Bitcoin wird bleiben und braucht mehr Strom als Argentinien – aber weniger als die Weihnachtsbeleuchtung

Illustration mit Elementen rund um Bitcoin
Illustration: Rainer Benz www.comic-cartoon.ch & @FelixFrei

Gastautor Felix Frei über den Bitcoin, seine Energie- und Nutzenbilanz, über falsche und richtige Bilder und: ob und wie der Bitcoin zu stoppen wäre.

Der Stromverbrauch von Bitcoin steht oft im Rampenlicht. Zum Beispiel wird der Stromverbrauch pro Transaktion beleuchtet. Teilweise wird deswegen sogar ein Verbot gefordert oder es werden alternative Lösungen ins Rennen geführt. Es stellen sich somit ein paar Fragen:

  • Könnten wir Bitcoin überhaupt stoppen, um den Stromverbrauch einzudämmen?
  • Haben wir ein richtiges Bild von Bitcoin?
  • Was ist der Nutzen von Bitcoin, den man als Basis nehmen muss, um den Stromverbrauch zu bewerten?
  • Wie hoch ist der Stromverbrauch und wie sehen die ökonomischen Gesetzmässigkeiten aus?

1. Wie könnte man Bitcoin stoppen?

Diesen Fragen gehen wir im Folgenden nach und versuchen Antworten darauf zu finden. Zum Start einige Wege, wie man Bitcoin stoppen könnte.

Bezahlung und Besitz verbieten

Es könnten alle Länder gut organisiert Bitcoin-Zahlungen und -Besitz überall verbieten. Der Preis würde mittelfristig einbrechen. Viele Investoren würden das Interesse verlieren. Als Payment System würde Bitcoin deswegen aber nicht weniger gut funktionieren. Drogenhandel ist überall auf der Welt verboten, trotzdem beträgt der jährlich Umsatz Schätzungen zufolge ca. 500 Mrd. USD. Falls anonymes, einfaches und sicheres Bezahlen und Aufbewahren von Werten ein Bedürfnis ist, wird Bitcoin trotz Verbot weiter existieren und sich weiterentwickeln. Dies zu unterbinden ist nach heutigem Stand der Technik unmöglich.

Stand heute braucht ein normaler Internetnutzer keine 10 Minuten, um anonym im Internet und im Darknet surfen zu können (Tor-Browser). Mit einer weiteren halben Stunde Aufwand und ca. 50 CHF im Jahr kann man zusätzlich ein VPN installieren ­– auch dafür braucht es keinerlei Kenntnisse von Informatik. Die Kombination Tor durch VPN ist, wenn man nicht gerade der Staatsfeind Nummer 1 der Vereinigten Staaten ist, sehr, sehr sicher und funktioniert auch auf dem Handy. Und falls man der Staatsfeind Nummer 1 der Vereinigen Staaten ist, gibt es noch ein paar weitere Möglichkeiten.

Das FBI und ähnliche Organisationen werden nicht Millionen von Bitcoin-Nutzern jagen können

Das Darknet mit seinen Amazon ähnlichen Marktplätzen zeigt die grausamen Schattenseiten des Internets auf. Drogen, Waffen, Falschgeld, Daten und Hacker-Dienstleistungen gehören zu den absolut harmlosen Kategorien der Angebote. Die Tatsache und der mediale Wirbel um die Verhaftung des Silk Road-Besitzers täuschen darüber hinweg, wie schwierig es ist, diese Verbrecher zu überführen. Der FBI-Bericht und Zusammenfassungen von Silk Road sind öffentlich zugänglich. Der Besitzer hat sich in etwa so ungeschickt verhalten, wie wenn ein Bankräuber während dem Bankraub kurz die Maske auszieht, um sich zu kratzen. Die Verfolgung dieser Kriminellen ist extrem aufwändig und nur für top Organisation möglich, die sich auf Cyberkriminalität spezialisiert haben. Erwischt werden nur die, welche einen Fehler machen.

Das FBI und ähnliche Organisationen werden aber nicht Millionen von Bitcoin-Nutzern jagen können. Für Kriminelle oder all jene, welche keinen Zugang zum Banksystem haben, sind Kryptowährungen die perfekte Lösung. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, führen dazu, dass es unmöglich ist, Bitcoin durch ein Verbot zum Verschwinden zu bringen. Das zeigt die Existenz des Darknets. 

Entwickler festnehmen und die Entwicklung verbieten

Man könnte versuchen, auf einen Schlag alle bekannten Bitcoin-Entwickler aus dem Verkehr zu ziehen. Das würde die Weiterentwicklung sicherlich mittelfristig verlangsamen. Die Software und Dokumentationen bleiben jedoch erhalten und es kommen neue Entwickler nach. Vermutlich werden neue Entwickler ohnehin eher anonym bleiben in Zukunft. 

