Kann man Demokratie lernen? Wenn ja, wie geht das?

Bühl-Gemeinde als Landsgemeinde der Schule Bühl in Zürich
Bild: Schule Bühl

Autokratische Strömungen nehmen zu – vielleicht ein guter Zeitpunkt, Demokratie wieder ein bisschen zu pflegen und deshalb auch früh zu lernen.

Demokratie ist dann gefährdet, wenn Menschen sich für die Freiheit nicht mehr einsetzen, in der sie durch die Kraft demokratischer Modelle leben dürfen. Für autokratische Strömungen und dirigistische Begehrlichkeiten öffnen sich Türen, wenn uninformierte, gleichgültige und passive Menschen ihre Lebensqualität als so selbstverständlich erachten, dass sie weder gepflegt noch verteidigt werden muss.

Wie lernt man Demokratie?

Am besten schon ganz früh – in der Schule. Und am allerbesten von der praktischen Seite – zum Beispiel in Form einer Landsgemeinde.

Theorie macht Schulkinder nur zu Wissenden, die Beteiligung an einer Landsgemeinde hingegen macht Kinder zu aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmern an demokratischen Prozessen.

Eigene praktische Demokratie-Erfahrung schafft Interesse und öffnet Potenziale. Weil Kinder erleben, wie sie durch ihre Beteiligung an Abstimmungen ihre Gegenwart direkt mitgestalten und ihre Zukunft aktiv beeinflussen.

Eine aussergewöhnliche Initiative der Schule Bühl in Zürich

Die Szenerie am 27. Juni 2025 kurz nach neun Uhr morgens: Auf dem Pausenplatz der Schule Bühl in Alt-Wiedikon herrscht gespannte Vorfreude. Rund 360 Kinder, von der ersten bis zur sechsten Klasse, versammeln sich unter freiem Himmel. In den Händen halten sie hellviolette Stimmzettel, auf der Bühne spricht das Präsidium des Schülerparlaments.

Dies ist keine Schulaufführung, sondern der Beginn einer neuen Tradition. Der ersten Bühl-Gemeinde der Schule Bühl, einer demokratischen Versammlung nach dem Vorbild der Landsgemeinden.

Abgestimmt wird an diesem Tag über die zukünftige Gestaltung des Pausenplatzes. Die Kinder haben im Vorfeld verschiedene Varianten studiert und sich über Vor- und Nachteile informiert. Nun folgt die Abstimmung – offen, sichtbar, mutig.

Wer die Hand hebt, tut es nicht nur für eine Rutschbahn oder ein neues Klettergerüst, sondern für ein gemeinsames Anliegen. Die Kinder erleben, was es heisst, Verantwortung zu übernehmen, Position zu beziehen und in einem kollektiven Prozess Lösungen zu finden.

Diese Form der kindgerechten Partizipation ist kein pädagogisches Experiment, sondern Teil einer klaren Vision: Die Schule Bühl versteht sich als Lernort, an dem demokratische Grundhaltungen nicht nur theoretisch vermittelt, sondern praktisch erfahrbar gemacht werden.

Partizipation als gelebter Bildungsauftrag

«Wenn Kinder erleben, dass sie gehört werden, dass ihre Ideen ernst genommen werden, entwickeln sie ein tiefes Verständnis dafür, was Demokratie bedeutet», sagt Moria Zürrer, Hauptschulleitung der Schule Bühl. «Das stärkt nicht nur ihr Selbstwertgefühl, sondern auch ihre soziale und politische Handlungsfähigkeit – und ermöglicht ihnen, Selbstwirksamkeit unmittelbar zu erleben».

Schule als Übungsraum für Gesellschaft

Das Projekt Bühl-Gemeinde zeigt beispielhaft, wie Schulen zu Real-Laboren für gesellschaftliches Zusammenleben werden können. Kinder lernen hier nicht nur für Prüfungen, sondern für das Leben. Sie erfahren, wie man Konflikte aushandelt, Kompromisse schliesst und gemeinsame Lösungen findet.

Kinder spüren: Demokratie ist kein abstraktes Konzept. Sie beginnt vielmehr hier und jetzt, im Klassenrat, im Schülerparlament, auf dem Pausenplatz. «Kinder müssen nicht erst alt genug sein, um Demokratie zu lernen. Sie müssen alt genug sein, um sie erleben zu dürfen», betont Zürrer.

Ein Modell mit Zukunftspotenzial und Strahlkraft

Mit der Einführung der Bühl-Gemeinde setzt die Schule Bühl ein starkes Zeichen für zeitgemässe, zukunftsgerichtete Bildung. Sie zeigt, dass demokratische Mitgestaltung nicht Luxus, sondern pädagogische Notwendigkeit ist – gerade in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt und Mitverantwortung immer wichtiger werden.

Das Modell hat Strahlkraft: für andere Schulen, für Bildungspolitik, für ein Bildungssystem, das junge Menschen als gleichwertige Mitgestalterinnen und Mitgestalter ihrer Welt ernst nimmt.