Vorbei die Zeit, als Twint- und Kreditkarten-Gebühren mit der Faust im Sack noch bezahlt worden sind?

Eine Visa und eine Mastercard in einer Jeanshose
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Haben Händler sich in früheren Jahren noch eher mit Jammern begnügt, greifen sie jetzt die Zahlungsdienstleister offensiv an.

Unternehmen wie Mastercard und Visa haben in Jahrzehnten Technologien entwickelt und Netzwerke aufgebaut, damit Kartenzahlungen schnell und komfortabel abgewickelt werden können. Diese Systeme werden unterhalten, die Anbieter investieren in Sicherheit und Weiterentwicklung – das kostet Geld, keine Frage.

Deshalb sind Kartenzahlungen mit unterschiedlichen Gebühren behaftet, mit denen sich die Kartennetzwerke, die Kartenherausgeber und die Zahlungsverarbeiter finanzieren. Das ist normal und wird von niemandem grundsätzlich in Frage gestellt. Zum Zankapfel werden jedoch regelmässig die Höhe dieser Gebühren. 

Das ist nicht erstaunlich, weil im Milliardengeschäft Kartenzahlungen mehrere Parteien involviert sind. Bleiben die Gebühren hoch, gibt es mehr zu verteilen und alle sind froh. Mit Ausnahme der Händler, welche diese Gebühren bezahlen müssen.

Händler agieren in Sachen Gebühren zunehmend offensiver

Karten sind ein beliebtes Vehikel, um allerhand zusätzliche Gebühren reinzupacken, die dann der kartenzahlende Kunde berappt – zum Beispiel Bearbeitungsgebühren, Wechselkursaufschläge und mehr. Darum geht es hier jetzt aber nicht, im Fokus stehen einzig die Gebühren, die für Händler bei Kartenzahlungen anfallen, insbesondere die Interchange-Gebühren.

Händler haben sich seit längerem schon immer wieder gegen die Höhe der Interchange Fee gewehrt. Auf politischer Ebene, in medialen Anläufen und auch im Gespräch mit der Wettbewerbskommission (Weko). Die Interchange Fee ist die Gebühr, die bei jeder Kartenzahlung anfällt und die von Händlern an die Kartenherausgeber abgeliefert werden muss, das sind meistens Banken.

Die Wettbewerbskommission (Weko) ist seit einiger Zeit am Ball, um diese Gebühren zu senken. Eine Einigung mit Mastercard ist bereits letztes Jahr zustande gekommen, die Verhandlungen mit Visa sind offenbar noch am Laufen.

Händler klagen gegen Mastercard und Visa

Knüppeldick und unabhängig von den laufenden Bemühungen der Weko kam es für Mastercard und Visa letzten Mai. 36 Unternehmen haben sich zu einem Streitverband namens VWZ (Verband für einen fairen und freien Wettbewerb im Zahlungsverkehr) zusammengeschlossen und am Handelsgericht Zürich eine Klage gegen Mastercard und Visa eingereicht.

Zu den klagenden Mitgliedern des VWZ gehören Grössen wie Coop, PKZ, Dertour, Tui, Swiss, Edelweiss und weitere Unternehmen. Die neu formierte Streitgenossenschaft beschränkt sich nicht darauf, die Interchange-Gebühren in Frage zu stellen, sie klagt auf Schadenersatz und fordert von Mastercard und Visa die Rückzahlung "unrechtmässiger Kartengebühren" in Höhe von 142 Millionen Franken. 

Die Streitgenossenschaft führt ins Feld, dass die Gebührenhöhe von den Kartenorganisationen (Visa und Mastercard) einseitig festgelegt wird, ohne dass Händler Verhandlungsmöglichkeiten haben. Diese überhöhten Gebühren wären für Händler eine enorme Belastung, so der VWZ. Händler würden 0.12 bis 2.05 Prozent pro Transaktion zahlen – bei einem jährlichen Handelsumsatz über Kredit- und Debitkarten von über 50 Milliarden Franken.

Allein im stationären Handel, hält der VWZ fest, erzielte die Finanzindustrie 2023 mit Debit- und Kreditkarten Gebühreneinnahmen von knapp 3.5  Milliarden Franken – bei einer operativen Marge von fast 60  Prozent. Diese Marge wäre laut Gutachten nur möglich, weil ein funktionierender Wettbewerb gezielt verhindert würde.