Eine bessere Blockchain-Lösung könnte Bitcoin ersetzen

Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, dass irgendwann ein besseres und sicheres System für Wertaufbewahrung und Payment auftaucht. Nach heutigem Stand gehen aber alle anderen Kryptowährungen, welche gewisse zusätzliche Funktionen anbieten, Kompromisse bezüglich Sicherheit und Dezentralität ein.

Fakt ist:

Seit der Erfindung von Bitcoin wurde er tausende Male kopiert. Es sind auch neue Lösungen entstanden, an denen man jetzt auch schon etliche Jahre entwickelt und die finanziellen Mittel dieser Projekte liegen teilweise im Milliarden Bereich. Diese Mittel werden auch für gigantisches Marketing eingesetzt. Das kann auch man getrost machen, da man so viel Geld gar nie “verprogrammieren” kann. Tezos, ein Projekt das sehr wohl spannende Aspekte hat, ist neu Trikot-Sponsor von Manchester United für 27 Mio. USD pro Jahr. 

Die Gesetze der Mathematik und der Physik lassen sich nicht aushebeln

Der entscheidende Kern einer Software-Lösung ist am Ende aber die Leistung eines sehr überschaubaren Teams oder sogar von einzelnen Personen. Das lässt sich nicht skalieren. Die gigantischen finanziellen Mittel dieser Projekte mögen vieles ermöglichen, aber die Gesetze der Mathematik und der Physik lassen sich nicht aushebeln. Egal wie viel man einem Software Engineer bezahlt, er wird die Mathematik und Physik nicht neu erfinden können. Stand heute gibt es viele spannende Blockchain-Projekte, die durchaus einen disruptiven Charakter haben werden. Smart Contracts, Metaverse-Immobilien, NTFs und mehr – das alles wird sicherlich ein grosses Business. Was sich in Zukunft wirklich durchsetzen wird, ist extrem schwierig vorherzusehen. Persönliche Erlebnisse, Werte und die eigene berufliche Erfahrung beeinflussen die Sicht auf die Dinge stark. So gibt es berechtigterweise ganz verschiedene Meinungen.

Für mich ist die Payment Blockchain-Killer-App eine Proof of Work-Kryptowährung namens Bitcoin mit dem dazugehörigen Lightning Netzwerk. Vor allem aus dem Grund, weil diese Kombination heute bereits reale Probleme löst – und zwar für die Bevölkerungsgruppe, die es am nötigsten hat.

Den CEO von Microstrategy, Michael Saylor, kann man für einen Irren halten. Er hat das ganze Firmenkapital in Bitcoin angelegt und sogar noch Unternehmensanleihen herausgegeben, um weitere Bitcoins im Gegenwert von ein paar Milliarden zu kaufen. Saylor hat eine Software Firma mit 2600 Mitarbeitenden und fast einer halben Milliarde Umsatz aufgebaut und leitet diese seit über 20 Jahren erfolgreich. Er dürfte ein paar sehr gute Engineers in seinem Team haben. Wenn so jemand all in geht, glaube ich, hat er sich sehr genau angeschaut, welches System wie funktioniert und wesentlich fundierter verglichen, was es für Systeme gibt als all diejenigen, welche nicht ihr ganzes Vermögen mit ihrer Meinung hinterlegen.

Wenn es ein besseres, sichereres, weniger Energie-intensives System geben wird, welches für Payments besser funktioniert, wird Bitcoin vielleicht verschwinden. 13 Jahre lang hat sich Bitcoin nun aber schon als Nummer 1 gehalten.

Schnittstelle zum Fiat-System kappen

Diese Schnittstelle ist bereits soweit reguliert, dass man sich mindestens bei allen seriösen Anbietern mit KYC-Verfahren, die jenen der Banken entsprechen, identifizieren muss. Man könnte versuchen Krypto-Börsen weltweit zu verbieten. Der Wechsel von einer Kryptowährung in eine andere lässt sich aber nicht regulieren. Es existieren bereits erste dezentrale Software-Lösungen, hinter denen keine Firmen oder Personen stehen, wo man diese umtauschen kann. 

