Sprachassistenten

Voice Commerce: Hemmschuh Nutzervertrauen

Chatbot auf dem Bildschirm eines Smartphones
Bild: AndreyPopov | Getty Images

Können soziale Reize in einem Sprachassistenten höhere Zufriedenheit und Vertrauen erzeugen? Die differenzierte Antwort liefert eine Studie der Universität Göttingen.

Sprachassistenten befinden sich auf dem Vormarsch – auch in der Schweiz. Unternehmen dienen sie als neuer (Verkaufs-)Kanal zum Kunden. Um im Verkauf erfolgreich zu sein, braucht es vor allem Vertrauen und Zufriedenheit gegenüber diesem Kanal. Können menschlich wirkende Sprachassistenten höheres Vertrauen und Zufriedenheit bei den Nutzern aufbauen? Berater von Elaboratum und Wissenschaftler der Georg-August-Universität Göttingen sind dieser Frage nachgegangen.

Autoren: Fabian Reinkemeier und Philipp Spreer von Elaboratum sowie Waldemar Toporowski, Professor für Marketing und Handelsmanagement an der Georg-August-Universität Göttingen

Jeder zweite Schweizer Einwohner nutzt bereits Voice Assistants (VAs) wie Alexa, Google Assistant oder Siri. Das zeigt das "Voice First Barometer" 2021. Die Beliebtheit der Sprachassistenten kommt zunehmend auch beim Online-Shopping zum Tragen. Für Unternehmen eröffnet dies zahlreiche Einsatzmöglichkeiten, etwa den Aufbau eigener sprachbasierter Verkaufskanäle (Voice Commerce).

Derzeit stehen der breiten Nutzung von Voice Commerce allerdings noch mangelnde Zufriedenheit und Vertrauen bei den Nutzern entgegen. Nutzer verspüren einen Mangel an Kompetenz und Wohlwollen bei den VAs. Das Interaktionserlebnis wird als nicht ausreichend zufriedenstellend empfunden. Vertrauen und Zufriedenheit aber sind sowohl im traditionellen Handel als auch im E-Commerce zentrale Voraussetzungen für den Erfolg von Produktempfehlungen, das Kauferlebnis sowie den Aufbau positiver Kundenbeziehungen. 

Natürlicheres Kauferlebnis durch soziale Reize

Wenn Kunden in stationäre Geschäfte gehen, können Vertrauen und Zufriedenheit durch soziale Elemente der persönlichen Interaktion generiert werden. Im Voice Commerce könnten soziale Reize in einem VA ein natürlicheres Kauferlebnis vermitteln und so diese Aufgabe übernehmen. An menschliche Interaktionsweisen angelehnte Designelemente adressieren fundamentale soziale Bedürfnisse von Individuen. Beispiele für solche Designelemente sind:

  • Auditive Elemente, zum Beispiel Tonhöhe, Sprachtempo
  • Verbale Elemente, zum Beispiel lexikalische Vielfalt, Lob durch den VA
  • Unsichtbare Elemente, zum Beispiel Reaktionszeit

Kann durch den gezielten Einsatz sozialer Reize ein positiver Effekt auf die Zufriedenheit und das Vertrauen in den VA erreicht werden? Berater von Elaboratum und Wissenschaftler der Georg-August-Universität Göttingen sind dieser Frage in einer Studie nachgegangen. 323 Probanden, aufgeteilt in zwei Gruppen, führten in einem Experiment einen sprachbasierten Kauf durch. Eine Gruppe interagierte mit einem sprachbasierten VA, der wenige soziale Reize aufwies. Der zweiten Gruppe bot der VA diverse auditive, unsichtbare sowie verbale soziale Reize. 

Höhere Zufriedenheit, aber geringes Vertrauen in die Integrität des VAs als Ergebnis des natürlicheren Kauferlebnisses

Die Studienergebnisse zeigten ein differenziertes Bild: Der Einsatz sozialer Reize und das damit natürlichere Kauferlebnis, das sich in einer stärker wahrgenommenen Menschlichkeit und sozialen Präsenz des VAs widerspiegelt, wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit aus. Hinsichtlich der Kompetenzwahrnehmung sind keine Unterschiede zu konstatieren. Beobachtbar sind dagegen Unterschiede auf einer moralischen Ebene. So schenken Nutzer menschenähnlicheren VAs im Kaufprozess zwar mehr Vertrauen, in ihrem Interesse zu handeln (Wohlwollen), dafür nehmen sie den VA aber als weniger ehrlich wahr (Integrität). Der Verlust an Integrität entsteht möglicherweise dadurch, dass Nutzer einen bestimmten Reiz oder eine Reiz-Kombination als absichtliche Manipulation empfinden könnten oder die verschwimmende Grenze zwischen Mensch und Maschine als suspekt empfunden wird und zu Misstrauen führt. 

Konsequenzen für Unternehmen

Für Unternehmen, die VAs einsetzen wollen, ergibt sich daraus die Empfehlung, die Auswirkungen sozialer Reize als Designelemente von VAs präzise zu evaluieren und differenziert zu verwenden, das heisst nicht pauschal das Ziel einer gesteigerten Menschlichkeit zu verfolgen. Einheitsstrategien erhöhen das Risiko der Zielverfehlung. Daher ist intensives Testen der Auswirkungen der einzelnen Designelemente in der Zielgruppe essenziell und Training der Natural Language Processing (NLP)-Engine für ein adäquates Matching auf Nutzeranfragen notwendig. Um dies zu gewährleisten, müssen Unternehmen ausreichend Ressourcen in der Fach-, Konzeptions- und IT-Abteilung einplanen. 

Die Studie mit den detaillierten Resultaten

Die Ergebnisse des umfangreichen Laborexperiments mit 323 Teilhehmern sind in einem PDF zusammengefasst, das kostenlos runtergeladen werden darf, über den Link gleich unten:


Die Autoren