Resilienz: Häufig verwendet, selten verstanden, oft missinterpretiert

Einsamer und einziger Baum inmitten einer Felsformation
Bild: Getty Images | Teresa Kopec

Haben Sie bisher geglaubt, dass Sie, Ihr Unternehmen oder Ihre IT resilient sind? Nach diesem Artikel wissen Sie, dass Sie komplett falsch liegen – und warum.

Das Wort "Resilienz" ist heutzutage in aller Munde, aber es wird oft ohne Kenntnis und Verständnis der eigentlichen Bedeutung benutzt. Wenn man dann fragt, was Resilienz eigentlich bedeutet, erhält man in der Regel eine vage und oft falsche Antwort. Viele Menschen gehen fälschlicherweise davon aus, dass Resilienz bedeutet, widerstandsfähig gegen die Auswirkungen negativer Ereignisse zu sein. Diese falsche Vorstellung findet sich sogar in der wissenschaftlichen Forschung. Um zu verstehen, was Resilienz wirklich bedeutet, ist ein Blick auf den Ursprung und die Bedeutung des Wortes hilfreich.

Ursprung und Bedeutung: Das lateinische Verb "resilire"

Resilienz und resilient stammen vom lateinischen Verb "resilire" ab (Langenscheidt), was so viel bedeutet wie "zurückspringen". So wie zum Beispiel ein Frosch, der in einen Teich zurückspringt. Damit der Frosch zurückspringen kann, muss er zuerst aus dem Teich weggesprungen sein. Der Rücksprung erfolgt zum Ausgangspunkt. Im verwendeten Beispiel ist das ein Teich. Zurückspringen kann auf verschiedene Weisen geschehen: zeitlich, räumlich oder in Bezug auf den Zustand.

Ein weiterer, sekundärer Nutzungsbereich des Verbs "resilire" ist im Kontext mit einem Abprallen. Prallt etwas auf etwas anderes auf und dann ab, so springt es zurück. So wie zum Beispiel ein Ball, der auf eine Mauer trifft, abprallt und zurückspringt. "Resilire" – das "abprallen/zurückspringen" – bezieht sich in diesem Kontext auf das abprallende Element. Das ist in diesem Fall der Ball, nicht die Mauer. Letztere ist zwar widerstandsfähig, aber nicht resilient. Abprallen können sämtliche externen Elemente, sowohl Objekte als auch Immaterielles, wie zum Beispiel ein Vorwurf.

Zur Zeit der Römer existierte im Latein nur das Verb "resilire". Es gab weder ein Substantiv noch ein Adjektiv in dieser Wortfamilie. Ein Verb beschreibt eine Handlung oder einen Vorgang. Das Substantiv "Resilientia" entstand erst später. Es waren im 15. Jahrhundert die Juristen, welche den Begriff schufen, um die Folgen einer Vertragsauflösung ex tunc von denen einer Vertragsauflösung ex nunc klar zu unterscheiden. Bei einer Vertragsauflösung ex tunc springt alles auf den Zustand bei Vertragsschluss zurück. Später kam das Adjektiv "resilient" dazu. Es bezeichnet die Eigenschaft eines Subjekts. Anstelle von "resilient" könnte man auch gleichbedeutende Adjektive wie "zurückspringend" oder "abprallend" verwenden. Das klingt dann vielleicht weniger hochtrabend, ist aber verständlicher.

Aus obigen Ausführungen ergibt sich die grundlegende Regel: Was nicht zurückspringt oder von etwas abprallt, ist nicht resilient. Resilienz ist kein Synonym für Widerstandsfähigkeit.

Resilienz: Ein Spielball der Pseudowissenschaft

Vage Interpretation eines Begriffs, die dann als Basis für die Entwicklung für verschiedene Modelle dient: Das ist im Bereich "Resilienz" eher die Norm als die Ausnahme. Ein gutes Beispiel, wohin das führen kann, ist die Resilience Alliance. Trotz ihres wissenschaftlichen Anscheins betreibt sie Metapher-basierte Pseudowissenschaft mit positivem Beschäftigungseffekt. Und sie steht damit bei weitem nicht allein. Bei Metaphern handelt es sich um sprachliche Bedeutungsübertragungen, bei denen Wörter in einem konstruierten Kontext mit falscher Bedeutung verwendet werden. Das Ergebnis ist, dass Wörter wie "Resilienz" uneigentlich verwendet werden. Selbstverständlich gib es auch wissenschaftliche Abhandlungen darüber, wie es dazu kam und kommen konnte.