Würde man die Schnittstelle zum Fiat-System kappen, könnte niemand mehr offiziell via Bankzahlung etc. Bitcoin kaufen. Es existieren aber bereits diverse OTC-Plattformen, wo man Peer-to-Peer Bitcoins kaufen und verkaufen kann. Mögliche Zahlungsmittel sind Banküberweisung, physische Treffen mit Cash oder jeder erdenkliche Gutschein, Prepaidkarten etc. Die zwei bekanntesten sind paxful.com und localbitcoins.com. Natürlich könnte man auch diese verbieten, nur werden diese Plattformen dann ins Darknet verschwinden.

Minern den Strom abdrehen

Eine weitere Möglichkeit Bitcoin zu stoppen, wäre Mining zu verbieten und diesen Firmen den Strom abzudrehen. Diese Möglichkeit und die Effekte rund um den Stromverbrauch von Bitcoin gilt es genauer unter die Lupe zu nehmen – was wir auch machen, nachdem wir uns ein bisschen genauer angeschaut haben, was Bitcoin heute ist.

2. Haben wir ein falsches Bild von Bitcoin? 

Durch einseitige Berichterstattung und gängige Irrtümer entsteht teilweise ein völlig falsches Bild von Bitcoin.

Layer Bias

Häufig liest man von Vergleichen von einer Bitcoin-Transaktion mit einer Visa-Transaktion. Vergleiche werden unter Berücksichtigung von Kosten, Transaktionsdauer und Stromverbrauch gezogen. Dieser Vergleich hinkt aber gewaltig. Es war nicht vorgesehen, dass der sogenannte Layer 1 ein hoch skalierbares Zahlungssystem ist. Ein dezentrales System muss drei Punkte in Einklang bringen: Security, Dezentralität und Skalierbarkeit. Auf dem 1 Layer liegt der Fokus von Bitcoin auf maximaler Security und maximaler Dezentralität und diesbezüglich möglicher Skalierbarkeit. Ein Pack Kaugummi wird man nicht mit Bitcoins auf Layer 1 bezahlen. Eine Bitcoin-Transaktion kann man definitiv nicht mit einer Kreditkartenzahlung vergleichen.

Eine Bitcoin-Transaktion kann man definitiv nicht mit einer Kreditkartenzahlung vergleichen

Wenn man unbedingt einen Vergleich will, ist die Verschiebung einer Tonne Gold von Zürich nach New York am naheliegendsten. Die Tatsache, dass Bitcoin nur eine gewisse Anzahl Transaktionen pro Sekunde abwickeln kann, ist kein Versehen gewesen beim Design. Dem Erfinder war durchaus klar, dass man für ein Payment System einen höheren Durchsatz braucht. Es war nicht Satoshis Idee, jeden verkauften Lollipop in einer Blockchain speichern zu wollen. Wieso sollte man etwas, das man heute unreguliert mit Cash bezahlt, in die Blockchain schreiben? Das macht absolut keinen Sinn und kostet viel zu viel (Strom, Geld, Zeit).

Das Payment System von Bitcoin befindet sich auf einem zweiten Layer. Es ist gigantisch skalierbar und Transaktionen sind fast gratis und brauchen praktisch überhaupt keinen Strom. Es geht aber Kompromisse bezüglich Dezentralität und Sicherheit ein. Dies ist jedoch kein Problem, denn eine Transaktion über 100 CHF hat nicht die gleichen Anforderungen wie die Aufbewahrung von Milliarden. Das Ganze nennt sich Lightning Netzwerk. 

Tragisch ist, dass diese Layer-Fehlüberlegung auch bei “Blockchain Experten” absolut üblich ist. Insbesondere bei Vergleichen von verschiedenen Kryptowährungen findet man immer wieder solche falschen Annahmen. 

Ich bin ein grosser Fan von Twint, insbesondere bei der Bezahlung im Internet. Ich habe keine Lust, zuerst die Kreditkarte zu suchen, die Daten einzugeben und dann noch auf einer App die Zahlung zu bestätigen. Mit Twint kann ich den QR-Code einscannen und schwupp ist bezahlt. Das ist super cool und sieht auf den ersten Blick wie Instant Payment aus. 

Bezahlen mit dem Lightning-Netzwerk funktioniert genau gleich wie bei Twint

In den letzten zwei Monaten konnte ich bereits ein paar Mal mit dem Lightning-Netzwerk bezahlen. Das funktioniert genau gleich wie bei Twint. Zu praktisch null Kosten, absolut sofort und mit praktisch null Stromverbrauch.

