Der Traum vom “Plug and Play”-Banking

Stecker und Anschlussdose mit rotem Kabel
Bild: Santje09 | Getty Images

Wenn Sie jemand danach fragen würde, welche Branche sich am langsamsten verändert, die häufigste Antwort wäre: das Bankwesen – und das nicht zu Unrecht.

Technologie für Banken war lange Zeit ein äusserst komplexer, schwerfälliger Bereich. Die Systeme der traditionellen Banken sind grösstenteils noch Altsysteme aus den 80er-Jahren und enthalten riesige Bestände hochsensibler Kundendaten. Nicht zu vergessen, dass das Bankwesen – zu Recht – eine der am stärksten regulierten Branchen ist, was Wartung und Updates zu einer noch grösseren Herausforderung macht.

Die jüngste Geschichte von der Citi-Bank, die versehentlich 500 Millionen Dollar an ihren Kreditgeber zurückzahlte, ist ein perfektes Beispiel dafür, warum die Herausforderungen für Banktechnologie so stark sind. Diese Panne ist ausgelöst worden durch eine komplexe Schnittstelle zwischen isolierter Technologie und Menschen, die die Lücken zwischen den Tabellen füllten.

Das Aufkommen von "Plug-and-Play"-Anbietern hat  eine Flut an Veränderungen und Optimismus in der Branche mit sich gebracht. Aber wie gross sind die Auswirkungen?

Was versteht man unter "Plug and Play"?

Vereinfacht ausgedrückt sind "Plug-and-Play"-Anbieter FinTech-Unternehmen, die ein Produkt über eine Cloud-API anbieten, das heisst Banken können neue Lösungen anschliessen und diesen Dienst oder diese Funktion sehr schnell aktivieren. Einige dieser Anbieter verfügen über Cyber Security-Services, Onboarding, Massnahmen zur Betrugsbekämpfung – die Anzahl an Möglichkeiten ist endlos. Banken werden darauf aufmerksam, weil dies einen viel einfacheren und effizienteren Weg zur Innovation ebnet als die betriebsinterne Entwicklung.

Zweifellos haben "Plug-and-Play"-Anbieter die Lage verändert, aber einige Aussagen, die in der Branche in Bezug auf “Plug-and-Play” gemacht werden, sollten mit Vorsicht genossen werden. Räumen wir mit den Mythen auf...

1) Banken können sich innerhalb weniger Stunden an neue Dienste anpassen

Die Anbieter machen grosse Versprechungen in Bezug auf die Geschwindigkeit. Und natürlich bieten sie die Möglichkeit, eine Verbindung innerhalb weniger Tage oder Wochen – vielleicht sogar Stunden – herzustellen. Aber schaffen Banken – in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sie sich normalerweise bewegen – den Anschluss auch so schnell? Höchstwahrscheinlich nicht.

Letztlich hängt die Zeit für die Anbindung davon ab, wie dringend die Bank den Dienst benötigt und welche internen Ressourcen und Fähigkeiten sie hat. Theoretisch ist die Anbindung einer API innerhalb von ein oder zwei Tagen möglich, aber in der Praxis müssten sich die Banken sehr beeilen, um die Integrationen innerhalb von ein paar Wochen abzuschliessen. Diese Eile ist jedoch in keinster Weise ratsam, denn Banken verlassen sich in hohem Masse auf ihre Systeme, die wiederum äusserst sensible Daten enthalten – und so müssen sie sicherstellen, dass jede neue Integration praktikabel ist und den Geschäftsbetrieb nicht gefährdet, bevor sie diese einschalten.

2) Das Bankwesen ist dadurch zu einer experimentellen Branche geworden

Das Bankwesen ist auf jeden Fall schrittweise innovativer geworden, und "Plug and Play" hat dabei eine grosse Rolle gespielt. Banken können verschiedene Dienstleister viel einfacher ausprobieren, Dienste bequem ein- und ausschalten, wenn etwas nicht funktioniert. Das hat einen Spielraum für Experimente geschaffen, den es früher einfach nicht gab. Banken orientieren sich auch an der Vorgehensweise von Technologieunternehmen und versuchen, den Ansatz der Forschung und Entwicklung zu verfolgen, indem sie Prototypen testen und dann entwickeln, anstatt sich in langwierige Projekte zu stürzen, die in der Regel scheitern.

