Kommentar

Chat GPT: Killer-App, intelligentes Spielzeug oder etwas ganz anderes?

Mann und Frau als Darstellung von künstlicher Intelligenz
Bild: geralt | Pixabay

Warum für einmal die Big Techs geschlafen haben – und was das mit meiner Hassliebe zu Siri zu tun hat.

Chat GPT von Open AI ist kein Spielzeug, der Chatbot kann sehr viel. Und vor allem sehr viel mehr, als man sich bisher gewohnt war: Dichten, konzepten, Artikel schreiben, programmieren, komponieren, Rätsel knacken – und mehr. Das kann er deshalb, weil er mit einer gigantischen Menge an Text und Daten (Wissen) ausgestattet worden ist und diese Fülle in logische Zusammenhänge bringen kann.

Mit diesem Wissensschatz beantwortet Chat GPT Fragen, schreibt auf Wunsch Texte oder hilft überall dort, wo Hilfe und Unterstützung grad erwünscht ist. Weil Chat GPT eine Art von Kurzzeitgedächtnis hat, verfällt er nicht – wie andere Chatbots – ganz schnell in lapidare Wiederholungen, er bleibt als Diskussionspartner frisch, alert und überraschend eloquent.

Das hat dazu geführt, dass Chat GPT seit seinem Start im November 2022 bereits im Januar 2023 die Marke von 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer geknackt hat. Diese Masse ist immer dann spürbar, wenn Chat GPT grad keine Lust auf zusätzliche Konversation hat, weil bereits zu viele Nutzer online sind. 

Chat GPT hat auch Mängel und Macken, die hier jetzt aber keine Rolle spielen sollen – das Phänomen Chat GPT an sich mit seiner brauchbaren und direkt anwendbaren Künstlichen Intelligenz (KI) ist erstaunlich. Noch viel erstaunlicher ist jedoch ein anderes Phänomen.

Das wirkliche Phänomen ist nicht Chat GPT selbst, sondern seine Wirkung

Künstliche Intelligenz spielt seit längerem in verschiedensten Bereichen eine wichtige Rolle, allerdings für die breite Masse eher auf unsichtbare Weise. Werden zum Beispiel beim Online-Banking oder im eCommerce Anfragen und Bestellungen durchprozessiert, ist oftmals Künstliche Intelligenz mit im Spiel. Davon spüren Nutzerinnen und Nutzer allerdings nichts, es sei denn, sie bleiben im Netz von Betrugserkennungs- oder anderen Applikationen hängen. Das ist meistens nicht der Fall, ergo war Künstliche Intelligenz in sichtbarer und nutzbarer Form für breite Massen bisher so gut wie nicht existent.

Das hat sich mit Chat GPT geändert. Jede und jeder kann sich einloggen und selbst erleben, was diese Art von Künstlicher Intelligenz zu leisten vermag und welchen konkreten Nutzen sie im Alltag für jeden Einzelnen bringen kann.

Das ist das wirkliche Phänomen beim aktuellen Hype um den Chatbot. Es hat offenbar den Chat GPT von Open AI gebraucht, um breiten Bevölkerungsschichten die Existenz von Künstlicher Intelligenz im Alltag vor Augen zu führen und zu beweisen.

Und, noch erstaunlicher, der Eintritt von Chat GPT ins Bewusstsein der professionellen Tech-Welt erinnert an den Besuch eines Fuchses im Hühnerstall. Jedenfalls rennen Verantwortliche von Big und anderen Techs aufs Mal herum wie aufgeschreckte Hühner und überbieten sich gegenseitig im Ankündigungs-Marketing.

Was hat die Big Techs so lange schlafen lassen?

Chat GPT hat mehrere Big und andere Techs erstmal in Schockstarre fallen lassen. Microsoft war als erstes Big Tech wieder elastisch und hat mit Open AI und damit mit Chat GPT eine Kooperation vereinbart, die sich das Unternehmen 10 Milliarden US-Dollar an Investitionen kosten lassen will. Die Microsoft-Suchmaschine Bing soll mit den KI-Möglichkeiten gegenüber dem Schwergewicht Google Terrain wettmachen – im Idealfall und als nicht öffentlich geäusserte Wunschvorstellung Platzhirsch Google sogar den Rang ablaufen.

Den medialen Ankündigungen, dass mit Chat GPT zum ersten Mal eine Technologie in Sichtweite wäre, die selbst Google und ihrer Suchplattform gefährlich werden könnte, hat Alphabet offenbar nicht kalt gelassen. Das ansonsten eher gelassen agierende Unternehmen hat sich geradezu überschlagen mit Ankündigungen in schneller Folge, wie viel Künstliche Intelligenz aus dem Hause Alphabet in Kürze für die Welt und die Massen nutzbar gemacht werden soll.