Jack Dorsey ist als CEO von Twitter zurückgetreten, um sich voll und ganz um seine zweite Firma Square zu kümmern. Square ist ein Zahlungsanbieter. Ebenfalls hat er eine Organisation gegründet, deren Ziel es ist, die Anbindung und Integration des Lightning-Netzwerks für Entwickler möglichst einfach zu machen – Lightning Dev Kit. Zusätzlich hat er die Organisation BTrust gegründet und ca. 20 Mio. USD zur Verfügung gestellt. Ziel der Organisation ist, die Bitcoin/Lightning-Entwicklung in Afrika voranzutreiben. Wenn man irgendetwas mit Payment zu tun hat, sollte man Dorsey auf dem Radar behalten und noch eine zweite Person. Dazu kommen wir später, spannend wird es nämlich, wenn man Dollars über ein offenes und allen zugänglichen Netzwerk verschickt, welches ein gigantisches API (Schnittstelle für die Anbindung anderer Software) zur Verfügung stellt – das Bitcoin Lightning Network.

Ein faszinierender Teil ist die Infrastruktur. Visa und Mastercard mussten für sich gewaltige Infrastrukturen bereitstellen. Das Bitcoin Lightning-Netzwerk wird durch freiwillige Supporter zur Verfügung gestellt. Gemäss Bitcoin Suisse gibt es weltweit bereits ca. 16’000 public Lightning Nodes. Dazu braucht es keine teuren Server mit grossem Stromverbrauch. Wie in meinem Fall reicht bereits ein Raspberry Pi 4. Ich unterstütze mit diesem Bitcoin Full Node das Netzwerk. Der oberste der Raspberry Pi 4-Kollegen ist so ein Teil (die anderen beiden haben damit nichts zu tun).

Bei 7*24*365 Betrieb und maximalem Workload braucht er 50 bis 60 KWh pro Jahr. Das kostet mich 10 bis 12 CHF pro Jahr. 

Security Bias

In den Medien liest man wöchentlich über gestohlene Bitcoins und andere Kryptowährungen. Das täuscht über die Sicherheit von Bitcoin hinweg. Bezogen auf Bitcoin sind Diebstähle auf falsche Handhabung von Wallets oder Sicherheitslücken auf Kryptobörsen zurückzuführen. Das Blockchain-Netzwerk von Bitcoin wurde seit der Entstehung vor 13 Jahren nicht ein einziges Mal gehackt. Das obwohl der Honey Pot gigantisch gross ist.

Das Blockchain-Netzwerk von Bitcoin wurde seit der Entstehung vor 13 Jahren nicht ein einziges Mal gehackt

So befinden sich zum Beispiel auf der Adresse 34xp4vRoCGJym3xR7yCVPFHoCNxv4Twseo Bitcoins im Gegenwert von ca. 10 Mrd. USD. Wären die dort, wenn man sie abholen könnte?

Andreas Antonopoulos zeigt in diesem Video auf, wieso nicht mal die Quanten-Computer-Technologie ein Problem für Bitcoin sein wird. Er ist nicht nur ein Blockchain-Experte, sondern auch zu den Themen Security, Cloud Computing etc. ein viel beachteter Experte. In den Bereichen Blockchain und Bitcoin ist er einer der meistgelesenen Bestseller-Autoren.

Weiter muss man sich bewusst sein, dass wenn die Bitcoin-Algorithmen geknackt würden, es auch mit jeglicher anderen Verschlüsselung aus wäre. Sprich, das Finanzsystem müsste dann ohne Internet auskommen – nichts wäre mehr sicher. Bei Bitcoin ist per Design vorgesehen, dass man Algorithmen auswechseln könnte, und zwar ist dies definitiv einfacher möglich als bei alten Legacy Finanzsystemen. 

Medien Bias

Nachrichten zu Bitcoin sind nicht immer korrekt beleuchtet und nach Impact und Wichtigkeit im ausgewogenen Mass in den Medien zu finden.

Ein Beispiel: Unlängst wurde überall über El Salvador berichtet. Der Inhalt war übereinstimmend – unterschiedlich detailliert – der folgende:

"Ein Staatschef verzockt die Zukunft seines Landes

So weist El Salvador bereits eine Staatsverschuldung von über 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – insgesamt 23,3 Milliarden Dollar………”Bei der derzeitigen Politik wird die Staatsverschuldung im Jahr 2026 voraussichtlich auf etwa 96 Prozent des BIP ansteigen” heisst es beim IWF."

Ich habe nichts gegen diesen Forecast, aber was der IWF nicht sagt und die Medien nicht erwähnen, ist: El Salvador ist bezüglich Verschuldungsquote ca. auf Platz 50. USA und Japan sind die Mitgliedstaaten mit den grössten Stimmrechten im IWF. Japan ist mit seiner Verschuldungsquote in einer anderen Liga auf Platz 1. USA auf Rang 13 (Stand 2019). Diese Information hätte ich mir zusätzlich noch gewünscht. Wir werden noch ein anderes Beispiel sehen, von welchem gar nicht berichtet wurde. 

