Grünes Kerosin: Airlines fliegen einer Versorgungslücke entgegen

Flughafen bei Sonnenuntergang, ein Flugzeug wird betankt
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Die Experten von PwC haben nachgerechnet und kommen zum Schluss, dass die Luftfahrtindustrie in Sachen Treibstoff auf massive Probleme zusteuert.

Im Bereich Transport und Verkehr ist der Luftverkehr nach der Strasse die Nummer 2 beim weltweiten CO2-Ausstoss. Auf der Strasse greifen bereits mehrere Regulatorien und Hebel, wie zum Beispiel der Umstieg vom Verbrenner auf E-Autos oder Temporeduktionen, um die Emissionen mittelfristig stark zu senken.

Beim Luftverkehr sind die Möglichkeiten im Moment noch beschränkt. Grünes Kerosin ist aktuell die einzige wirtschaftlich sinnvolle Technologie, um klimafreundlicheres Fliegen zu ermöglichen. Eine aktuelle Studie von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, fasst zusammen, was die Luftfahrtindustrie leisten muss, um regulatorische Vorgaben zu erfüllen und selbstgesteckte Klimaziele zu erreichen.

Was ist grünes Kerosin?

Das auch heute noch breit eingesetzte "normale" Kerosin ist für sämtliche Airlines die mit Abstand kostengünstigste Möglichkeit, ihre Flotten in die Luft zu bringen. Daraus resultiert allerdings der bekannt hohe CO2-Ausstoss. Um diesen Ausstoss wirkungsvoll zu reduzieren, ist ein Umstieg auf grünes Kerosin notwendig. 

Als grünes Kerosin werden nachhaltige Flugkraftstoffe bezeichnet, bekannt als Sustainable Aviation Fuels (SAFs). Diese Sammelbezeichnung benennt biologische und synthetische Kraftstoffe, mit denen auch herkömmliche Flugzeuge betankt werden können. Damit lassen sich 66 bis 94 Prozent der CO2-Emissionen einsparen.

Unterschieden wird dabei zwischen mehreren SAF-Typen, wobei zwei Arten in der Studie von PwC näher betrachtet wurden. HEFA-SAF (Hydrotreated Esters and Fatty Acids) wird aus Bio-Abfällen, Ölen und Lipiden gewonnen und lässt sich bereits in grösseren Mengen herstellen. PtL-SAF (Power-to-Liquid) basiert auf Wasserstoff, spart mehr Emissionen ein, ist allerdings technisch bisher auch weniger ausgereift und wird vermutlich deutlich teurer sein.

Im Vergleich mit "normalem" Kerosin sind jedoch beide SAF-Typen wesentlich teurer und werden die Kosten für die Airlines beträchtlich in die Höhe treiben. Und: die Luftfahrtindustrie benötigt teilweise schon heute und vor allem in naher Zukunft von beiden SAF-Typen zunehmend grosse Mengen.

Regulatorische Quoten und selbstgesteckte Klimaziele

Der Umstieg auf SAF ist nicht (mehr) freiwillig. Zum einen kommt Druck durch regulatorische Quoten. So muss etwa Treibstoff an EU-Flughäfen bereits 2030 mindestens 6 Prozent SAF enthalten und Japan schreibt für internationale Flüge bis 2030 einen SAF-Anteil von 10 Prozent vor, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Zudem will die Branche bis 2050 CO2-neutral operieren. Politik und sensibilisierte Bevölkerung werden die Luftfahrtindustrie nicht von diesem Versprechen entbinden.

Die zunehmende Verwendung von SAF ist für die Luftfahrt folglich unverzichtbar.

Die Luftfahrtindustrie steuert auf eine massive Versorgungslücke zu

Wie gesagt: Grünes Kerosin ist aktuell die einzige wirtschaftlich sinnvolle Technologie, um klimafreundlicheres Fliegen zu ermöglichen – Alternativen gibt's nicht. Das Problem dabei: bereits 2030 könnten weltweit etwa 22 Millionen Tonnen SAF fehlen – in etwa so viel wie im gleichen Jahr produziert werden kann.

Die Studie hält fest, dass die Branche beim Ausbau der notwendigen Infrastruktur und beim Hochfahren der Produktionskapazitäten aus unterschiedlichsten Gründen hinter den eigenen Ansprüchen und den regulatorischen Vorschriften hinterherhinkt.

