Hätte der Verwaltungsrat doch nur ChatGPT um Rat gebeten, bevor er Open AI an die Wand fährt

Sam Altman, Gründer und ex-CEO von Open AI
Sam Altman, gefeuerter Gründer und ex-CEO von Open AI (Bild: jamesonwu1972 | Shutterstock)

Ist KI der menschlichen Intelligenz überlegen? Der orientierungslose Verwaltungsrat von Open AI liefert ein Beispiel dafür, dass es möglich sein könnte.

Ob nun Machtansprüche, Rechthaberei, Trotz, Antipathien oder wirklich nur gerade die Frage um die Kommerzialisierung von Open AI und ChatGPT im Zentrum stehen, ist im aktuellen Stadium der Posse eigentlich egal, das Desaster ist angerichtet.

Der Verwaltungsrat von Open AI hat bekanntlich den Gründer und CEO Sam Altman letzten Freitag rausgeworfen. Die überhastet eingesetzte Interims-Chefin Mira Murati sollte kurzfristig einspringen.

Bis dahin ist alles halb so schlimm, auch Gründer fliegen zuweilen aus ihrem eigenen Unternehmen, wenn sich VR und CEO nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen können. Co-Gründer und Präsident Greg Brockman ist allerdings vom VR in seiner Abwesenheit auch gleich aus dem Vorstand entfernt worden, sicher ist sicher. Brockman machte seinen Rauswurf aus dem Vorstand noch sicherer, hat seinen Job bei Open AI hingeschmissen und sich mit Altman solidarisiert.

Hätte der VR seine KI im eigenen Hause, ChatGPT, vor seinen einschneidenden Schachzügen befragt, hätte das Tool möglicherweise auf denkbare Konsequenzen hingewiesen. Zum Beispiel darauf, dass Microsoft als grösste Aktionärin von Open AI Altmans Rauswurf nicht goutieren und Druck machen wird, den Gründer und CEO sofort wieder an Bord zu holen. So geschah es dann auch.

In den darauf folgenden Verhandlungen, die sicher heftig, aber wahrscheinlich nicht allzu motiviert geführt worden sind, fanden Verwaltungsrat und Altman offenbar keine Einigung. Der Vorstand kommunizierte am Sonntagabend trotzig: es bleibt so, wie es ist, Altman ist raus, Brockman ist raus. Zudem mochte der VR der eben erst eingesetzten Intermins-Chefin Murati nun auch nicht mehr so recht trauen, deshalb hat er sie im gleichen Zuge ihres Amtes wieder enthoben.

Der einame Verwaltungsrat gegen die Crew von Open AI

Inzwischen haben die Gründer ohne Unternehmen, Sam Altman und Greg Brockman, bei Microsoft angeheuert, um dort weiterzuführen, was bei Open AI im Moment nicht mehr möglich ist.

Bei den beiden Gefeuerten bleibt's jedoch nicht. Microsoft-CEO Satya Nadella ist schlauer, hält die Türen weit offen und bietet allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Open AI die Möglichkeit, unter neuem Dach wieder mit Altman und Brockman Künstliche Intelligenz weiterhin voranzutreiben.

Für den orientierungslosen und völlig chaotisch agierenden Verwaltungsrat von Open AI kommt's noch deutlich dicker. Am Montag haben 505 von 700 Open AI-Angestelten dem VR in einem offenen Brief ein klares Ultimatum gestellt:

Wir sind nicht in der Lage, für oder mit Menschen zu arbeiten, denen es an Kompetenz, Urteilsvermögen und Fürsorge für unsere Mission und unsere Mitarbeiter mangelt

Die Crew spricht dem VR jegliche Kompetenz ab, Open AI weiterhin zu beaufsichtigen, verlangt den geschlossenen Rücktritt des VR-Gremiums sowie die Wiedereinsetzung von Altman und Brockman. Anderenfalls, so die Crew, würden 505 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Open AI verlassen und bei Microsoft anheuern.

Der offene Brief lässt nicht den geringsten Zweifel an der Entschlossenheit und der Loyalität der Crew aufkommen, er kann auf Twitter (X) nachgelesen werden.

Mitunterzeichner ist interessanterweise auch Co-Gründer und VR Ilya Sutskever, der als die treibende Kraft für den Rauswurf von Altman gilt. Warum Sutskever seinen Kollegen Altman erst raushaben wollte und über Nacht nun wieder eine komplette Kehrtwende hingelegt hat, bleibt vorderhand sein Geheimnis. Sutskever hat sich inzwischen vom Rest des Vorstandes distanziert, mit fliegenden Fahnen die Seiten gewechselt und öffentlich auf Twitter (X) Abbitte geleistet: 

Ich bedauere zutiefst, dass ich mich an den Aktionen des Vorstands beteiligt habe. Ich hatte nie vor, OpenAI Schaden zuzufügen. Ich liebe alles, was wir gemeinsam aufgebaut haben, und ich werde alles tun, was ich kann, um das Unternehmen wieder zu vereinen.

Späte Reue und ein weiteres Hin und Her, das allerdings zeigt, dass der Vorstand von Open AI nicht als Bastion der Einigkeit bezeichnet werden kann. Die verbleibenden der völlig chaotisch agierenden Vorstandsmitglieder haben jetzt einen Mitstreiter und Drahtzieher verloren und stehen vor einem sehr grossen Problem. Es geht nicht mehr nur um Macht, Ränkespiele und linkisches Vorgehen, es geht um das Überleben von Open AI.

Schneller hat noch nie ein Verwaltungsrat sein Milliarden-Unternehmen an die Wand gefahren

Open AI wird allerdings nicht an der Wand zerschellen. Der Verwaltungsrat – bald ohne Crew – hat keine andere Möglichkeit, er wird einlenken müssen. 

Zwei Szenarien sind denkbar: Open AI macht weiter wie bisher, mit ausgewechseltem Vorstand. Oder ChatGPT und andere Projekte werden unter dem Dach von Microsoft weiterentwickelt.

Beide Wege unterscheiden sich nur in Details. Als Grossinvestorin bei Open AI dürfte es sich für Microsoft lediglich um eine geografische Frage handeln, wo genau eine motivierte Crew für das Tech-Unternehmen Künstliche Intelligenz und deren Anwendung perfektioniert.