Als Laie frage ich mich natürlich auch, wie kann es sein, dass die viel höher verschuldeten Länder via IWF Druck ausüben und den weniger verschuldeten Ländern Kredite geben. Das wollte ich genauer wissen und habe bei dem Experten in der Schweiz via LinkedIn angefragt. Fabio Canetg ist Dozent und Journalist in Sachen Geldpolitik. Sein Podcast Geldcast kann ich allen, die sich für das Thema interessieren, wärmstens empfehlen. Er hat meine Frage wie folgt beantwortet:

"Die USA können sich eine viel höhere Verschuldung leisten, weil sie nicht so exponiert sind, das Risiko eines Bankrotts also kleiner ist. Das hängt etwa damit zusammen, dass es aus regulatorischen Gründen wohl immer eine hohe Nachfrage nach US-Staatsanleihen geben wird. Ebenfalls wird es sehr wahrscheinlich nicht einen plötzlichen Stopp von Geldeinflüssen in die USA geben (diese Geldeinflüsse finanzieren das Handelsdefizit – und indirekt auch die Staatsschulden); das ist in Schwellenländern viel wahrscheinlicher (in der Literatur bekannt als "sudden stop")."

Das leuchtet ein, mich stimmt es aber auch nachdenklich, dass die Welt so funktioniert.

3. Basis für den gerechtfertigten Stromverbrauch ist die Frage nach dem Nutzen von Bitcoin

Bezüglich Bitcoin und wie viel Stromverbrauch gerechtfertigt ist, muss man sich zuerst im Klaren sein, als was man Bitcoin anschaut. Wenn es ein Schwachsinn ist, der Niemandem etwas bringt, kann man sich jegliche Diskussion sparen.

Nun hat sich aber etwas ereignet. Jack Mallers, der 27-jährige ambitionierte Unternehmer und CEO von Strike ist mit einem neuen Ansatz gestartet. Sein Selbstvertrauen und die daraus resultierenden Sprüche können mitunter recht originell sein. So zum Beispiel:

 “Ich schlage den Western Union CEO im Schach mit einer Augenbinde”

Hört man ihm eine zeitlang zu und kann damit leben, dass in jedem zweiten Satz sh*t und f**k vorkommt, so stellt man fest, dass er mit Strike ein paar innovative Ideen hat. Seine Firma Strike will Dollars über das Bitcoin Lightning-Netzwerk transferieren. 

Strike hat dann zusammen mit Twitter auch geliefert

Bis jetzt mussten die in den USA lebenden Verwandten das Geld via Western Union nach El Salvador senden. Hohe Gebühren. Hohe Risiken beim Cash abheben. Jetzt können sie via Twitter ohne Gebühren das Geld sofort direkt zustellen. Strike konvertiert die Dollars in Bitcoin, schickt sie über das Bitcoin Lightning-Netzwerk und konvertiert sie dann wieder zurück in Dollar. Die Strike App wurde mit Twitter verknüpft. Gemäss Strike CEO kann die Bevölkerung von El Salvador so bis zu 400 Mio. USD pro Jahr sparen. Für ein kleines Land mit einem sehr niedrigen Einkommen ist das extrem viel. Western Union kann sich den ganzen El Salvador-Umsatz ans Bein streichen.

Und jetzt kommt das Beste: Wer weiss, was der Präsident von El Salvador dafür bezahlt hat und wie viel Arbeit es für ihn war? Nichts. Null Komma nichts. Die zwei Lösungen wurden verbunden und für die Basis-Infrastruktur sorgen die Bitcoin Core Developer, Bitcoin Miner und die Lightning Nodes. Und all die Leute, die es benutzen, müssen weder Bitcoin verstehen noch sich je mit Bitcoin Adressen usw. herumschlagen. Vielleicht werden sie nie erfahren, dass es Bitcoin gibt.

Ich fasse kurz zusammen: El Salvador hat ein Instant Payment, das funktioniert. Die in den USA lebenden Auswanderer können neu ohne Gebühren Geld ihren Verwandten schicken und das Land hat nicht einen Cent für die Infrastruktur und Entwicklung dafür bezahlt. 

Wie würdest du dich fühlen, wenn plötzlich bei der Überweisung von deinen Verwandten nicht mehr ein riesiger Teil für Gebühren wegginge? Du nicht mehr vier Stunden im Auto sitzen müsstest, um am Western Union-Schalter anstehen zu gehen? Du nicht mehr dem Risiko der Gangs ausgesetzt bist, die um die Ecke beim Western Union Schalter warten?

