Wie können Banken und Finanzdienstleister in der Schweiz auf die aktuelle Krise reagieren?

Matthias Köhler, AVP Switzerland bei Cognizant
Matthias Köhler, AVP Switzerland bei Cognizant

Gastautor Matthias Köhler über Learnings aus der aktuellen Krise und über notwendige Vorsorgemassnahmen für aussergewöhnliche Situationen in der Zukunft.

Die Schweiz kämpft wie der Rest der Welt gegen das neuartige Coronavirus. Banken und Finanzdienstleister können jetzt eine wichtige Rolle dabei spielen, schweizerische Unternehmen und Privatpersonen durch etwaige finanzielle Engpässe zu helfen, mit denen sie aufgrund des landesweiten Lockdowns konfrontiert sind. Mit diesen Initiativen entdecken einige Unternehmen vielleicht neue Möglichkeiten, auf denen sie nach der COVID-19-Krise aufbauen können. 

Wie viele andere Branchen musste die schweizerische Bankenindustrie zum Schutz der Arbeitnehmer und aufgrund von gesetzlichen Verordnungen binnen kürzester Zeit Remote-Arbeit für verschiedene Tätigkeiten ermöglichen. Betriebsbedingt konzentrierten sich die meisten Business-Continuity-Pläne auf die Aufrechterhaltung kritischer Dienstleistungen. Nicht vorgesehen war, dass das komplette Personal für so lange Zeit von zu Hause aus arbeiten würde. 

Dabei stellen sich naturgemäss einige Herausforderungen: Zum Beispiel können nicht alle technischen Einrichtungen einfach zu Hause zur Verfügung gestellt werden, wie zum Beispiel ein Setup mit mehreren Trading-Monitoren. Zudem müssen sich viele Mitarbeiter die Bandbreite mit anderen Personen im Haushalt teilen, was sich negativ auf die Netzwerkgeschwindigkeit auswirkt. Es bedarf klarer Richtlinien für Remote-Arbeiter, die auf Kunden- und andere sensible Daten zugreifen. Ausserdem müssen alle bereitgestellten Laptops so konfiguriert werden, dass der Systemzugriff gemäss den höchsten Sicherheitsstandards erfolgt. 

Wenn Banken diese wesentlichen Hürden gemeistert haben, gilt es noch ein paar weitere Punkte zu beachten, um die Pandemie erfolgreich zu überstehen: 

  • Sie sollten frühzeitig und regelmässig mit Kunden und Mitarbeitern kommunizieren. Manager müssen sicherstellen, dass interne und externe Stakeholder die Massnahmen verstehen, die zum Schutz der Assets und zur Aufrechterhaltung eines normalen Geschäftsbetriebs ergriffen werden. Äussern Kunden Bedenken, sollten diese sofort geklärt und ausgeräumt werden. Zum Beispiel indem man ihnen versichert, dass Bargeldabhebungen und die Abwicklung von Trading-Geschäften weiterhin möglich sind. 
  • Sie sollten ihre vorhandenen Daten nutzen. Die Einschränkung des wirtschaftlichen Lebens macht Unternehmen jeder Grösse zu schaffen und bedeutet für einige Arbeitnehmer die Entlassung oder Zwangsbeurlaubung. Mit Hilfe ihrer Datenbeständen können Banken und Finanzdienstleister nachvollziehen, welche Kunden betroffen sind. Auf dieser Basis können sie überlegen, wie sie helfen können, ob sie zum Beispiel eine Erweiterung der Zahlungsbedingungen und Kreditlinie, das Aussetzen von Verzugszinsen oder eine Verlängerung der Zahlungsfristen anbieten wollen.

Je höher der digitale Reifegrad, desto leichter fällt die Einstellung auf neue Umstände

Durch ihre starke digitale Kultur sind Banken und Finanzdienstleister in der Schweiz gut aufgestellt, um sich an neue Situationen anzupassen. Ihr digitaler Spürsinn hat ihnen jetzt schon die Umstellung auf das Arbeiten von zu Hause erleichtert und geholfen, den Kundenkontakt über bestehende digitale Berührungspunkte aufrechtzuerhalten, zum Beispiel durch transaktionales Online-Banking, Online-Beratung und sichere Kommunikation. Viele Banken haben auch erkannt, dass  traditionelle Kommunikationskanäle wie E-Mail und Telefon nicht flexibel genug sind, um den stetig steigenden Kundenanfragen gerecht zu werden. 

