Spielfelder der digitalen Identität

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Jahrelang lag in der Schweiz das Thema Digital Identity im Tiefschlaf wie Dornröschen. Das hat sich geändert, mehrere Protagonisten hauchen der digitalen Identität Leben ein. Die aktuellen Bewegungen.

Was Estland als digitale Nation schon seit Jahren sehr konsequent forciert und betreibt, war für die Schweiz immer wieder mal ein Diskussionsthema ohne Konkretisierung: die digitale Identität. Seit einigen Monaten ist der Zug auch in der Schweiz auf den Schienen. Mehrere Weichen müssen allerdings erst noch gestellt werden, bevor die noch nicht definierte Komposition Fahrt aufnehmen kann.

Die Chronologie der Ereignisse

Seit 2010: SuisseID
Sieben Jahre im Markt und dennoch ein kostspieliger Ladenhüter geblieben. Zu umständlich, zu teuer und in der Kommunikation ohne jede Brücke zur Schweizer Bevölkerung. Niemand wusste, dass es eine SuisseID gibt.

Ende 2016: Zwei Gruppen mit konkreten Projekten
Sichtbare Bewegung im November 2016, als das Triumvirat von UBS, Credit Suisse und Swisscom zum ersten Mal laut über ihr gemeinsames Projekt der Digital Identity nachdenkt. Parallel dazu und weiterhin ebenfalls am Werk: SBB und Post, welche ihr eigenes Projekt vorantreiben.

Februar 2017: Bundesrat stellt Vorentwurf zur elektronischen Identität vor
Die offizielle Sicht der Dinge kommt mit dem Statement des Bundesrates, der mit seinem Vorentwurf zur elektronischen Identität den Rahmen für die neuen Realitäten schaffen will. Mit einer Aufgabenteilung zwischen Staat und Wirtschaft, Ausstellen und Handling der Digital ID soll bei privaten Dienstleistern angesiedelt werden. Der Entwurf geht am 22. Februar 2017 in die Vernehmlassung.

Mitte Mai 2017: Lancierung SwissID
SwissSign, das Gemeinschaftsunternehmen von Post und SBB, lanciert die SwissID, die ab Herbst 2017 schrittweise eingeführt werden soll.

Mitte Mai 2017: Gegenwind vom Kanton Zürich
Der Kanton Zürich formuliert einen Gegenvorschlag, der die Hoheit über die Digital Identiy bei Bund, Kantonen und Gemeinden anbinden möchte, lediglich die notwendige Software soll über Drittanbieter beschafft werden.

Ende Mai 2017: Vision einer einzigen digitalen Identität
Die Initiative von Swiss FinTech Innovations, welche Post und SBB sowie UBS, Credit Suisse und Swisscom plus weitere Partner an einen Tisch bringen soll – mit der Vision, eine einzige Schweizer Digital Identity zu schaffen.

Aktuell: Offenes Feld für weitere Ideen, Technologien und Anbieter.

Das ist die kurz gefasste Version der bisherigen Entwicklung und noch jungen Geschichte der digitalen Identität der Schweiz. Grundsätzliche Fragen sind noch nicht final entschieden, die verbindlichen Spielfelder werden erst abgesteckt und auch die Mitspieler der Endrunde stehen noch nicht fest.

Deshalb sind die Felder aktuell gross genug für weitere Ideen und Anbieter. Gerade dann, wenn Startups und FinTechs die Spielfelder der Digital Identity selbst schon vergrössern, um die Blockchain erweitern und die digitale Identität als Teilelement in neue Umfelder und Anwendungsbereiche stellen. Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel aus der Werkstatt des Zürcher Startups Procivis.

eID+ von Procivis

Das Plus nach dem eID steht für die Tatsache, dass eine digitale Identität nicht Selbstzweck ist, sondern als Schlüssel zu zahlreichen Leistungen und Funktionen viel mehr können soll. Das Startup Procivis hat unter der Federführung von Gründer und CEO Daniel Gasteiger die Plattform "e-Government as a Service" entwickelt. Die Plattform nennt sich kurz eID+ und steht seit Ende Mai in einer voll funktionsfähigen Beta-Version zur Verfügung.

