Kryptowährungen

Bitcoin Halving ohne Rallye und Feuerwerk – wie ist das zu bewerten, wohin geht die Reise?

Eine Bitcoin-Münze liegt auf Schienen

Eine pragmatische Betrachtung und ein Kommentar zum Halving, zum Bitcoin und zum eklatanten Unterschied zwischen seinen Anfängen 2009 und heute.

Dass der Bitcoin am 13. Mai 2020 bei Redaktionsschluss über 9'000 Dollar notiert, ist für die einen bereits eine kleine Rallye, für die anderen eine herbe Enttäuschung. Es ist weder das eine noch das andere, die aktuellen Kursbewegungen nach unten und nach oben gehören mehr zur immer noch gewohnten Volatilität des Bitcoin.

Kurzlebiges Feuerwerk oder starke Entwicklung auf Dauer?

Auch bei früheren Halvings, 2012 und 2016, kam das wirklich grosse Feuerwerk nicht direkt nach Halbierung der Miner-Belohnung – gut Feuerwerk wollte auch damals schon Weile haben. Nicht ausgeschlossen deshalb, dass sich die Kursrakete in nächster Zeit zündet – allerdings und zum Glück nicht ausschliesslich des Halvings wegen. Zum Glück deshalb, weil der Bitcoin als Asset über das Stadium hinausgewachsen ist, auf ein einziges Ereignis angewiesen zu sein, um sich positiv zu bewegen.

Mit anderen Worten: Kontinuierliche und starke Kursentwicklung aufgrund von zahlreichen und verschiedenen Marktfaktoren ist gesünder und nachhaltiger, als das Abfeuern einer Kursrakete mit beschränkter Brenndauer. Eine Kombination von "gesund" und "Rakete" bleibt natürlich möglich, wahrscheinlich jedoch mit einer stärkeren Betonung auf nachhaltig und dauerhaft, mittelfristig dann zulasten der gewaltigen Volatilität in alle Richtungen.

Technische Betrachtung und Chartanalysen

Wer sich für "berechnete" Prognosen, Chartanalysen, Widerstände und Unterstützungspunkte interessiert, findet hunderte von aktuellen Abhandlungen im Internet, die mehr oder weniger verständlich und ausführlich erklären, wohin die Reise gehen sollte und könnte und aus welchen Gründen. Der Bitcoin selbst erlaubt sich allerdings weiterhin, diese Prognosen oftmals schnöde zu ignorieren.

Das ist in keiner Weise beunruhigend, das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich aus der Chart-Vergangenheit des Bitcoin nur sehr beschränkt seine Zukunft ableiten lässt. Was für eine Aktie noch halbwegs gut funktionieren mag, ist für ein junges Phänomen wie Bitcoin weniger praktikabel, zumal das Umfeld und die Situation des Bitcoin sich laufend verändern.

An Ersterem mögen Chartanalysten verzweifeln, Letzteres arbeitet für den Bitcoin und bildet die Notwendigkeit, um aus einem Phänomen für Spezialisten eine breit akzeptierte Assetklasse und eine harte Währung zu machen, die ihre Potenziale in mehrfacher Hinsicht ausspielen kann – auch in der Kursentwicklung.

Pragmatische Betrachtungen zum Bitcoin

Aus aktuellem Anlass heute deshalb keine technische Betrachtung und auch keine kluge Analyse mit unterstützenden Zahlen und Fakten. Im Folgenden schlicht einige Beobachtungen, welche den Unterschied zwischen einem Phänomen für Nerds und Spezialisten (früher) und einer erkennbaren Breitenbewegung (aktuell auf dem Weg) ausmachen. Diese Beobachtungen zeigen, was der Bitcoin bereits geschafft hat und weshalb die Kryptowährung heute an einem ganz anderen Punkt steht, als noch von ein paar Jahren.

Die Bitcoin-Menge ist limitiert
Sind 21 Millionen Bitcoins geschöpft und auf dem Markt, ist Schluss. Die durch die Halvings langsamer wachsende "Geld"-Menge wird ihren Endpunkt 2040 erreicht haben, danach gibt's keine neuen Bitcoins mehr. Die bestehenden jedoch bleiben da. Im Gegensatz zu Fiatgeld und traditionellen Währungen, deren Menge durch die Zentralbanken jederzeit beliebig verändert werden kann (und auch verändert wird), kann die Zahl der Bitcoins im Umlauf nach 2040 weder vergrössert noch künstlich aufgeblasen werden. 