El Salvador hat ein Instant Payment, das funktioniert

Und jetzt kommt etwas Lustiges: Jack Mallers ist Schach-Champion und der Spruch war gar kein Joke.

Im Moment wird gerade in Argentinien das Gleiche gemacht wie in El Salvador. Vermutlich ist Argentinien nicht das letzte Land.

Viele von uns werden Nayib Bukele möglicherweise nun in einem anderen Licht sehen. Schlussendlich hat er einen ersten Schritt Richtung Opt-out von einem System gemacht, das sowieso in El Salvador nicht mehr funktionierte. Was mich ein bisschen irritiert ist, wieso nirgendwo davon berichtet wird, wie viel die Bevölkerung von El Salvador von dem Ganzen profitiert.

Das Beispiel El Salvador zeigt, dass Bitcoin mit dem Lightning-Netzwerk ein weltweites und gut funktionierendes Finanzsystem mit Instant Payment ist. Es reicht schon, wenn man jemanden kennt, der Internet oder ein Handy hat und diese Person 2 bis 3 mal im Monat sieht. Plötzlich haben sehr viel mehr Leute Zugang zum Finanzsystem. "Am Schluss findet man eine Lightning Adresse – das Wallet befindet sich auf einem uralten iPhone SE das ordentlich gebraucht aussieht. Für das kriege ich auf Ricardo keinen Cent mehr. Als Bank Account kann es aber noch lange verwendet werden."

Bei uns mag Bitcoin zuoberst in der Maslowschen Bedürfnispyramide angesiedelt sein. In vielen anderen Ländern ist er sehr weit unten. Leider ist es immer noch Tatsache, dass sehr viele Menschen vom Finanzsystem ausgeschlossen sind. Gemäss aktuellen Schätzungen sind dies 1,7 Milliarden Menschen. Weiter lebt nur ein Viertel der Menschen in demokratischen Systemen, die anderen leben zum Teil in Autokratien, in denen die finanzielle Freiheit stark eingeschränkt wird. 

Die entscheidende Frage ist jetzt also: wie viel Strom darf ein System, das diese Probleme löst, verbrauchen?

Ich behaupte, wir können das Bedürfnis finanzieller Sicherheit gar nicht richtig erfassen, weil wir:

  • ein Schweizer Bankkonto besitzen
  • Geld nicht nur in Cash aufbewahren können
  • Möglichkeiten zur Werterhaltung haben
  • die härteste Währung der Welt und nicht Bolivar oder Lira haben
  • nicht auf der Flucht unser ganzes Vermögen mitnehmen müssen
  • uns gar nicht vorstellen können, dass nicht alle Geld besitzen dürfen (in gewissen arabischen Ländern ist Frauen der Besitz von Geld und Bankbeziehungen untersagt)

Stell dir vor, du würdest all deine Bankverbindungen aufheben, das Geld zu Hause lagern und ein Jahr so leben. Wie würdest du dich fühlen? Wem das noch nicht genug ist, könnte sein Vermögen noch in Bolivar oder Türkische Lira wechseln.

Eine zweite Frage ist: Wie oft oder wie weit darf man pro Jahrzehnt fliegen, ohne dass Urteile über den Energieverbrauch von Lösungen die Probleme betreffen, unter denen man selbst nicht leidet, nicht unter Greenwashing fallen?

4. Energieverbrauch

Die grosse Frage ist allgemein: Was darf wie viel Strom brauchen?

Ich bin leidenschaftlicher Skifahrer. Die Skilifte und Schneekanonen brauchen unbestritten ordentlich Strom, damit ich den Luxus habe, nicht den Berg hochlaufen zu müssen, auch wenn mir das sicher guttun würde. Weil mir persönlich das so wichtig ist, ist das in meinem Wertesystem ziemlich das Letzte, wo man den Strom abstellen sollte. Mir ist aber durchaus bewusst, dass die meisten Nicht-Wintersportler das zu Recht als gewaltige Energieverschwendung betrachten werden. Die Skiorte könnten ja auch zu Langlauf- und Skitouren-Orten werden.

Wo welcher Stromverbrauch gerechtfertigt ist, hängt stark von persönlichen Werten und Vorlieben ab

Dafür geht jemand anderes in ein beheiztes oder klimatisiertes Fitnessstudio, um auf einem Laufband zu rennen. Wie bitte? Wir brauchen Strom, nur damit wir beim Gehen immer am gleichen Ort stehen bleiben? Es ist mir klar, dass die Beispiele vom Energieverbrauch her in einer anderen Liga angesiedelt sind. Trotzdem, wo welcher Stromverbrauch gerechtfertigt ist, hängt stark von persönlichen Werten und Vorlieben ab. Man müsste ja auch Theater, Züge, Opern etc. nicht unbedingt beheizen. Man kann sich ja warm anziehen – die meisten werden jedoch für die Heizung votieren.

