Kernbankensystem

Retailbank Caisse d'Epargne d'Aubonne wechselt auf Finstar der Hypothekarbank Lenzburg

Flaggen der Hypothekarbank Lenzburg
Bild: Hypothekarbank Lenzburg

Der Wechsel der Retailbank auf das Kernbankensysteme Finstar der Hypothekarbank Lenzburg ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Die Hypothekarbank Lenzburg meldet einen Neukunden: Die Caisse d’Epargne d’Aubonne hat sich für das modulare Kernbankensystem Finstar der Lenzburger entschieden.

Diese Meldung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. In erster Linie deshalb, weil eine Änderung und ein Wechsel des Kernbankensystems, also der Steuerungssoftware der Bank, einer Herztransplantation gleicht.

Die Risiken bei Herztransplantationen

In den letzten Jahren sind mehrere anspruchsvolle Projekte dieser Art durchgezogen worden – nicht alle sind ohne Friktionen über die Bühne gegangen. Einige haben sehr viel länger gedauert oder sie sind wesentlich teurer geworden als erwartet.

Zu den Mammut-Projekten der jüngeren Vergangenheit gehört jenes der Postfinance, welche im Jahr 2018 das neue System von Tata Consultancy Services BaNCS eingeführt hat. Eine Herkules-Aufgabe, die nur mit einem gewaltigen Einsatz von Ressourcen, Zeit und Geld zu stemmen war. 

In Erinnerung bleibt der Fall von Avaloq und Raiffeisen, welche im Jahr 2014 mit Arizon noch glücklich ein Joint Venture gründeten, was dann allerding nach Termin- und Budget-Überschreitungen mit einem Abbruch der Freundschaft endete. Raiffeisen hat Arizon ganz übernommen und die Software nach eigenen Wünschen weiterentwickelt (Kritiker sagen verbessert).

Das erklärte Horrorszenario jeder Bank ist jedoch das Beispiel mit dem Super-GAU der britischen TSB-Bank, welche ihre Legacy-Plattform durch moderne Systeme ersetzen wollte, um ihre fünf Millionen Kunden zuverlässig bedienen zu können. Offensichtlich ist im Vorfeld und bei der Migration alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte – während Tagen war die Bank offline, wie auch unsere Kollegen von Inside IT berichtet haben.

Caisse d’Epargne d’Aubonne wird Ende 2020 auf Finstar migrieren 

Der gewonnene Finstar-Neukunde ist eine kleine Regionalbank, aus Sicht der Hypi jedoch mit matchentscheident für die kommerzielle Zukunft von Finstar. Zumal das Finstar-Kundenportfolio mit Kunden wächst, die im Bereich Klein- und Privatbanken angesiedelt sind.

Finstar nimmt für sich in Anspruch, dass mit dem "innovativen Kernbankensystem" ein ausgeklügeltes Vorgehen und Prozesse vorhanden sind, um die Migration von bestehenden Systemen ins eigene Finstar-System zu bewerkstelligen – und dies mit vergleichsweise wenig Aufwand und Personal. 

Wie die Migration über die Bühne geht, wird sich Ende Jahr zeigen. Die gesamte Schweizer Banken-IT-Branche wird ein interessiertes Auge darauf haben – zumal es sich bei der Caisse d’Epargne d’Aubonne um den ersten Kunden handelt, den man dem Lenzburger Nachbarn Finnova “abluchsen” konnte.

Um den lokalen Support und die Präsenz in der französischen Schweiz zu verstärken, hat die Hypothekarbank Lenzburg zudem ein Office in Lausanne eröffnet. Die Caisse d'Epargne d'Aubonne ist der zweite Kunde aus der Westschweiz, offensichtlich soll es nicht der letzte bleiben.

Lenzburg als Zentrum für Bankensoftware?

Die Schweiz als Bankennation hat eine erstaunlich hohe Dichte an Unternehmen, die auf Software für Banken spezialisiert sind. Zu den internationalen Grössen gehören das börsenkotierte Unternehmen Temenos in Genf oder der Zürcher Privatbanken-Spezialist Avaloq.

Die heimliche Hauptstadt für Bankensoftware heisst allerdings Lenzburg, da sind mit Finstar und Finnova gleich zwei Hersteller dieser wichtigen Banktechnologie beheimatet, mit hunderten von hochqualifizierten IT-Spezialisten. Ob es wohl an der guten Wasserqualität der Aare liegt oder an der Wärme der naheliegenden Kernkraftwerke? Jedenfalls ist es ziemlich einzigartig, dass eine Kleinstadt wie Lenzburg mit um die 10'000 Einwohner das ungeschlagen höchste Pro-Kopf-Aufkommen an Bankensoftware-Herstellern vorweisen kann.

Die Geschichte dieser beiden Anbieter ist allerdings ein Stück weit verwoben. Vor Jahrzehnten hat eine Gruppe von Lenzburger Programmierern sich für die Gründung von Finnova entschieden, während die andere Gruppe die hausgemachte Core Banking Software der Hypi weiterentwickelte. Erst später unter der heutigen CEO Marianne Wildi hat man sich entschlossen, diesen Service auch extern anzubieten.

Software as a Service (SaaS) aus Lenzburg

Die Software für Privat- und Universalbanken wird unter dem Namen Finstar auch an Drittbanken und andere Unternehmen vertrieben. Wie es scheint, kommt das Offering an – die Kundenbasis kann sich sehen lassen. Neben der Hypi selbst nutzen aktuell folgende Banken und banknahe Unternehmen die modulare Gesamtbankenplattform: Seba Bank, Scobag Privatbank, Avobis Group, Personalkasse SBB CFF FFS, Ersparniskasse Speicher, Spar- und Leihkasse Wynigen, Caisse d’Epargne Nyon, Bank Sparhafen Zürich, Freie Gemeinschaftsbank Genossenschaft und ab Ende 2020 auch die Caisse d’Epargne d’Aubonne.

Für die laufende Weiterentwicklung setzt Finstar auf ein offenes Netzwerk von Experten aus dem Finanz- und Informatikbereich sowie aus der FinTech-Branche. Mit der Finstar Open Banking API stehen standardisierte Schnittstellen zur Verfügung, die eine schnelle Integration von Modulen und Systemen von Drittanbietern möglich machen.