Das beeinflusst den Wert des Bitcoin. So wie Gold nicht endlos geschürft werden kann, was Gold zum "sicheren Hafen" macht, so verhält es sich auch mit dem Bitcoin. Im Gegensatz zu Gold allerdings sogar noch konsequenter. Neue Goldvorkommen werden noch gefördert werden können, wenn der Bitcoins sich schon längst mit limitierten 21 Millionen Einheiten bescheidet. Heute steht der Bitcoin bei gut 18 Millionen Einheiten im Umlauf, in den nächsten Jahren kommen also nur noch etwas mehr als 3 Millionen neue Einheiten dazu.

Von der Exoten-Währung zum akzeptierten Asset
Pochte das "Experiment Bitcoin" vor Jahren vergeblich an die Türen von traditionellen Banken, sind heute die meisten oder zumindest zahlreiche klassische Banken mit im Bitcoin-Boot – auf die eine oder andere Weise. Ob Bitcoin und Kryptowährungen direkt gekauft und gehalten werden können oder ob verschiedene Anlage-Instrumente angeboten werden, spielt erstmal keine Rolle. Wichtig ist, eine Bank ohne Bitcoin- oder Krypto-Assets hinterlässt enttäuschte Kunden, welche Zugang haben wollen. Deshalb ist der Bitcoin auch für klassische Banken zum Thema geworden.

Anleger und Investoren
Wurde Bitcoin vor einigen Jahren noch als digitales Abenteuer betrachtet, das gerade noch als Spielplatz für Spinner und Hasardeure tauglich ist, sind heute Privatanleger, Family Offices und Institutionelle mit im Spiel. Aufgrund der (auch heute noch) hohen Volatiltität vor einiger Zeit noch primär als handelbares Kurzfrist-Instrument betrachtet, um schnell hohe Gewinne oder hohe Verluste einzufahren, ist der Fokus heute zunehmend auf längerfristige Anlagen ausgerichtet. Dem Bitcoin und einigen anderen Kryptowährungen traut man inzwischen zu, dass sie mittelfristig Kurse und Werte erreichen, die für Überraschungen sorgen können.

Die Prognostiker
Die Kursprognosen im "normalen" Bereich reichen von Null bis 20'000 Dollar pro Bitcoin in den nächsten Jahren. Euphorische Marktteilnehmer sehen 50'000 Dollar als durchaus realistisch. Der schillernde Unternehmer John McAfee wettet darauf, dass der Bitcoin Ende 2020 eine Million Dollar Wert haben wird. Andere Euphoriker (zum Teil auch knallharte Rechner) toppen diese Prognose, allerdings mit einem längeren Zeithorizont.

Ob der Kurs in einigen Jahren bei Null oder bei McAfees angestrebter Million liegen wird, steht in den Sternen und ist in unserer pragmatischen Betrachtung ohne Glaskugel nicht der Punkt. Wichtig ist, dass durch diese und weitere publizierte Prognosen die Fantasien beflügelt werden. Beflügelte Fantasien motivieren weitere Investoren, über den Bitcoin nachzudenken. Die wachsende Zahl von Investoren schafft Vertrauen, allerdings noch auf sehr dünnem Eis. Sollte sich eine der realistischen Prognosen erfüllen, wird das Eis dicker. Und dickeres Eis macht den Bitcoin tatsächlich stärker im Markt, zieht neue Investoren an und baut das noch fragile Vertrauen weiter aus.

Jede Währung, ob digital oder traditionell, lebt letzenendes vom Vertrauen. Gelingt es dem Bitcoin, den fehlenden Staat oder besser die fehlende Zentralbank im Hintergrund durch andere vertrauensbildende Faktoren zu ersetzen, wird sich eine Währung etablieren, die gewaltig an Stärke gewinnen kann. Gelingt das nicht, war Bitcoin ein spannendes Experiment, das Wege zu anderen Experimenten öffnet.

Das mediale Umfeld
Vor einigen Jahren noch in einer Mischung aus interessiert und argwöhnisch beäugt, gehört die Berichterstattung über Bitcoin und Kryptos heute zum Alltag der Medien. Der Bitcoin wird seit einiger Zeit von zahlreichen Medien auch auf der täglichen Übersichts-Liste der wichtigsten Assets geführt, neben Indices, Fiat-Währungen, Öl und Gold.

Dieser Umgang zeigt die Entwicklung und den Unterschied zwischen 2009 und heute. Der Bitcoin ist zum selbstverständlichen Asset geworden – noch etwas exotischer als andere, aber eben dennoch bereits gewohnt und selbstverständlich.

Der Siegeszug in die Breite
Diese mediale Breite hat auch zu einer Breitenentwicklung beim Publikum geführt. War der Bitcoin vor einigen Jahren das Spekulations-Objekt von Wenigen, ist der Bitcoin heute bereits die alternative Anlage von Vielen. Stark dazu beigetragen haben Banken wie Swissquote in der Schweiz, die Börse Stuttgart mit der Krypto-App Bison oder auch FinTechs und Neo-Banken wie Revolut, um nur einige Beispiele zu nennen.