Was sich vermutlich jeder eingestehen muss ist die Tatsache, dass unsere Bemühungen Strom zu sparen in der Regel dort stattfinden, wo es nicht weh tut.

2020: Was braucht wie viel Energie (nicht nur Strom)?

Bitcoin: 188 TWh

Computer Games: 214 TWh

Goldabbau: 571 TWh

Weihnachtsbeleuchtung: 201 TWh

Quelle:  Bitcoin Suisse Crypto Outlook 2022 und Global Bitcoin Mining Data Review Q3 2021 (BMC)

Bitcoin ist für 0.12% des weltweiten Energiebedarfs verantwortlich. Bezogen rein auf Strom beträgt der Anteil etwa 0.54%. Den Vergleich zu Argentinien kann man machen, man muss sich aber bewusst sein, dass Argentinien im Vergleich zu anderen Ländern einen sehr tiefen pro Kopf-Stromverbrauch hat.

Die Weihnachtsbeleuchtung, brauchen wir die wirklich?

Gemäss diesem Artikel verursachen wohlhabende Vielflieger, die nur 1 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, mit ihrer Fliegerei die Hälfte der CO2-Emissionen der globalen Luftfahrtindustrie.

Aber für den ärmsten Teil der Bevölkerung reicht der Strom nicht?

Bevor wir Bitcoin betrachten, schauen wir uns zuerst Gold an. Goldabbau wäre relativ einfach zu verbieten. Es liegt ja bereits genug herum. Gemäss Stock to flow Model wird der Aufwand selbst für kleine Mengen immer grösser. Für die Schmuckherstellung reicht das existierende Gold allemal. Zudem gibt es Alternativen. Man würde das Dreifache der Energie von Bitcoin sparen und Goldabbau bringt ja nun mal wirklich nichts mehr.

Was sehr spannend ist, ist die Häufigkeit der Suchanfragen zum Energieverbrauch. Google Trends stellt uns da ein herrliches Tool zur Verfügung. Ich habe alles Mögliche verglichen. Mit verschiedenen Wortkombinationen Stromverbrauch, Energieverbrauch etc. herumgespielt und zwar auf Deutsch und Englisch. Es zeigt sich folgendes: Im Mai, beim damaligen Höchststand, wollte jeder wissen wie viel Strom/Energie Bitcoin verbraucht. Weiter stellt man fest, für nichts anderes gibt es bezüglich Strom/Energieverbrauch annähernd das gleiche Interesse. Einzig wenn es ganz heiss ist, informieren sich die Leute bezüglich des Stromverbrauchs von Klimaanlagen. 

Bitcoin hat also dafür gesorgt, dass sich die Bevölkerung endlich mit dem Energieverbrauch befasst. Was leider viele immer noch nicht wissen ist, wie unglaublich viel Energie Streaming-Dienste wie Netflix und das Internet als Ganzes brauchen. 

Die guten Neuigkeiten sind, Strom hat den grossen Vorteil, dass er sich klimaneutral herstellen lässt. Firmen wie Swisscom haben erkannt, wie stromintensiv ihr Geschäft ist und haben umfangreiche Nachhaltigkeits Programme gestartet. So bezieht Swisscom ihren Strom zu 100% aus erneuerbaren Energien und der Anteil selbst erzeugter Elektrizität aus eigenen Anlagen wird laufend erhöht. Bis 2030 wir zudem die gesamte Fahrzeugflotte mit 2’400 Autos komplett auf elektrische Antriebe umgestellt.

Ökonomische Gesetzmässigkeiten des Bitcoin-Stromverbrauchs

Und jetzt wird es bezüglich Strom und Bitcoin richtig spannend und ein wenig unheimlich. 

Für Bitcoin Mining braucht es 3 Dinge: einen Internetanschluss, einen ASIC-Miner (früher war das auch mit einem normalen Computer möglich) und Strom. Die Kosten für den Internetanschluss kann man vernachlässigen. Die ASIC-Miner gehen schon ein wenig ins Geld, machen aber trotzdem nur einen kleinen Teil aus. Zudem kosten sie überall etwa gleich viel. Das ganze Geschäft ist also zu einem sehr grossen Teil von den Strompreisen abhängig. 

Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die Tatsache, dass das Geschäft geographisch unabhängig ist. 