Neben der Rückzahlung der überhöhten Gebühren fordert die Streitgenossenschaft "die strukturelle Korrektur der Gebührensysteme. Damit soll langfristig ein fairer und freier Wettbewerb im Zahlungsverkehr hergestellt werden – zum Nutzen von Handel, Konsumentinnen und Konsumenten und Innovation."

Mit anderen Worten: die streitbare Gemeinschaft von 36 Unternehmen fordert neben der Rückzahlung überhöhter Gebühren auch "eine wirksame Begrenzung kartellartiger Praktiken im Zahlungsverkehr".

Details zur Streitgenossenschaft VWZ und zur Klage sind hier zusammengefasst.

Händler ziehen gegen Twint ins Feld

Twint hat auch im Pricing als Robin Hood das Spielfeld der Bezahl-Lösungen betreten, um den hohen Gebühren der Kreditkarten-Organisationen die Stirn zu bieten. Twint ist zum Grosserfolg geworden, hat aber den Nimbus des Preisbrechers für Händler längst verloren. Händler beklagen eine intransparente Gebührenpolitik und eine "inakzeptable Belastung" durch Twint-Gebühren, die teilweise sogar über den Gebühren bei Kreditkartenzahlungen liegen würden. 

Der Händlerverband Swiss Retail Federation wirft Twint vor, dass die Zahlungslösung der Schweizer Banken ihre Marktmacht durch die Erhebung unangemessen hoher Gebühren zulasten des Detailhandels und weiterer Branchen missbrauchen würde. Zumal Händler aufgrund dieser Marktmacht mit weit mehr als 5 Millionen Nutzerinnen und Nutzern in der Schweiz um die Zahlungslösung Twint nicht herumkommen würden, 

Die Swiss Retail Federation prangert überhöhte Twint-Händlergebühren an und hat aus diesem Grund gestern eine umfangreiche Anzeige gegen Twint bei der Wettbewerbskommission eingereicht. Twint verstösst gemäss der Anzeige sowohl in Bezug auf den Missbrauch ihrer marktmächtigen Stellung als auch aufgrund unzulässiger Wettbewerbsabreden mit den Acquirern einerseits sowie zwischen den Eignerbanken von Twint andererseits gegen das schweizerische Kartellrecht.

Die aufgrund dieses Missbrauchs überhöhten und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigenden Händlergebühren würden in rechtswidriger Weise neben dem Detailhandel auch zahlreiche weitere Branchen wie die Gastronomie belasten.

Die Forderung der Swiss Retail Federation: Aufgrund der Anzeige sind die ungerechtfertigt hohen Händlergebühren für Twint-Transaktionen von der Weko auf marktkonforme Konditionen herabzusetzen.

Details und Begründungen zur Anzeige hat der Verband in einem Q&A zusammengestellt.

Vorbei die Zeit, als Twint- und Kreditkarten-Gebühren mit der Faust im Sack noch bezahlt worden sind?

Die Gebühren von Twint und die Interchange Fee bei Kartenzahlungen haben immer wieder zu Unzufriedenheiten und zu Diskussionen geführt. Die Zeit der moderaten Proteste, Interventionen und Verhandlungsversuche scheint jedoch vorbei zu sein.

Die aktuellen Anzeigen und Klagen bringen eine neue Bewegung und eine andere Qualität in die Diskussion um überhöhte Gebühren. Zumal nicht allein die Höhe der Gebühren in Frage gestellt wird, im Fokus stehen auch kartellrechtliche Aspekte und die Art, durch wen und nach welchen Kriterien diese Gebühren festgelegt werden.

Zudem werden mehr oder weniger intransparente Gebührensysteme angegriffen, die einer gewissen Willkür Tür und Tor offenlassen.

Sollten die Kläger in den laufenden Verfahren ganz oder teilweise Recht bekommen, hätte das weitreichende Auswirkungen für alle Beteiligten. Zumal zum ersten Mal grundsätzlich das System der Gebührenfestsetzung an sich auf den Prüfstand gestellt wird. Das hat eine ganz andere Brisanz als die bisherige Diskussion, die sich einzig um die Höhe der Gebühren gedreht hat.