Mobile Payment

Bei Twint geht die Post ab – und warum die mobile Bezahl-App der Schweizer Banken zum Erfolg verdammt ist

Postauto der Schweiz auf der Gotthardstrecke.
Bild: DarthArt | Getty Images

Mit Twint öffnen sich die Türen für das erste digitale Zahlungsmittel im Postauto – und Twint selbst öffnet sich weitere Türen auf dem Weg zum universellen Marktplatz.

Aktuell geht die Post bei der mobilen Bezahllösung der Schweizer Banken in mehrfacher Hinsicht ab. Mitte Jahr hat Twint im Rahmen eines Medienfrühstücks konkrete Nutzer- und Transaktions-Zahlen und vor allem auch die Zukunfts-Agenda präsentiert, MoneyToday.ch hat ausführlich berichtet.

Aus den vorgestellten Plänen liess sich herauslesen, dass Twint sich auf dem Weg zum Marktplatz Lifestyle Apps wie zum Beispiel AliPay zum Vorbild genommen hat. So sollen in Zukunft Tickets gebucht, Tische in Restaurants reserviert, das Menü auch gleich ausgewählt werden können und zahlreiche weitere Komfort- und Lifestyle-Funktionen in der App möglich werden. Mit dazu gehören Food-Bestellungen mit Lieferung nach Hause, E-Bike und E-Scooter Reservationen, Automieten, Versicherungen und mehr. Keine Frage, dass die Zahlung am Schluss immer Teil des Programms bleibt. 

Auf dem Weg zur universellen App hat Twint in diesen Tagen die neu eingeschlagenen Wegmarken vorgestellt.

Tickets im Postauto

Ganz undigital war das Postauto auch bis anhin nicht – im Online-Shop konnten und können Kundinnen und Kunden ihr Ticket vorab buchen. Spontane Fahrten waren bisher jedoch nur analog zu haben, das Ticket im Postauto gab's nur gegen klingende Münzen und Bargeld.

Neu sind jetzt über 2'000 der gelben Fahrzeuge für die Bezahlung mit Twint fit gemacht worden. Das Ticket kann direkt im Postauto gekauft und auch digital bezahl werden.

Kooperation mit Adyen öffnet weitere Türen

Die Zusammenarbeit mit dem niederländischen und international aktiven Zahlungsdienstleister Adyen ist für Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur praktisch wie Postautofahren, sie für Twint selbst um einiges brisanter. Eine Kooperation, die der mobilen Bezahllösung zahlreiche Türen zu grossen Marken, Shops und Anbietern öffnen kann.

Bereits geöffnet sind die Türen zu Uber, Uber Eats, Mammut und VIU – diese Brands haben Twint als Zahlungsoption schon integriert. Adyen operiert als Zahlungsdienstleister für zahlreiche Anbieter mit grossen Namen und hoher Reichweite, wie zum Beispiel Spotify, Flixbus oder Zalando – weitere Integrationen dürften folgen. 

Die Zukunfts-Agenda verfolgt ehrgeizige Ziele

Twint ist stark gewachsen, mit heute 3.5 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern sitzt die mobile Bezahl-App prominent im Sattel innerhalb der Schweizer Mobile Payment-Landschaft.

Ein Blick in die aktuelle Zukunfts-Agenda, hier, lässt keine Zweifel offen, dass Twint den Spitzenplatz nicht nur halten, sondern weiter ausbauen will. Zum Beispiel ist die längst fällige Internationalisierung konkret in Arbeit. Das gehypte Thema der aufgeschobenen Ratenzahlungen, BNPL (Buy now, Pay later), steht ebenfalls auf der Agenda. Zusammen mit zahlreichen Erweiterungen, die eine Bezahl-App zum Marktplatz mit Lifestyle-Touch machen sollen.

"Flop des Jahrzehnts", "Millionengrab" oder zum Erfolg verdammt?

Eine interessante Entwicklung, zumal die Schweizer Bezahllösung in den letzten Jahren auch von medialer Seite nicht nur mit Zuspruch verwöhnt worden ist. Der Unterschied in der medialen Einschätzung zwischen gestern und heute liegt möglicherweise darin, dass Ziele, Absichtserklärungen und Wünsche sehr leicht angreifbar sind, konkrete Zahlen, Fakten und vorweisbare Leistungen wirken dann einfach überzeugender und sind deshalb resistenter gegen Kritik.

Jedenfalls hat Twint die wiederholt geäusserten Anwürfe vom "Flop des Jahrzehnts" und des digitalen "Millionengrabes" inzwischen widerlegt, sterben sieht anders aus. Mit 3.5 MIllionen Nutzerinnen und Nutzern steht die Bezahl-App heute stark und sichtbar im Markt und nach Aussagen von CEO Markus Kilb hält das Wachstum weiterhin ungebrochen an. Twint ist auch in Bezug auf die Entwicklungs-Pipeline gut unterwegs, das Ausrollen neuer Funktionen, Leistungen und Features verläuft dynamisch.

Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass Twint auf Dauer fest im Sattel sitzt und der langfristige Erfolg nicht mehr abzuwenden ist. Es bedeutet jedoch, dass die Weichen für das eine wie das andere aus heutiger Sicht ziemlich gut gestellt sind. 

Zutreffen dürfte weiterhin der "Vorwurf", dass die mobile Bezahllösung der Schweizer Banken zu den extrem kostspieligen Innovationen gehört. Verursacht auch aufgrund der Irrungen und Wirrungen zu Zeiten, als Twint und Paymit den kleinen Schweizer Markt als gegeneinander antretende Konkurrenten erobern wollten. Seit die Vernunft im Mai 2016 gesiegt hat und das neue Twint als fusioniertes Produkt im April 2017 unter neuen Voraussetzungen starten konnte, kommt der Gegenwind zumindest nicht mehr aus den eigenen Reihen.

So oder so, Twint steht heute an einem anderen Punkt also noch vor drei, vier Jahren. Stimmen die von Medien kolportieren Zahlen, dass Twint bisher Investitionen von einer halben Milliarde Schweizer Franken verschlungen hat, lässt das zwei Schlüsse zu. Zum einen: Die Bezahl-App der Schweizer Banken dürfte noch längere Zeit als Image- und Prestige-Produkt unterwegs sein und nicht in absehbarer Zeit ins Lager der Cashcows wechseln. Zum anderen: Die App ist bedingungslos zum Erfolg verdammt – nach einer halben Milliarde Investitionen stehen andere Optionen kaum zur Debatte. Weil das eine mit dem anderen zusammenhängt, dürfte auch in Zukunft die Finanzierung der App gesichert sein. Diese komfortable Ausgangslage wiederum könnte das Verdikt des Erfolges um jeden Preis wahr werden lassen.