Für Menschen mit Bildung, Wissen und Denkfähigkeit ist offensichtlich, dass Resilienz kein Synonym für Widerstandsfähigkeit ist, für andere weniger.

Das resiliente Material

In der Materialwissenschaft bezieht sich Resilienz auf die Fähigkeit eines Materials, Energie bei elastischer Verformung aufzunehmen und diese Energie bei Entlastung wieder freizusetzen. Ein Beispiel dafür ist ein Schwamm. Wenn man einen Schwamm zusammendrückt und dann den Druck löst, springt der Schwamm in seine Ausgangsform zurück. Eine gespannte Feder springt in ihren ursprünglichen Zustand zurück, sobald die Spannung aufgelöst wird. In diesem Kontext wird der Begriff "Resilienz" korrekt verwendet.

Der resiliente Mensch

In den 1970er-Jahren adaptierten Psychologen den Begriff "Resilienz". Sie passten die Bedeutung mittels Metapher an ihre Bedürfnisse an. Und von da an sollten Menschen resilient sein.

Vielen Psychologen ist dabei entgangen, dass Resilienz etwas anderes als Widerstandsfähigkeit ist. Psychische Resilienz würde für einen Menschen das Zurückspringen in einen früheren Zustand bedeuten. Das ist kaum möglich. Psychischer Druck hinterlässt Spuren. Der Mensch hat ein Gedächtnis, das nur bei komplettem Gedächtnisverlust gelöscht wird. Ein Mensch kehrt nie vollständig in seinen Zustand vor dem Druck zurück, sondern fährt in jenem Zustand fort, in dem er sich bei Beseitigung des Drucks befand. Er wird sich auch nach dem Weichen des Drucks an die Ursache und die damit verbundenen Gefühle erinnern. Ausser er erleidet einen partiellen Gedächtnisverlust, der diese Erfahrung auslöscht. Wenn hingegen psychischer Druck von einem Menschen abprallt, dann ist der psychische Druck resilient, nicht der Mensch.

Physische Resilienz ist beim Menschen nur oberflächlich und teilweise möglich. Der Mensch ist kein Material, sondern ein Lebewesen. Die Haut kann beispielsweise Energie bei elastischer Verformung aufnehmen und sie bei Entlastung freisetzen, um in ihre Ausgangsform zurückzukehren. Der Mensch als solcher ist nur dann physisch resilient, wenn er von etwas abprallt, wie es beim Zusammenstoss mit einem grösseren Objekt der Fall sein kann. Ob der Mensch diesen Zusammenstoss überlebt, ist jedoch eine andere Frage.

Ziel ist eigentlich das innere Gleichgewicht eines Menschen, das zu Stabilität führt. Ein Mensch kann aufgrund von Ereignissen und Erfahrungen sein altes inneres Gleichgewicht verlieren, aber er kann in der Regel ein neues Gleichgewicht finden. Je nach Ausgangssituation kann dies bei einigen schneller geschehen als bei anderen. Das hat jedoch absolut nichts mit Resilienz zu tun. Viele Psychologen sehen dies anders. Die entsprechenden Publikationen decken ein breites Spektrum ab, von Resilienz als positiver Kraft bis zu den Faktoren individueller Resilienz so ziemlich alles. Dennoch handelt es sich dabei thematisch eindeutig um Widerstandsfähigkeit und nicht um Resilienz. Und Resilienz ist kein Synonym für Widerstandsfähigkeit.