Das Bankwesen als "experimentell" zu bezeichnen, ist jedoch vielleicht noch etwas weit hergeholt. Geldhäuser sind sicherlich dankbar für ihre grössere Agilität und Flexibilität, aber Dienstleister sind immer noch an bestimmte Erwartungen, vorgeschriebene Anforderungen und komplexe Vorschriften gebunden. Wirklich experimentell zu sein, bedeutet, etwas zu tun, dessen Ausgang ungewiss ist, und das ist, offen gesagt, nicht wirklich die Art, wie die Bankenwelt funktioniert. Wenn es darum geht, das Geld eines anderen zu verwalten, sind die Banken immer noch vorsichtig, und das zu Recht.

3) Das Bankwesen sieht immer mehr wie Lego aus

Das ist wahr. Endlich haben Banken die Möglichkeit, sich wie die meisten anderen Branchen zu verhalten: Sie können Dienstleister auf der Grundlage ihres Angebots, ihrer Fähigkeiten, ihrer Preise und ihrer Eignung auswählen. Dieser "Luxus" ist etwas, das den Banken zu lange verwehrt war, da dominante Marktteilnehmer eine Anbieterbindung geschaffen und den Banken so bei der digitalen Transformation die Hände gebunden haben.

Bislang mussten Banken weitgehend akzeptieren, was ihr bestehender Anbieter zur Verfügung stellt. Oder sie mussten riskieren, alles selbst zu entwickeln, was Zeit, Geld und Ressourcen kostete. Jetzt haben Banken die Möglichkeit, einen Anbieter oder eine Kombination aus Anbietern zu wählen, die ihnen die nötige Freiheit, Leistungsfähigkeit und Kosteneffizienz bieten.

Geduld und Beharrlichkeit gewinnen das Rennen

Natürlich gibt es bei "Plug and Play" auch Einschränkungen und einige Herausforderungen. Der Umgang mit mehreren Anbietern bedeutet, dass verschiedene Verträge abgewickelt und gewährleistet werden müssen, damit alle "Komponenten" nahtlos zusammenarbeiten. Einige Anbieter haben möglicherweise schon einen Teil der Arbeit für Sie erledigt – ein Anbieter von Core-Banking-Technologie kann beispielsweise Vorab-Integrationen mit bestimmten Drittanbietern für AML und KYC anbieten – aber das ist nicht immer der Fall, so dass sich die Banken oft selbst um die Integrationen kümmern müssen.

Es steckt einfach mehr Arbeit dahinter, als die "Plug and Play"-Fantasie vermuten lässt. Banken können nicht erwarten, dass sie plötzlich alle ihre Softwareentwickler entlassen, um nur noch entsprechende Anbieter zu nutzen. Das interne Fachwissen ist nach wie vor unerlässlich, um zu verstehen, welche Dienste benötigt werden, und um sicherzustellen, dass diese im Einklang mit dem Gesamtbetrieb funktionieren.

Wenn man jedoch realistische Erwartungen setzt und weiss, wie die richtigen Partner auszuwählen sind, ist "Plug and Play" ein grundlegender Fortschritt. Die Abkehr von der Abhängigkeit des Anbieters ist ein phänomenaler Erfolg dieses Konzepts. Es ist zwar noch ein weiter Weg, bis das Bankwesen vollständig agil ist, und bei jeder Veränderung ist ein gewisses Mass an Vorsicht geboten, doch hat bei den Banken ein Umdenken stattgefunden. Während der Pandemie sahen wir zum Beispiel, wie Banken e-KYC (Know Your Customer) und digitale Onboarding-Prozesse einführten, anstatt sich auf Filialen zu verlassen.

Die eigentliche Chance besteht jetzt jedoch darin, in die Kerngeschäfte einzusteigen. Core Banking, Zahlungsverarbeitung, Betrugsbekämpfung, Anti-Geldwäsche, behördliche Meldungen – die Liste liesse sich fortsetzen, aber die Aktualisierung dieses Technologie-Stacks direkt im Herzen der Banksysteme wird die Innovation erst wirklich freisetzen.

Banken haben damit begonnen, "Plug and Play" auszuprobieren, und es gibt spürbare Fortschritte. In der nächsten Phase wird es darum gehen, sicherzustellen, dass der Kern des Bankensystems stark genug ist, um die Banktechnologie wirklich auf das nächste Level zu bringen.

Der Autor: Ove Kreison

Ove Kreison, Chief Technology Officer bei Tuum

Ove Kreison sorgt als Chief Technology Officer dafür, dass die Produkte und Services von Tuum im Hinblick auf Flexibilität und Technologie marktführend sind.

Das estnische FinTech bietet eine moderne, flexible Core-Banking-Plattform an, mit der stark regulierte Banken und FinTechs – aber auch jedes andere Unternehmen – neue kundenorientierte Finanzdienstleistungen anbieten können.