Aufgrund dieser völlig neuen Situation fragen sich viele private und öffentliche Investoren, wie die Märkte reagieren werden. Asset Manager, die bereits Remote-Zugriff auf Marktdaten und -algorithmen haben, sind ohne Weiteres in der Lage, die Marktbewegungen zu analysieren – wie es von Beratern erwartet wird. 

Vorsorgemassnahmen für künftige Krisen 

Banken und Finanzdienstleister sollten jetzt Vorsorgemassnahmen treffen, um für künftige Krisen gewappnet zu sein und die derzeitige Situation gut zu meistern. Zum Beispiel:

  • Einrichten einer verteilten Disaster-Recovery-Infrastruktur. Angesichts der Unvermeidlichkeit weiterer Naturkatastrophen und Pandemien ist es vielleicht nicht länger sinnvoll, Arbeitnehmer (und Viruslasten) gesammelt in Alternativeinrichtungen umzuziehen. Notfallpläne für eine schnelle Umstellung auf Heimarbeit oder die Nutzung kleinerer Einrichtungen könnten die Lösung sein. Wenn Mitarbeiter sich an die Remote-Arbeit gewöhnen, sollten Rollen und Verantwortlichkeiten überprüft werden, um festzustellen, ob dies langfristig praktikabel ist. Berücksichtigt werden sollte auch der Einzug der 5G-Technologien, die Konnektivität und Geschwindigkeit wahrscheinlich erheblich verbessern werden.
  • Aufbau von Datenanalyse- und Software-Engineering-Kompetenzen. Software-Engineering-Prinzipien (das heisst Cloud-native Apps oder Modernisierung älterer Apps und Infrastrukturen für das digitale Zeitalter), Analytics und künstliche Intelligenz sind unabdingbar, um Zusammenhänge in Datenbeständen zu finden. Sie sind auch nötig, um vollständig integrierte Lösungen erstellen zu können. Fehlen diese Software-Engineering-Kompetenzen, wird es Banken schwer fallen, Lösungen schnell zu integrieren – ihr Aufbau sollte Priorität haben. Nicht nur, damit sie die nächste globale oder regionale Krise überstehen, sondern auch, um mit anderen Organisationen mithalten zu können, die diese Fähigkeiten nutzen werden, um ihren Kunden schnell erstklassige Services zu bieten.
  • Feste Kostenstrukturen überdenken. Organisationen, die sich dem Betrieb von Captives zugewandt haben, müssen nun mit den Fixkosten zurechtkommen, egal, was auf dem Markt passiert. Mehr Flexibilität bei der Beschaffung von kontextuellen vs. Kernservices ermöglicht eine flexiblere Reaktion auf Marktveränderungen und Naturgewalten und sorgt dafür, dass Geld übrig bleibt, das in Marktdifferenzierung und Serviceinnovation reinvestiert werden kann.

Kunden und Mitarbeiter müssen bei technologie- und betriebsbezogenen Entscheidungen mitberücksichtigt werden. Organisationen, denen dies gelingt, können besser durch die aktuelle Krise steuern, wertvolle Einblicke gewinnen und nützliche Erfahrungen sammeln. Wenn sich die nächste Krise anbahnt, sind sie dann auf jeden Fall besser aufgestellt.

Der Autor: Matthias Köhler

Matthias Köhler ist Mitglied der Geschäftsleitung und Head of Commercials bei Cognizant in der Schweiz. Zusätzlich leitet er den Bereich Manufacturing & Logistics. Köhler hat über 20 Jahre Erfahrung als Programmmanager, Senior Consultant und Vertriebsleiter an der Schnittstelle von Business und IT.

Sein besonderes Interesse liegt in der Verbindung von neuen Geschäftsmodellen und innovativen Technologien, wie der digitalen Produktentwicklung und dem Internet of Things (IoT). Dabei verbindet Köhler seinen Background als Ingenieur mit seinen Erfahrungen in sehr verschiedenen Industrien, wie zum Beispiel dem Banken- und Versicherungswesen oder der Automobil- sowie der Pharmaindustrie.

Vor seiner Zeit bei Cognizant war Köhler in Führungspositionen bei Hewlett Packard und anderen, internationalen IT-Service Providern engagiert. Matthias Köhler hat Diplom-Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau an der Universität Kaiserslautern studiert.