Sie alle haben dafür gesorgt, dass Bitcoin und andere Kryptos von ganz normalen Menschen sehr einfach gekauft, gehalten und verkauft werden können. Ohne grosse Hürden und ohne Rätsel um verschiedene Arten von Wallets oder Private Keys lösen zu müssen, welche Normalbürger sehr schnell überfordern. Die verschiedenen Apps mit konsequenter Ausrichtung auf komfortabel, schnell, einfach und sicher haben den Bitcoin und Kryptowährungen zum Thema für breite Bevölkerungsgruppen gemacht. Diese Entwicklung hat bereits eine gewisse Breite erreicht, welche sich eher schnell noch deutlich vergrössern wird.

Im Fokus der Zentralbanken
Nicht der Bitcoin im Besonderen, aber Kryptowährungen generell haben bei Politik und Zentralbanken neue Überlegungen angestossen, die vor 2009 kein Thema waren. Abgeleitet von Kryptowährungen denken Zentralbanken über nationale digitale Währungen nach und experimentieren gedanklich oder real mit CBDCs (Central Bank Digital Currency). Sehr stark zusätzlich auch inspiriert, um nicht zu sagen aufgescheucht, durch das Libra-Projekt.

Auch diese Aktivitäten, welche in Medien beobachtet und kommentiert werden, befeuern den Bitcoin. CBDSs sind keine Kryptowährungen im klassischen Sinne, aber die blosse Verwandschaft wirft eben auch einen hellen Schein auf den Bitcoin und verschafft ihm zusätzliche Aufmerksamkeit.

Die vehementesten Kritiker sind leise bis still geworden
Medien, Blogs und Social Medias waren lange Zeit voll mit Artikeln von vehementen Krypto-Gegnern, welche in Ton und Tenor zwischen warnen, verteufeln oder heftig verdammen angesiedelt waren. Unabhängig vom Temperament waren sich alle diese zahlreichen Schreiber in einem Punkt einig: die Idee und das Konstrukt des Bitcoin kann und wird nicht überleben, der baldige Tod steht bevor. Die Frage war nur: langsames Sterben oder Exitus mit Knall, Getöse und einem Heer von Verlierern.

Um diese Fraktion, sie war gross und sehr hörbar, ist es erstaunlich ruhig geworden. Wie ruhig? Das Branchenportal Kryptoszene hat kürzlich rapportiert, dass die Anzahl der Berichte über das baldige Sterben der Digitalwährung Bitcoin sich um "98 Prozent" verringert hätten. Ob die schweigenden Autoren inzwischen zu Bitcoin-Investoren geworden sind oder in Anbetracht der gesamten Krypto-Entwicklung schlicht kapituliert haben, wusste die Kryptoszene nicht zu berichten.

Fakt jedoch bleibt: Das Ausbleiben des Abgesangs und der oftmals hämischen Artikel über den kurz bevorstehenden Tod von Kryptowährungen hat medialen Raum geschaffen, der mit sachlichen und informativen Stories zu Bitcoin und Kryptos gefüllt wird. Mit Geschichten und Details zur erstaunlichen Entwicklung, ohne Begleiterscheinungen wie Volatilität, Risiken und andere Faktoren auszublenden. 

Was heisst das alles?

Wir haben verständliche, unwissenschaftliche und pragmatische Betrachungen aufgrund von Beobachtungen der jüngeren Vergangenheit versprochen. Deshalb verkneifen wir uns jetzt den sattsam zitierten und bereits etwas abgedroschenen Satz "der Bitcoin ist gekommen, um zu bleiben". 

Ob und in welcher Form genau der Bitcoin bleiben mag, muss und kann allerdings auch nicht prognostiziert werden – der Bitcoin wird in nächster Zeit nicht alle Launen ablegen und deshalb seine Geschichte selbst schreiben.

Erstaunlich jedoch ist seine Entwicklung zwischen 2009 und heute. Um den versprochenen pragmatischen Pfad nicht zu verlassen, wagen wir keine Prognose, sondern sagen schlicht:

Der Bitcoin hat viel erreicht, steht heute an einem ganz anderen Ort als noch vor einigen Jahren, ist breiter akzeptiert und wird auch an weiterer Breite gewinnen. Deshalb braucht es im Gegensatz zu 2012 kein Halving, damit neue Bewegung entsteht, der Bitcoin ist und bleibt in Bewegung – nicht nur bezogen auf seine Volatilität. Das Halving ist nur einer von inzwischen zahlreichen Faktoren, welche sich auf den Bitcoin auswirken.

So oder so wird der Bitcoin auch in den nächsten Monaten und Jahren für Überraschungen und für Schlagzeilen sorgen – ziemlich sicher sogar in neuem Rhythmus und erhöhter Frequenz.