Ein Glücksfall für die Schweiz: Jan Schoch und Leonteq

Jan Schoch im Gespräch mit Ruedi Maeder (Redaktion MoneyToday) am World Web Forum 2017 in Zürich (Januar 2017)
Jan Schoch, Leonteq
Bild: Jan Schoch (MoneyToday | Ulrike Kiese)

Jan Schochs Ausstieg bei Leonteq mag bitter sein – für den Moment. Langfristig ist er es nicht, im Gegenteil. Und weshalb die überstrapazierte Metapher von hohem Flug und tiefem Fall viel mit Ikarus, aber nichts mit Schoch zu tun hat.

Fakt ist, dass für Leonteq 2016 nicht als das beste Jahr in die Unternehmensgeschichte eingehen wird. Nach acht Jahren Erfolg und Wachstum ist Leonteq 2016 ins Schlingern geraten. Zu viel Optimismus, zu schnelle Expansion und Probleme bei der Skalierbarkeit der Leonteq-Plattform haben das Unternehmen in die roten Zahlen rutschen lassen.

Fakt ist ebenfalls, dass die Crew um Jan Schoch in den letzten Monaten massiv korrigiert hat und mit den eingeleiteten Massnahmen den Turnaround offensichtlich geschafft und für gute Resultate im dritten Quartal 2017 gesorgt hat. Das sind die Fakten bis Ende September 2017, die vom Verwaltungsrat der Leonteq am 5. Oktober 2017 um ein neues Kapitel erweitert worden sind.

Die offizielle Medienmitteilung von Leonteq

Leonteq informiert betont sachlich und aussergewöhnliche Personalien werden nahezu schon beiläufig erwähnt. Zum Beispiel die folgende:

"Ebenfalls am 5. Oktober 2017 hat der Verwaltungsrat Marco Amato, Deputy CEO und CFO, zum neuen CEO ad interim von Leonteq ernannt. Er folgt auf Jan Schoch, Gründungspartner und CEO von Leonteq, der die neu geschaffene Position als Senior Advisor Strategic Growth Initiatives übernimmt. In seiner neuen Rolle wird Jan Schoch der Geschäftsleitung nicht mehr angehören. Er wird das Management bei der Weiterentwicklung von Leonteq aktiv unterstützen und sein internationales Netzwerk nutzen, um strategische Partnerschaften voranzutreiben."

Mit Jan Schoch selbst hat man sich auf ein persönliches Statement geeinigt, das in der Medienmitteilung so zitiert wird:

«Ich werde mich fortan exklusiv auf strategische Wachstumsinitiativen von Leonteq konzentrieren. Wir sind der Ansicht, dass dies im besten Interesse des Unternehmens liegt. Ich freue mich, Leonteq mit einem Fokus auf zukunftsgerichtete Schritte weiter zu unterstützen.»

Paukenschlag mit Tonausfall

Die hauptsächliche Neuerung mit Paukenschlag, dass Jan Schoch in einer neuen Rolle der Geschäftsleitung nicht mehr angehören wird und als CEO der Leonteq mit sofortiger Wirkung durch CEO ad interim Marco Amato abgelöst wird, ist in einem Nebensatz verpackt, ganz ohne Paukenschlag – das ist bemerkenswert.

Dazu kommen Neuerungen im Verwaltungsrat: Nominiert sind Christoph M. Chambers als neuer VR-Präsident sowie Paolo Brügger und Thomas R. Meier als neue Mitglieder des VR.

Ob die Neuausrichtung im Verwaltungsrat sowie die Rochade im CEO Office auf die Initiative von Investor Rainer-Marc Frey zurückgehen, ist als Vermutung interessant, aber nicht wirklich wesentlich. Hinter verschlossenen Türen sind am 5. Oktober 2017 neue und überraschende Tatsachen geschaffen worden, die in einer ausserordentlichen Generalversammlung vom 22. November 2017 noch verifiziert werden.

Hoch geflogen und tief gefallen?

Die Metapher von Ikarus mit hohem Flug und tiefem Fall wird seit längerem und auch aktuell von zahlreichen Kommentatoren strapaziert. Oftmals von denselben, welche im Zusammenhang mit Jan Schoch in früheren Jahren die Worte "Wunderkind", "Genius" und andere schmeichelhafte Positionierungen gefunden haben.

In acht Jahren der "Wunder" und des Aufstiegs hatte Schoch denn auch zahlreiche Bewunderer. Erfolg erzeugt offensichtlich auch Neid und Missgunst, so sind die "Wunderkind"-Attribute im Krisenjahr 2016 fast über Nacht und teilweise nicht ohne harschen Vorwurf, um nicht zu sagen Häme, durch "Übermut", "Überheblichkeit" und andere etwas weniger schmeichelhafte Begriffe ersetzt worden. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Kommentatoren ist über ihr einstiges "Wunderkind" eher gnadenlos hergefallen, um das Kapitel Leonteq und Jan Schoch im neunten Jahr in Grund und Boden zu schreiben. Eine Phase der Krise, nach Jahren der grossen Erfolge, hat genügt, Lobtiraden in Richtung harter Vorwurfsattacken zu drehen. Erstaunlich und ein Indikator dafür, dass (zu) erfolgreichen Unternehmern Fehler nicht verziehen werden und wenig bis keine Zeit eingeräumt wird, Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Mit Verlaub: Die wirklich schwache Leistung ist weniger auf der Seite von Jan Schoch festzumachen, mehr auf der Seite jener Kommentatoren, welche sich offenbar acht Jahre lang irren und an ihrem hochgejubelten "Wunderkind" im neunten Jahr wenige bis kein gutes Haar mehr zu erkennen vermögen. Schoch war im Jahr neun derselbe wie in den Jahren zuvor, er hat lediglich einige Fehler gemacht, die er inzwischen korrigiert hat.

