosen für die Zukunft. Mit Übertreibungen tun sich Startups und Scaleups allerdings keinen Gefallen. Aktionärinnenn und Aktionäre aus der Crowd sind geduldiger als professionelle Investoren. Zu viel Nachsicht auf Dauer sollte jedoch nicht vorausgesetzt werden, auch Beteiligte aus der Crowd möchten irgendwann Resultate sehen und miternten.

Mit zum Erfolg gehört die Kooperation mit einer professionellen Crowdinvesting-Plattform. Profis helfen mit, die richtigen Akzente zu setzen und schaffen den Boden für eine erfolgreiche Finanzierungsrunde.

Die Resultate vergangener Crowdinvesting-Kampagnen

ElleXX hat's gemacht und im Mai 2023 die Summe von 1.4 Millionen Franken eingespielt. Parkn'Sleep ebenfalls mit einem Resultat von 342'000 Franken sowie Nanimale mit 737'000 Franken. Alle drei haben auf Oomnium ihre definierten Minimalziele deutlich übertroffen.

Die Neo-Bank Neon hat bereits zwei Crowdinvesting-Kampagnen durchgezogen. 2021 hat Neon 5 Millionen Franken bei der Community eingesammelt und 2022 über neue Aktionärinnen und Aktionäre weitere 8.6 Millionen Franken frisches Kapital geholt.

Das FinTech Inyova, spezialisiert auf Impact Investing, hat Mitte 2022 über Crowdinvesting die Community mit gut 7 Millionen Franken am Unternehmen beteiligt und das Bitcoin-Startup Relai hat zum gleichen Zeitpunkt 960'000 Euro frisches Kapital eingesammelt.

Der Realitätstest nach erfolgreichen Crowdinvesting-Kampagnen

Die realisierten Summen zeigen, dass Crowdinvesting den Kinderschuhen entwachsen ist und nicht nur Peanuts generiert. Crowdinvesting ist zu einem Finanzierungskanal geworden, der für Startups, Scaleups, FinTechs und KMU eine interessante Alternative zu herkömmlichen Formen der Finanzierung sein kann. Immer vorausgesetzt, die Unternehmen haben etwas zu bieten, spielen mit offenen Karten, operieren nicht mit fantasiegetriebenen Bewertungen und zu hochfliegenden Prognosen und sie lieben ihre neuen Aktionärinnen und Aktionäre genau so, wie sie vorher ihre nicht investierende Community geliebt haben. Das spürt die Community, indem sie weiterhin gepflegt, gut informiert und irgendwann mit Dividenden und steigenden Aktienkursen verwöhnt wird.

Tun Startups und KMU das, kann das gut finanzierte Unternehmensleben harmonisch weitergehen. Anderenfalls droht irgendwann Ungemach – das einstmals gutgläubige und wohlmeinende Imperium der Community ist frustriert und schlägt zurück. Nicht im juristischen Sinne, auf die Risiken von Venture Captial wird bei jeder Kampagne hingewiesen, es geht vielmehr um Vertrauen. Eine wachsende Zahl enttäuschter und verärgerter Investorinnen und Investoren wird ihrem Unmut Luft verschaffen. Seit Erfindung von Social Medias wird dieser geballte Ärger sichtbar und hörbar in Form von Shitstorms, die keinem Unternehmen gut bekommen.

Der langen Schreibe kurzer Sinn: Erfolg über Crowdinvesting ist machbar und provozierbar. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Zur anderen Seite gehört, die abgegeben Versprechen und damit die Erwartungen der Community zu erfüllen. Deshalb hilft ein verantwortungsvoller Umgang mit dem noch jungen Finanzierungs-Instrument mit, dass Crowdinvesting sich etablieren und zu einem starken Kanal entwickeln kann. Ein Kanal, der auch in Zukunft von einer wachsenden Zahl von Startups, Scaleups und KMU genutzt werden kann.