Kryptowährungen & DeFi

Was El Salvador, der aktuelle Bitcoin-Absturz, entschlossene Regulatoren und Tether miteinander zu tun haben

Fluss mit Sonne und Regen
Bild: Parie Albadar | Getty Images

Verschiedene Ereignisse in einem grösseren Zusammenhang betrachtet, vermitteln ein anderes Bild – eines, das die Krypto-Märkte in nächster Zeit beeinflussen könnte.

Dass der Bitcoinkurs gleich zweistellig abstürzt, passt erst auf den zweiten Blick zum historischen Tag von El Salvador: Präsident Nayib Bukele hat seine Pläne in die Tat umgesetzt, seit gestern ist der Bitcoin als offizielles und gesetzliches Zahlungsmittel in El Salvador zugelassen, neben dem US-Dollar. Die Bitcoin-Gemeinde freut sich zu Recht, die Märkte reagieren ganz anders, der Bitcoin und zahlreiche Altcoins stürzen ab – wie kommt's?

Ein grosser Tag für El Salvador – ein Meilenstein für den Bitcoin

El Salvadors Präsident hat sein Bitcoin-Projekt gegen alle Widerstände mutig durchgeboxt. Das Volk hat er noch nicht auf seiner Seite, die USA, die Weltbank, den IWF und zahleiche andere Institutionen schon gar nicht.

Den gestrigen Kurssturz hat Bukele für weitere Bitcoin-Zukäufe genutzt, was ihm einmal mehr die harsche Kritik der Weltbank eingebracht hat, welche sein Bitcoin-Experiment in keiner Weise unterstützen will. Diese Ablehnung ist nicht neu, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und so ziemlich jede andere offizielle Stelle hat dem kleinen Staat in Zentralamerika seit Wochen schon ins Gewissen geredet und geschrieben – mit Argumenten in einem Mix von Appellen an die Vernunft, harscher Ablehnung, Warnungen vor fatalen Folgen und der Androhung unerfreulicher Konsequenzen.

Den Meilenstein beantworten die Märkte mit einem Kurssturz

Der Bitcoin hat gestern bis zu 15 Prozent verloren und zahlreiche Altcoins mitgerissen. Damit hat der Bitcoin unterstrichen, dass er weiterhin volatil bleiben wird und dass die zahlreichen Prognosen des ungebremsten Bullenmarkt-Aufstiegs bis auf den Wert von 100'000 Dollar möglicherweise etwas verfrüht platziert worden sind.

Der Absturz dürfte mit den Entwicklungen in El Salvador insofern zu tun haben, als einige Investoren das wegweisende Ereignis zum ersten Mal in einen Zusammenhang mit der Rolle von zentralen Währungs-Institutionen und Regulierungsbehörden gebracht haben.

So klein El Salvador auch ist, es ist der erste Staat weltweit, der Bitcoin als Zahlungsmittel und als Zahlungswährung offiziell einführt und anerkennt. Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der Kryptowährungen. Die Euphorie der Bitcoin-Gemeinde – das erste Land weltweit mit Bitcoin als gesetzlicher Zahlungswährung – wird von keiner offiziellen Stelle geteilt, man betrachtet El Salvadors Bitcoin-Experiment als unerwünscht und höchst gefährlich. Nicht nur für den Kleinstaat, auch für das Währungs- und Zahlungsgefüge weltweit, immerhin könnte das Beispiel El Salvador Nachahmer finden. In dieser Ablehnung und den daraus resultierenden möglichen Konsequenzen dürfte auch der aktuelle Kurssturz begründet sein.

Regulatoren nehmen Kryptowährungen verstärkt ins Visier

Der Chef der US-Börsenaufsicht SEC, Gary Gensler, hat nun bereits mehrfach über die Regulierung von Neo-Brokern, Decentralized Finance (DeFi) und Kryptowährungen generell laut nachgedacht, MoneyToday.ch hat berichtet. Die US-Senatorin Elizabeth Warren sieht die Krypto-Branche als "neue Schattenbank", vermisst dabei "Finanzstabilität und Anlegerschutz" und bringt neue Vorschläge und auch den Wunsch nach Verboten in die Regulierungsdiskussion ein.

Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen von Gensler und Warren in den USA und auch in Europa teilen diese Haltung und sind ebenfalls mehr oder weniger offensiv bemüht, Strukturen und Vorschläge zur Regulierung in die Diskussion zur Gemengelage der verschiedenen Krypto-Ausprägungen zu bringen. Das historische Ereignis in El Salvador dürfte tatsächlich zum Verstärker werden, Regulierungs-Anstrengungen zu forcieren und unerwünschte Entwicklungen zu stoppen – "wehret den Anfängen" gewissermassen.