Es geht auch eine Spur sachlicher

Die Geschichte ist im Kern einfach, schnell erzählt und in der aktuellen Entwicklung nahezu schon ein Klassiker. Eine Geschichte, die ganz ohne hochfliegende Metaphern auskommt:

Jan Schoch ist ein Mensch mit Visionen, der seine Visionen nicht nur denkt, sondern auch umsetzt. Ein innovativer und hochbegabter Unternehmer hat 2007 eine Geschäftsidee im Markt etabliert und acht Jahr lang Erfolge und seit dem IPO auch rasant steigende Börsenkurse produziert.

Zu viel Optimismus, zu schnelles Wachstum oder Falscheinschätzungen können zu Problemen und Friktionen führen, die sich auswirken. Das ist dann auch passiert, im neunten Jahr geriet Leonteq in Schwierigkeiten und in einen medialen Strudel. Aufgrund von gemachten Fehlern, welche Unternehmer begehen können, weil sie eben keine "Wunderkinder" sind. Im Video oben reflektiert Jan Schoch, neben anderen bemerkenswerten Aussagen, über die noch schwach ausgeprägte Fehlerkultur in der Schweiz.

Immerhin, Schoch und sein Team haben durch einschneidende Massnahmen den Turnaround in erstaunlich kurzer Zeit geschafft, Leonteq arbeitet wieder profitabel.

Ein Rauswurf ist kein tiefer Fall, schlicht ein Klassiker

Der Rest ist aktuelle Geschichte: Dass sich der gefallene Aktienkurs von Leonteq seit Frühling 2017 bis heute wieder mehr als verdoppelt hat, dürfte einerseits der Geschäftsentwicklung wie auch dem Einfluss von Investor Rainer-Marc Frey geschuldet sein. Dass ein Gründer und CEO mit einer Beteiligung von 7 Prozent an "seinem" börsenkotierten Unternehmen als CEO abgelöst werden kann, wenn sich die Kräfteverhältnisse ändern, ist ein Klassiker. Und genau das ist nun geschehen, weil die neuen Kräfte die weitere Geschichte von Leonteq ohne Jan Schoch an der Spitze planen wollen.

Das will sagen, Jan Schoch und Leonteq sind tatsächlich hoch geflogen, Schoch selbst allerdings ist weder gefallen noch tief gestürzt. Das ist Blödsinn, dazu ist seine erfolgreich realisierte Vision, das FinTech Leonteq, zu gross, nach wie vor zu erfolgreich und aktuell auch wieder profitabel. Jan Schoch passt in der Betrachtung des Verwaltungsrates schlicht nicht mehr ins Konzept der neuen Leonteq. Das mag eine persönliche Niederlage und für einen Gründer und CEO sehr bitter sein – mit der Ikarus-Metapher hat der Rücktritt nichts gemein, lediglich mit neuen Kräfteverhältnissen und damit Entwicklungen, die in börsenkotierten Gesellschaften immer wieder mal den Sessel der Gründer und CEOs der ersten Stunde kosten können.

Ein Glücksfall für die FinTech-Branche in der Schweiz

Jan Schoch war bisher schon ein Glücksfall für die FinTech-Branche in der Schweiz. Weil er zeigt, was FinTech-Unternehmer bewegen können und weil er sein Know-how mit der Branche teilt und auch andere Startups und FinTechs unterstützt und fördert.

Daran dürfte sich auch in Zukunft nichts ändern, möglicherweise wird sogar noch mehr machbar. Aller Voraussicht nach wird Schoch längerfristig nicht allzu viel seiner Kraft in die weitere Entwicklung von Leonteq stecken. Der sofortige und deshalb überraschende Rücktritt von Jan Schoch spricht weder für Harmonie noch für einvernehmliche Übereinkunft auf allen Seiten. Wirtschaftsredaktor Ermes Gallarotti kommentiert in der NZZ die neu geschaffene Position, "Senior Advisor Strategic Growth Initiatives", welche Schoch neu bekleiden soll, mit folgenden Worten: «Die Vermutung liegt nahe, dass die Bedeutung dieses Amtes umgekehrt proportional zur Länge seiner Bezeichnung ist.» Wahrscheinlich hat Gallarotti recht und ein ehemaliger CEO mit Einfluss und Entscheidungsbefugnis wird sich kaum damit begnügen, im zweiten oder dritten Glied ohne Rückhalt zu agieren.

Jan Schoch ist ein Stratege und ein Macher. Neu mit Raum, zum Beispiel um die Entwicklung des ersten Schweizer FinTechs mit eigener Banklizenz voranzutreiben. Schochs Flynt Bank hat im Juli 2017 von der FINMA die Banklizenz erhalten und operiert aktuell mit einem Team von 43 Mitarbeitern aus zehn Nationen, das sich aus hochqualifizierten Software- und Technologie-Spezialisten sowie aus erfahrenen Profis im Wealth Management zusammensetzt.

Und ein Glücksfall für die Schweizer FinTech-Branche bleibt Jan Schoch auch deshalb, weil er als 30-Jähriger ein Startup lanciert hat, das innerhalb von knapp zehn Jahren zum börsenkotierten Unternehmen mit beachtlicher Grösse und Ausstrahlung geworden ist. Ein Leistungsausweis, der bestehen bleibt, als Unternehmen nun eben weitergeführt von anderen Gremien und ohne den Gründer. Deshalb ist Jan Schoch heute, mit zehn Jahren zusätzlicher Erfahrung und Geschichte, noch interessanter für den Finanzplatz Schweiz und für die FinTech-Branche. Spannend also, was ein visionärer Macher mit Ideen, Zeit und Hintergrund noch bewegen wird – Überraschungen bleiben möglich.