Das resiliente Ökosystem

Ökosysteme springen in der Regel nicht zu einem früheren Zustand zurück oder prallen von etwas ab. Stattdessen finden sie nach einem signifikanten Ereignis ein neues Gleichgewicht. Ökosysteme sind nicht statisch, sondern adaptiv und verändern sich kontinuierlich in Reaktion auf äussere und innere Einflüsse. Neben natürlichen Ökosystemen zählen auch Märkte und Organisationen zu den Ökosystemen. Organisationen sind Teil von Märkten und daher sowohl ein eigenes Ökosystem als auch Teil eines Ökosystems. Ökosysteme sind durch interne und externe Verbindungen gekennzeichnet und weisen sowohl interne als auch externe Abhängigkeiten auf. Mit Resilienz haben Ökosysteme nichts am Hut.

Cyberresilienz

Der Begriff "Cyberresilienz" wird im Bereich der Widerstandsfähigkeit von IT-Systemen gegenüber negativen äusseren und inneren Ereignissen verwendet. Ziel ist die kontinuierliche Verfügbarkeit von Funktionalität und Daten, kombiniert mit Integrität und Vertraulichkeit der Daten. Dies würde die Sicherheit vor allen Arten von Angriffen und die Verhinderung von Fehlmanipulationen und Fehlfunktionen miteinschliessen.

Erstens ist das bei komplexen Systemen kaum möglich, und zweitens ist "Cyberresilienz" dafür der falsche Begriff. Die eigenen Systeme und Daten springen weder selbständig zurück noch prallen sie ab. Abprallen sollen aber die Angriffe und somit wären die Angriffe resilient, nicht die IT-Systeme. Cyberresilienz hat nichts mit Resilienz per se zu tun. Denn Resilienz ist kein Synonym für Widerstandsfähigkeit. Um die Widerstandsfähigkeit von IT-Systemen sicherzustellen, bedarf es hingegen sicherer und zuverlässig funktionierender Produkte, die jedoch oft Mangelware sind.

"Cyberresilienz" ist ein Schlagwort, das vorwiegend von Personen verwendet wird, die weder die eigentliche Bedeutung des Begriffs "Resilienz" noch die tatsächliche Sicherheit und Zuverlässigkeit von IT-Systemen kennen.

Das Geschäft mit Studien, Schulungen und Beratungen

"Resilienz" ist ein gutes Geschäft. Schliesslich soll ja jeder und alles resilient sein. Der Fokus auf den falsch verwendeten Begriff Resilienz vernebelt die Sicht auf das Wesentliche. Solange nicht begriffen wird, um was es wirklich geht und was eigentlich gebraucht wird, bleibt das auch so. Und damit "Resilienz" auch ein gutes Geschäft bleibt, braucht es Forschung für neue Erkenntnisse. Für das sind dann Universitäten und Institute zuständig. Glauben schenken kann man aber keinem, der jetzt immer noch nicht weiss und begriffen hat, dass Resilienz kein Synonym für Widerstandsfähigkeit ist.

Der Autor: Christoph Jaggi

Christoph Jaggi ist Experte für Digitalisierung, Technologien und Marketing. Die Verbindung dieser Kerndisziplinen mit der Orientierung auf Menschen, Märkte und Zielgruppen bildet die Basis für das Lösen komplexer Aufgabenstellungen in unterschiedlichen Bereichen. Und sie ist die Grundlage für das Erkennen und die Entwicklung von Marktstrategien. Christoph Jaggis internationaler Kundenstamm reicht vom Startup über KMU bis zum Grosskonzern.

Für einige Leute ist Christoph Jaggi IT-Experte, für andere IT-Sicherheitsexperte, für andere Marketingexperte, für andere Strategieexperte, für andere Managementexperte und für andere Medienexperte. Er selbst sieht sich allerdings vor allem als Problemlöser, der seine Kunden darin unterstützt, für aktuelle Herausforderungen die optimale Lösung zu finden. Und da sind fachliche Silos eher ein Hindernis.

Als Autor mit weitreichender Erfahrung in den Branchen ITC, Finanzen, Medien und weitere, publiziert Christoph regelmässig zu Entwicklungen in den Bereichen Digitalisierung und Technologie mit Fokus auf Anwender, Produkte und Märkte.