Dieses Bemühen kann eine Reihe weiterer Mitstreiterinnen und Mitstreiter auf den Plan rufen, um gemeinsame Interessen zu wahren, unterstützt von der Weltbank, dem IWF sowie Institutionen, Zentralbanken und Regulierern aus zahlreichen Ländern. Diese losgetretene und neu entdeckte Lust am Regulieren dürfte sich weniger auf Bitcoin und Altcoins konzentrieren – digitale Wertspeicher als Anlagemöglichkeiten werden internationalen Währungs- und Zahlungssystemen nicht gefährlich.

Im Fokus dürften eher DeFi-Projekte stehen und allem voran: Stable Coins. Letztere werden als "digitaler Dollar-Ersatz" und damit als Gefahr für Währungs- und Zahlungssysteme gesehen. Regierungen und Zentralbanken beanspruchen zudem die Domäne der Stable Coins für sich. Die Luft für unregulierte und private Stable Coins dürfte dünner werden, CBDCs von Zentralbanken werden Vorfahrt bekommen. Das heisst, die aufgestellten Waffen sind nicht auf sanfte Regulierung, sie sind eher auf Abschuss von Stable Coins programmiert.

Warum Regulatoren die Scheinwerfer auf Tether richten könnten

Mindestens aus drei Gründen. Zum einen: Tether ist der grösste und höchstkapitalisierte Stable Coin mit hohem Gewicht im Markt. Zum anderen: Tether als Unternehmen und als Stable Coin operiert unreguliert und ist nicht transparent. Zum Dritten: Tether steht schon im Fokus, die Scheinwerfer sind bereits aufgestellt. Tether war und ist schon mehrfach Objekt von Untersuchungen geworden. Nach einem Bericht von Bloomberg sollen Führungskräfte von Tether auch aktuell im Zentrum einer strafrechtlichen Untersuchung des US-Justizministeriums im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Bankenbetrugs stehen.

Diese Nachricht von Ende Juli 2021 steht in einer langen Reihe von Vermutungen, Gerüchten und Anschuldigungen, die gegen Tether seit längerem schon erhoben werden – und nie verstummt sind. Im Kern geht's bei diesen Vorwürfen darum, inwieweit der Stable Coin USDT tatsächlich mit US-Dollar hinterlegt ist und ob Tether mehr USDT ausgibt als US-Dollar eingenommen werden.

Der Fall Tether zieht inzwischen weite Kreise, unter anderen zeigen sich auch US-Notenbanker und die Finanzministerin Janet Yellen besorgt und alarmiert.

Aus all diesen Gründen ist Tether für Behörden und Regulatoren der ideale Kandidat, um einerseits "Ordnung zu schaffen" und vor allem auch, um sichtbar für die Welt Stärke zu zeigen und ein Exempel zu statuieren. Der Tether erfüllt weitgehend selbstverschuldet sämtliche Voraussetzungen, um der Krypto-Branche aus der regulatorischen oder politischen Ecke plakativ zu demonstrieren, wer der Chef ist und wo's langgeht.

Die Rolle von Tether für den Krypto-Markt

Tether USDT ist durch seine Grösse und durch seine Verwendung ein absolut zentrales Element der Krypto-Branche. Der Stable Coin rangiert in der Marktkapitalisierung mit über 68 Milliarden US-Dollar (Stand 8. September 2021) nach Bitcoin und Ethereum aktuell an fünfter Stelle, steht jedoch beim gehandelten Tagesvolumen mit Abstand an der Spitze sämtliche Kryptowährungen.

Tether funktioniert als digitaler Dollar, um schnell und ohne den Umweg über Fiatgeld zum Beispiel Bitcoin und andere Kryptos in die digitale Form von US-Dollar zu tauschen. Tether ist in gewisser Weise und funktional zur Zentralbank der Kryptomärkte geworden, ohne eine Bank zu sein, unreguliert und ohne externe Überwachung. 

Sollten sich Vermutungen und Spekulationen um die Unterdeckung von Tether erhärten, könnte das eine Art Bank Run auslösen und damit eine Welle von weiteren Reaktionen lostreten, die Bitcoin und weitere Altcoins mit in den Strudel reissen.

Die von "Bloomberg" publizierte Geschichte rückt das Unbehagen rund um Tether einmal mehr in der Vordergund. Ein Vordergrund, der von zahlreichen Medien immer wieder thematisiert wird. Unter anderen durch die "Financial Times", welche am Ball bleibt und Tether regelmässig massiv infrage stellt. Was dabei auffällt: Haben früher eher Insidermedien und Blogs zum Thema berichtet, sind in letzter Zeit zahlreiche grosse internationale Titel und Wirtschaftsmedien mit auf der Fährte. Das schafft für die Kryptomärkte ein Gefährdungs-Potenzial, das nicht zu unterschätzen ist. 

