Mit Wechat Pay betritt der zweite schlummernde Riese die europäische Bühne

Bild: Getty Images | Daboost

Die Geschichte würde sich schnell erzählen lassen, wäre sie nicht der Beginn einer langen und spannenden Reise.

Was die Chinesen den Europäern voraus haben: Chinesen haben zum mobilen Bezahlen ein sehr unverkrampftes Verhältnis. Sie zahlen mit dem Smartphone so selbstverständlich, wie sie ihr Device auch zum Chatten, zum Telefonieren, zum Bestellen der Pizza, zur Reservierung von Tickets, zur Geldanlage und überhaupt als Info- und Organisationsdrehscheibe für ihr Leben nutzen.

Das tun sie in China und auf diesen Komfort wollen sie auch auf Reisen nicht verzichten. Zumal mobile Bezahlfunktionen bei chinesischen Tools nur Teil von kompletten Lifestyle Apps sind, die extrem auf Komfort und Vielseitigkeit ausgerichtet sind. Die Bezahlfunktion ist sogar der kleinste Teil der App, aber clever vernetzt mit anderen Features und wird deshalb ebenso selbstverständlich genutzt, wenn's ans Bezahlen geht.

Zwei Technologie-Giganten in China

Der chinesische Mobile Payment-Markt wird von zwei Unternehmen dominiert: Ant Financial Services Group (Alibaba) mit Gründer Jack Ma an der Spitze und der App Alipay. Tencent (Weixin) mit Gründer Pony Ma (Ma Huateng) an der Spitze und der App Wechat Pay. Die beiden Bezahllösungen werden in China von rund einer Milliarde Kunden aktiv genutzt und bewegen gemeinsam jeden Tag gigantische Summen über Mobile Payment. Alipay allein stemmt weit über 100 Millionen Transaktionen pro Tag.

Nachdem der chinesische Markt gut bedient und zwischen den Konkurrenten aufgeteilt ist, steht der Rest der Welt auf dem Programm. Man könnte auch sagen: auf der Speisekarte. Beide Technologie-Unternehmen sind hungrig, verfügen über Know-how, Technologie, Erfahrung, Marktmacht und sehr viel Kapital. Ant Financial wie auch Tencent sind im Ausland schon länger aktiv, Europa gehört noch zu den eher weissen Flecken auf der Landkarte.

Zwei Technologie-Giganten in Europa

Ganz weiss ist die europäische Landkarte nicht geblieben, Alipay hat Vorsprung, ist allerdings erst seit knapp zwei Jahren aktiv. Und nun kommt Tencent mit Wechat Pay dazu.

Alipay kooperiert in Europa unter anderen mit Wirecard und SIX, um in Shops und im Handel die Türen zu Zahlungsterminals zu öffnen. Wechat Pay ist neu ebenfalls bei Wirecard mit im Boot. Beide Bezahllösungen sind seit neustem auch mit der Payment-Plattform Stripe liiert, um den Markt der Online-Anbieter und Internet-Shops in Europa zu erobern.

Und wo schlummern jetzt Riesen – die sind ja alle schon wach?

Alipay wie auch Wechat Pay geben übereinstimmend zu Protokoll, dass sie mit ihren Europa-Engagements auf den Markt der chinesischen Touristen fokussieren. Daran besteht vorerst auch kein Zweifel, weil sich die Zahl der europareisenden Chinesen jährlich im tiefen zweistelligen Millionenbereich bewegt. Diese riesige Zielgruppe will die gewohnte Lifestyle-Umgebung auf dem Smartphone und damit auch die Bezahlfunktion in Europa nutzen. Zudem sind chinesische Touristen nicht nur reise- sondern auch sehr ausgabefreudig. Die Durchschnittsausgaben pro Tourist werden mit 3'000 Euro beziffert, da kommt was zusammen, das mobil bezahlt werden will.

Insofern schlummern weder Alipay noch Wechat Pay, beide sind hellwach. Zumal die beiden Konkurrenten jetzt auch in Europa um Terrain und Vorherrschaft kämpfen, was sie sich in ihrem Heimmarkt China schon seit Jahren gewohnt sind.

Was allerdings auf der Hand liegt: Alipay und Wechat Pay werden in absehbarer Zeit noch viel wacher. Und für europäische Konkurrenten zur gewaltigen Herausforderung. Dann, wenn Strukturen stehen, Prozesse reibungslos funktionieren und vor allem Händlernetz und Marktdurchdringung breit ausgebaut sind. Ab diesem Zeitpunkt findet sich kein einziger einsichtiger Grund, weshalb smarte Lifestyle Apps mit vielseitigen und cleveren Komfortfunktionen der europäischen Bevölkerung vorenthalten werden sollen.

Wohin geht die Reise?

So oder so in eine spannende Zukunft mit ebenso spannenden Entwicklungen und Ereignissen. Der Start von Alipay und Wechat Pay mit und für chinesische Touristen kann als breit ausgebaute Teststrecke in einem bereits sehr grossen Muster betrachtet werden. Werden dereinst die Europäer mit ins Boot gebeten, multipliziert sich das bisher bearbeitete Potenzial für die beiden chinesischen Anbieter in etwa mit dem Faktor 30. Nur: Dasselbe Potenzial steht auch Amazon, Apple, Google und anderen Tech-Giganten offen, sollten sie sich dazu entschliessen, ihr Know-how im Zahlungsverkehr, ihren Zugang zu gewaltigen Kundenstämmen und ihre bereits bestehenden Ökosysteme auch im Bereich der mobilen Zahlungen zu nutzen.

Mit der richtigen Dramaturgie ist die Nuss zu knacken

Was Europa als Mobile Payment-Markt für diese grossen Anbieter zusätzlich attraktiv macht, ist ironischerweise genau die Tatsache, dass Europäer bisher zu den eher abstinenten Gruppen zählen, was mobiles Bezahlen abgeht. Hierzulande reagiert man zurückhaltend bis gar nicht auf mobile Bezahllösungen, die in Europa wie Pilze aus dem Boden schiessen. Deshalb hat reines Bezahlen als Lösung und Produkt eher geringe Chancen. Die Nuss dürfte jedoch andersherum eher schnell zu knacken sein. Durch Komfort, durch smarte Funktionen, durch Dinge, die ihr Leben wirklich einfacher machen, sind Menschen zu überzeugen. Immer. Sie überzeugen sich sogar spielend und nutzend selbst, wenn die Leistungen stimmen. Hat man sich an den Komfort der Lifestyle App gewöhnt, ist der Schritt zur Bezahlfunktion im Ökosystem klein und logisch.

Das haben alle erfolgreichen Technologie-Unternehmen verstanden. Deshalb sind sie auf diesen Pfaden unterwegs und werden die Dramaturgie der richtigen Schritte im Auge behalten. Der Vorteil liegt darin, dass User nicht von bisherigen Gewohnheiten und mobilen Bezahllösungen weggelockt und von einer neuen Bezahllösung überzeugt werden müssen. Weil Nutzer sich gar nicht für ein Bezahlprodukt entscheiden, vielmehr für ein Lifestyle- und Komfort-Tool, mit dem man dann auch noch bezahlen kann – wenn man will. Und man wird wollen, wenn die Dramaturgie stimmt.

Wie gesagt: Die Geschichte lässt sich nicht schnell erzählen – sie hat erst begonnen. Auf einer langen und spannenden Reise bleiben Überraschungen möglich und die Karten werden ziemlich sicher mehrfach neu gemischt und anders verteilt. Wir bleiben am Spieltisch und beobachten die Szene.

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