Nach der Studie von PwC könnte die Branche 2030 weltweit etwa 46 Millionen Tonnen Sustainable Aviation Fuel (SAF) benötigen, um regulatorischen Anforderungen sowie eigenen Zielen auf dem Weg zu Net Zero gerecht zu werden. Beim aktuellen Ausbautempo der dafür notwendigen Infrastruktur und Raffinerien können 2030 nach Berechnungen der International Air Transport Association (IATA) allerdings höchstens 24 Miilionen Tonnen SAF produziert werden, was einer Lücke von 22 Millionen Tonnen SAF entspricht – also fast 50 Prozent des effektiven Bedarfs.

Ohne hohe Investitionen läuft es nicht

Um die drohende Lücke zu schliessen und ihre Klimaziele noch zu erreichen, müsste die Branche laut der Strategy&-Studie bis 2030 mindestens 100 Milliarden Euro investieren. Bis 2035 steigt der Investitionsbedarf auf 215 Milliarden an, bis 2050 liegt er bei mehr als 1‘000 Milliarden Euro.

Simon Treis, Partner bei Strategy& Schweiz, beobachtet derzeit bei allen Akteuren eine enorme Verunsicherung, etwa was zukünftige Vorschriften, das Reporting und Accounting, aber auch die Verfügbarkeit der benötigten Ausgangsstoffe sowie die Skalierbarkeit der Produktions-Technologien und das Thema Investitionssicherheit angeht. Ein weiterer Punkt spielt dabei mit, den Treis folgendermassen beschreibt: «Zugleich hat sich eine gewisse Entscheidungsträgheit eingeschlichen, weil alle erst einmal die Schritte der jeweils anderen Akteure sowie die politischen Vorschriften abwarten, bevor sie selbst loslegen.» 

Dieses Phänomen des Abwartens ist nicht neu, das war schon oft auf politischen und wirtschaftlichen Parketten zu beobachten. Bekanntlich hat sich diese Passivstrategie nie ausgezahlt, Panik und Hektik in letzter Minute führten meistens zu schlechten Lösungen und gewaltigen Kosten.  

Fünf Schritte führen aus der Versorgungslücke

Um diese Hürden zu überwinden, schlägt die Studie einen fünfteiligen Aktionsplan vor, der für beide SAF-Typen gilt. Zunächst sollte die Branche die Skalierbarkeit der Raffinerien unter Beweis stellen, etwa durch erfolgreiche Pilot-Anlagen. Ausserdem geht es darum, die Versorgung mit den für die SAF-Herstellung benötigten Grundstoffen sicherzustellen. Bei HEFA-SAF betrifft das vor allem Bio-Abfälle, bei PtL-SAF grosse Mengen günstiger erneuerbarer Energie sowie CO2. Drittens können auf dieser Basis finanzielle Risiken minimiert werden, etwa durch Subventionen oder Kooperationsmodelle. Internationale Standards, klare regulatorische Vorschriften und eine global anerkannte SAF-Zertifizierung sind weitere wichtige Schritte. Zuletzt muss die Branche die Öffentlichkeit von den Vorteilen der Technologie überzeugen. 

Die Studienautoren sind überzeugt, dass die Luftfahrt derzeit vor einer ähnlich tiefgreifenden Transformation wie die Automobilbranche steht. In den kommenden Jahrzehnten werden sich auch hier vollkommen neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle mit enormen Wachstumschancen entwickeln.

Dirk Niemeier, Co-Studienautor und Director bei Strategy& Deutschland, sagt: «Für Anbieter, die jetzt in den Markt einsteigen, bieten sich grosse Chancen: Angesichts der SAF-Versorgungslücke, der aufkommenden Quoten und des damit wachsenden Bedarfs wird sich der Markt voraussichtlich weiterhin als ein Verkäufermarkt entwickeln, der den Produzenten hohe Margen ermöglichen kann.»

Damit sich dieses neue SAF-Ökosystem entwickeln kann, braucht es allerdings eine schnelle und konzertierte Kraftanstrengung aller Stakeholder, die angetrieben wird von einer gemeinsamen Vision sowie einer Prise Pragmatismus.