Die Rolle der Krypto-Gemeinde

Zweifel und die nun schon seit längerem erhobenen Vorwürfe gegen Tether beschäftigen die aktive Krypto-Gemeinde nicht über alle Massen, der Stable Coin scheint nach wie vor der Coin der Wahl zu sein und das Vertrauen der Community zu geniessen. Gewohnheit und der Komfort des digitalen Dollars wiegen aktuell offensichtlich mehr als das mögliche Risiko eines gewaltigen Knalls.

Diese Passivität könnte sich als folgenschwerer Fehler erweisen. Mit genügend Druck auf Tether aus dem inneren Zirkel, aus der handelnden Community, könnte das Problem wahrscheinlich effizienter und innerhalb der "Familie" vor allem "geräuschloser" gelöst werden. Werden erst Behörden aktiv und schiessen sich Regulatoren auf Tether ein, wird das nicht ohne weitherum hörbare Geräusche und schmerzhafte Nebenwirkungen ablaufen.

Erfahrungsgemäss setzt ab diesem Punkt eine panisch reagierende Anleger-Gemeinde einen fatalen Domino-Effekt in Gang – mit dem möglichen Resultat, dass neben Tether alles, was an Coins Namen, Rang, Bedeutung und Kurs hat, gleich mit in die Tiefe gerissen wird. Dieses Worst Case-Szenario wäre zu verhindern. Entweder durch Druck aus den eigenen Reihen oder dann durch den Umstieg auf einen Stable Coin, der mit den erwarteten und auch selbstverständlichen Regeln von Verantwortung, Transparenz und Eigenregulierung unterwegs ist.

Mit anderen Worten: Sollten sich Verdachtsmomente und Anschuldigungen gegenüber Tether in Luft auflösen, bleibt der Sturm im ersten Anlauf aus und die Krypto-Gemeinde hat einfach Glück gehabt. Läuft die Entwicklung ganz anders und es kommt zum grossen Knall, steht dieselbe Community mit in der Verantwortung – sie hat die eigene Spielwiese mit zwei zugedrückten Augen selber unter Wasser gesetzt.

Tether in den Medien

Der nicht regulierte Stable Coin Tether und seine intransparente Rolle sind seit Monaten immer wieder Thema in den Medien, insbesondere in der Wirtschaftspresse. Die jüngste Geschichte kommt von unseren Kollegen von "Finance Forward" und von "Capital", welche Hintergrund, Status quo und mögliche Auswirkungen in zwei lesenswerte Artikel gepackt haben. "Finance Forward" bringt die zentralen Punkte in einer Zusammenfassung, "Capital" liefert die ausführliche Story mit allen Details. Der Anriss der Geschichte liest sich so:

"Für die Kapriolen des Bitcoin-Kurses ist auch eine obskure Kryptowährung verantwortlich: Tether. Es gibt einen ungeheuerlichen Verdacht: Stecken dahinter nur Luftbuchungen? Die Geschichte eines möglichen Riesenbetrugs."

Wer in den letzten Wochen ebenfalls über Tether berichtet, vor einem möglichen Bank Run und vor einem Erdbeben für die ganze Kryptobranche gewarnt hat:

Die Aufzählung ist nicht vollständig, lediglich ein Auszug mit Berichten und Artikeln der letzten Wochen und Monate.

Die Eigenverantwortung der Krypto-Branche

Kryptowährungen und DeFi funktionieren dezentral. Eine Betrachtung übrigens, die von SEC-Chef Gary Gensler zumindest in Bezug auf DeFi nicht vorbehaltlos geteilt wird. Dennoch, als dezentrales Gefüge hat die Krypto-Branche keinen Chef und keinen Vorstand, der regulierend eingreifen könnte.

Genau darin liegt der Vorteil und ein starkes Argument. Auf der anderen Seite entlässt diese dezentrale Freiheit niemanden aus der Veranwortung. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer am Krypto-Markt ist Teil einer Masse mit Einfluss, die als Regulativ funktionieren kann und auch soll. Zum Beispiel dadurch, indem man etwas tut oder lässt, indem Leistungen in Anspruch genommen werden oder eben auch nicht. Dadurch können Übertreibungen, Intransparenz oder unverantwortliches Handeln kontrolliert und entsprechende Anbieter und deren Produkte ausgetrocknet werden. So kann ein Markt, der noch fragil und anfällig für Störungen bleibt, funktionieren und auch wachsen.

Ist kein inneres Regulativ vorhanden oder wirksam, kommt die Regulierung verstärkt von aussen. Das tut sie richtigerweise ohnehin, aber der Grad der notwendigen Regulierung bleibt zumindest ein Stück weit beeinflussbar.