Die Rundum-Lösung auf den Spuren des Modells Estland
Das "e-Government" im Produktnamen zeigt, wo Provicis und Daniel Gasteiger die Verantwortung für die Herausgabe einer nationalen elektronischen Identität sehen: beim Staat. Die digitale Identität selbst ist nur ein Bestandteil der Plattform, die sehr viel grösser gedacht ist. eID+ wird von Gasteiger als "digitales Rückgrat" bezeichnet, an welches dann Dienstleistungen von Behörden und auch Services von privaten Drittanbietern angekoppelt werden können. Die geplante und in Teilen bereits realisierte Vielseitigkeit orientiert sich auch am Beispiel von Estland, dem Staat mit gewaltigem Vorsprung in der Digitalisierung. Estland bietet seiner Bevölkerung über die Digital Identity aktuell mehr als 600 und Unternehmen sogar um die 2'400 e-Dienste in verschiedensten Bereichen an.

Die App im Zentrum eines Ökosystems
Basis der eID+ ist eine Mobile App. Über diese App kann der Nutzer seine Digital ID verwalten und alle damit verknüpften Dienstleistungen ansteuern. Zum Basisumfang gehören schnelle und sichere Anmeldung auf Internetseiten, elektronisches Signieren sowie die sichere Verwahrung von Dokumenten. Weitere Services von Behörden wie auch von der Privatwirtschaft kann der Benutzer über einen integrierten App Store dazu addieren. Die elektronische Identität in eID+ ist also in gewisser Weise "nur" das Zentrum eines wachsenden Ökosystems, das vom Benutzer individuell gestaltet werden kann.

Die Blockchain als Garant für Fälschungssicherheit
Dass Gasteiger als Blockchain-Spezialist die Plattform eID+ mit den Vorteilen und Möglichkeiten der Blockchain verbindet, überrascht nicht. Zumal die Blockchain-Technologie die weitergedachte Form der elektronischen Identität sein kann, wenn es um E-Voting, Verträge oder andere Geschäfte geht, welche im Ausgangspunkt immer an eine elektronische Identität gekoppelt sind. Und sobald das Thema Fälschungssicherheit im Zentrum steht, ist die Blockchain die prädestinierte Form des unveränderbaren Gedächtnisses.

Konzipiert in der Schweiz, gemacht für die Welt
Die Plattform "e-Government as a Service" ist das Angebot an die Schweiz und gleichzeitig die Technologie für den Export. Sie ist konzipiert für Regierungen, staatliche Behörden und auch für internationale Organisationen. Daniel Gasteiger geht davon aus, erste Pilotprojekte innerhalb der nächsten Monate realisieren zu können. Gespräche mit Schweizer Kantonen, UN-Organisationen sowie mit der Weltbank sind nach Aussagen von Gasteiger am Laufen. Partner NGOs und zwischenstaatliche Organisationen sollen unentgeltlichen Zugang zur Plattform erhalten, damit will Procivis die Arbeit dieser Organisationen in Entwicklungsländern unterstützen.

Bemerkenswert
Erstaunlich, dass ein erst vor wenigen Monaten gegründetes Startup mit eID+ ein Konzept und eine Lösung präsentiert, die in Sachen Vielseitigkeit und Erweiterbarkeit Massstäbe setzen kann. Agilität und Schnelligkeit gehören zu den Kerndisziplinen von Startups und FinTechs – ein Vorteil, den Procivis überzeugend in die Waagschale wirft. Die Digital Identity made in Switzerland funktioniert international und ist damit exporttauglich. Ein weiterer, möglicherweise markanter, Baustein im Image-Puzzle des Technologie-Standortes Schweiz – zumal zahlreiche Staaten beim Thema Digital Identity noch eher in den Anfängen stecken. So wie die Schweiz vor wenigen Monaten.

Procivis: Details zur Plattform e-Government as a Service

Stichworte zum Thema im Lexikon: Digital Identiy | E-ID | E-ID-Gesetz | SwissID | Blockchain