Den Tesla muss ich dort aufladen, wo ich gerade bin und wenn es dort nur Strom von einem Kohlekraftwerk hat, muss ich ihn trotzdem dort aufladen. 

Die Miner werden dort sein, wo der Strom am billigsten ist. Am billigsten ist er natürlich dort, wo er anders nicht verwendet werden könnte. Eine sinnvolle Regulierung wäre also – nicht nur bezüglich Bitcoin – wenn Strom aus nicht erneuerbaren Energien viel teurer werden würde.

Eine sinnvolle Regulierung wäre, wenn Strom aus nicht erneuerbaren Energien viel teurer werden würde

Und jetzt kommen wir zum Spooky Teil. Ich werde demnächst eine Photovoltaik installieren. Ich kaufe mir dann auch einen Bitcoinminer. Es gibt nichts auf der Welt, womit sich so effizient, einfach und hochrentabel Strom in Geld umwandeln lässt. Aus ökonomischer Sicht konkurrenziert die Fahrt mit dem Elektroauto – das ich noch nicht besitze (VW Bus mit 4motion dauert noch ein wenig) – nun mit dem Geld, das ich verdienen würde, falls ich stattdessen Bitcoin minen würde. Jede Autofahrt hat nun also viel höhere Opportunitätskosten als die des Strompreises.

Bitcoin wird zum Taktgeber und Benchmark für Energiepreise

Das ist aber auch eine grosse Gefahr, wie die ersten Schwellenländer bereits feststellen mussten. Dort konkurriert dann nämlich die lokale Industrie bezüglich Stromverbrauch mit der ökonomisch hoch effizienten Bitcoin Mining-Industrie. Es wird also Interventionen wie Strommengenbeschränkungen für Bitcoin Mining brauchen in einzelnen Regionen. Auch wäre es ein Ansatz, Strom unterschiedlich zu besteuern. Wie das heute bei Diesel/Heizöl der Fall ist – grundsätzlich handelt es sich um das gleiche Produkt. Dadurch kommen wir aber an einen heiklen Punkt. Irgendjemand definiert dann, welcher Energieverbrauch in welchem Mass und wofür sinnvoll ist. Bitcoin Mining zu verbieten wird vermutlich nicht weltweit funktionieren. Zudem ist es auch gefährlich – solange es so rentabel ist, wird es ein Geschäft bleiben und es ist wahrscheinlich einfacher illegal und versteckt mit eigenen Benzin Stromgeneratoren als mit eigenen Solarzellen oder Flusskraftwerken zu minen.

Fazit 

Der Stromverbrauch von Bitcoin ist sehr hoch. Im Vergleich zum ganzen Internet und anderen Themen ist er aber nicht in einem besorgniserregenden Bereich. Bereits heute kommt ein grosser Teil aus erneuerbaren Energien. Dieser Wert wird sich erhöhen und Bitcoin könnte zum Benchmark für Energieverbrauch werden. 

Die Kombination von absolut sicherem digitalem Eigentum und dem extrem effizienten und günstigen offenen Lightning-Netzwerk on the top macht Bitcoin zu einem unglaublichen System. Facebook hat, wie diverse Medien berichten, betreffend ihrer eigenen Kryptowährung Libra/Diem das Handtuch geworfen. Ob das aus regulatorischen Gründen war oder ob Facebook erkannt hat, dass es gegen den Netzwerkeffekt von Bitcoin nicht antreten kann, ist egal. Sicher ist, dass Bitcoin eine ganz andere Ausgangslage hat. Es gibt keine Firma, die man regulieren kann.

Michael Saylor sagte in einem Interview, dass es nur  ein Risiko für Bitcoin gibt: “an unknown unknown” einen Black Swan. Das Lightning-Netzwerk könnte tatsächlich für Geld das sein, was das Internet für die Kommunikation war. 

Alle Bitcoin Core-Entwickler und Maintainer, Jack Mallers und Jack Dorsey und viele, viele mehr haben sich auf die Fahne geschrieben jetzt ordentlich am Payment-System zu rütteln.

Der Autor: Felix Frei

Felix Frei, Comit (Swisscom IT Services Finance)

Felix Frei ist seit 20 Jahren bei Comit, Swisscom Banking, in der IT für die Finanzindustrie aktiv. Er leitet ein Team, welches sich um die Entwicklung und den Betrieb einer führenden Kreditrisiko-Software kümmert. 

Felix befasst sich bereits seit 2015 intensiv mit Kryptowährungen, insbesondere mit Bitcoin. Er engagiert sich in seiner Freizeit unter anderem für die Bitcoin-Info-Plattorm f418.me