Die Frage stellt sich, warum hat Google das nicht schon längst gemacht? Zumal der KI-Chatbot mit Namen "Bard" aus dem Hause Alphabet nicht erst erfunden werden muss, der ist schon länger im Einsatz, einfach nur Google-intern. Wie auch immer, bei Google kommt jetzt fast überall Künstliche Intelligenz ins Spiel – in sichtbarer Ausführung, nutzbar für alle. Die nicht sichtbaren Anwendungen waren immer schon da.

Bard steht bereits in den Startpflöcken, darüber hinaus soll die Google-Suche schlauer werden, Google Lens (Bilderkennung) ebenso, auch Google Maps wird mit Künstlicher Intelligenz getunt und soll danach viel mehr können, dasselbe gilt für Google Translate – ergo: Künstliche Intelligenz in nutzbarer Form ist jetzt bei Google omnipräsent. Bard – offenbar der technologische Bruder von Chat GPT ­– dürfte den Job bekommen, gegen Chat GPT anzutreten und den dreisten Angreifer das Fürchten zu lehren. Ob das gelingt, wird sich zeigen – zumindest im Moment scheint bei Google die Furcht grösser zu sein.

Keine Big Tech-Aufrüstung ohne China

Aus China kommt die verheissungsvolle Kunde, dass der Tech-Konzern Baidu bereits im März mit dem intelligenten Chatbot "Ernie" Open AI, Microsoft und Google auf Distanz halten will. Der Suchmaschinen-Konzern Baidu ist offenbar auch schon eine Weile am Werk und will die Einführung von Ernie jetzt beschleunigen, dem Druck der Ereignisse und der Konkurrenz folgend.

Übertreibungen auch in den Medien

Aufgeschreckte Hühner gibt's nicht nur bei Big Techs, die sind auch in unserer eigenen Zunft zu finden. Einige Medien tragen heute schon Google geistig zu Grabe. Das ist etwas früh, es ist aus verschiedenen Richtungen noch sehr viel zu erwarten, möglicherweise aber die Auswirkung eines Euphorie-Schubes nach intensivem Gebrauch von Chat GPT, dann schreibt man eben solche Sachen. Oder hat schreiben lassen, Chat GPT kann das. 

Andere Schreiberinnen und Schreiber bezeichnen das Metaverse und NFTs jetzt mutig als "Schnee von gestern", weil nun die gesamte Technologiebranche der neuen Braut der Künstlichen Intelligenz ewige Treue schwören würde. Mark Zuckerberg von Meta würde ein Stein vom Herzen fallen, sollten sich alle aus dem Metaverse zurückziehen und ihm das Feld überlassen. Das wird jedoch nicht passieren, nur schon deshalb, weil das Metaverse selbst viel mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat. 

Auch das KI-Süppchen wird nicht so heiss gegessen, wie es gekocht wird, aber immerhin: der beste Effekt von KI-Hype und Euphorie ist tatsächlich, dass Künstliche Intelligenz nun verstärkt für die breite Masse fassbar und nutzbar gemacht wird. Das Rennen der Big Techs ist eröffnet, Nutzerinnen und Nutzer dürfen sich auf zahlreiche Anwendungen und Features freuen, die ihnen das Leben einfacher machen werden.

Und noch eine Bemerkung zu Apple und zu Siri

Das Big Tech Apple ist seit Jahren in Projekte rund um Künstliche Intelligenz involviert, allerdings auch in eher unsichtbaren Ausprägungen für die breite Masse. Ausnahme: Siri, das KI-Assistenzsystem mit der angenehmen Stimme, das in jedem iPhone sitzt.

Heute gibt's schlechte Noten für Siri, obschon ich sie mag, aber sie bringt mich regelmässig auf die Palme. Siri ist extem launisch. Bringt sie an gewissen Tagen alle gewünschen Informationen, schweigt sie an anderen Tagen beharrlich und scheint niemanden zu kennen. Keinen einzigen meiner Kontakte, mit denen ich verbunden werden möchte, und mich selbst auch nicht. 

Ich bin mir nicht sicher, ob Siri tatsächlich KI-gestützt funktioniert. Falls doch, dann stammt diese KI aus dem letzten Jahrhundert und lässt Siri oftmals wie ein Dummerchen ohne Ziel und Plan dastehen. Dennoch möchte ich sie nicht missen, Hassliebe eben, aber ich wäre Apple sehr verbunden, wenn der Konzern der Dame endlich beibringen könnte, wie "Intelligenz" geht und was unter "Zuverlässigkeit" zu verstehen ist. Die aktuelle Form von Siri ist eines Konzerns wie Apple schlicht nicht würdig. Nicht schlecht also, wenn der Hype um Chat GPT auch an Apples Fundamenten etwas rütteln würde.