Inflation

Allein auf weiter Flur – weshalb die Schweiz kaum Inflation kennt

Mario Geniale, Chief Investment Officer der Bank CIC
Mario Geniale, Chief Investment Officer der Bank CIC

Die Inflationsraten in den USA oder auch im Euroraum erklimmen beunruhigende Höhen, in der Schweiz fällt die Teuerung weiterhin moderat aus – wie kommt's?

Die Konsumentenpreise steigen weltweit stark an. Nicht so in der Schweiz. Hier beträgt die Inflation lediglich 1,6%. Was sind die Gründe für diesen "Schweizer Sonderfall"? Und wie sieht das langfristige Inflationsrisiko für unser Land aus?

Ein Blick auf den Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) des Bundes zeigt, dass die Konsumgüter in der Schweiz im vergangenen Jahr leicht teurer geworden sind. Die durchschnittliche Jahresteuerung 2021 betrug +0,6%, im Vorjahr waren es -0,7% gewesen. Der Anstieg resultierte primär aus den höheren Preisen für Erdölprodukte und Wohnungsmieten. Auch die Preise für einheimische Produkte und Importgüter sind gestiegen, um 0,3% respektive 1,5%. Fasst man sämtliche Güter und Dienstleistungen zusammen, beträgt die Teuerung allerdings nur bei einem Fünftel der Güter mehr als 2%.

Zum Vergleich: Unsere Nachbarländer Deutschland und Italien verzeichnen eine Konsumteuerung von 5,3% beziehungsweise 3,9%. Auch die Prognosen der Expertinnen und Experten des Bundes stimmen zuversichtlich. Sie erwarten, dass der Höhepunkt der Preisentwicklung im aktuellen Winterhalbjahr erreicht und sich die Inflation durchschnittlich über das ganze Jahr 2022 gesehen bei 1,1% einpendeln wird.

Energiepreis ist weniger ausschlaggebend

Verglichen mit anderen Ländern befindet sich die Schweiz in punkto Inflation also allein auf weiter Flur. Einer der Hauptgründe für die niedrige Teuerungsrate liegt in der Zusammensetzung des Konsumentenpreisindex (KPI). So machen in der Schweiz beispielsweise die Energiepreise lediglich 5% des KPI aus. In der EU ist dieser Anteil fast doppelt so hoch (9,4%) und in den USA beträgt er immerhin 7%.

Ausserdem sind die Strom- und Gasmärkte für Privathaushalte hierzulande weniger liberalisiert als in der Eurozone, wodurch die Preise relativ stabil bleiben. Und im Gegensatz zu Ländern wie etwa Deutschland – wo zum Heizen von Privathaushalten hauptsächlich Erdgas und Mineralöl eingesetzt werden – weist die Schweiz einen geringeren Gasverbrauch auf, da hier Fernwärme eine wichtigere Rolle spielt.

Franken wirkt stabilisierend

Ein weiterer Faktor, der die Inflation in der Schweiz beeinflusst, ist der starke Schweizer Franken. Er begünstigt die Warenimporte und senkt die Nachfrage nach Gütern aus dem Inland. Das hält die Güterinflation niedrig. Damit ist unsere Währung gleichzeitig ein Trumpf in den "Händen" der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Sollten die Konsumentenpreise in der Schweiz nämlich plötzlich unerwartet stark steigen, kann die SNB den Franken zusätzlich aufwerten lassen, wodurch er international an Kaufkraft gewinnt. Importwaren würden dann billiger werden, was die Inflation automatisch wieder nach unten drücken würde.

Selbst eine Abschwächung des Schweizer Frankens hätte mittelfristig keinen allzu grossen Effekt. Zwar liesse sie die Konsumentenpreise steigen, weil der schwächere Franken die Binnennachfrage nach Gütern antreiben würde, doch die stabilen Lohnverhältnisse in der Schweiz mindern das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale. Dafür spricht zudem die Haltung hiesiger Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber: Gemäss einer aktuellen Umfrage der SNB sind die meisten Schweizer Firmen im laufenden Jahr nur zu moderaten Lohnerhöhungen bereit.

Gute Aussichten für die Zukunft

Die Konsumentenpreise entwickeln sich im Laufe eines Jahres normalerweise nicht linear. Meistens steigen die Preise in den ersten vier bis fünf Monaten stärker an, weil im Frühjahr die Wirtschaftsaktivitäten, insbesondere in der Baubranche, Auftrieb bekommen. Nach dem Peak im April oder Mai schwächt sich die Kurve in der zweiten Jahreshälfte ab und die Preise stagnieren. Weitere saisonale Effekte, wie zum Beispiel Reisen ins Ausland, wirken sich dämpfend auf die Binnennachfrage aus. Und schliesslich hat ein Aufbau von Überkapazitäten, unter anderem bei Elektronikartikeln und Fahrzeugen, den Gebrauchtwarenhandel angestossen, was einen regulierenden Effekt auf die Preisanstiege hat.

Auch der Konsumentenpreisindex auf Basis MoM (Month on Month) spricht eine mehr oder weniger deutliche Sprache: Der Inflationsanstieg seit Juni 2021 beträgt praktisch null, was darauf hindeutet, dass das hiesige Inflationstop schon bald erreicht sein wird. Damit bleibt das Inflationsrisiko in der Schweiz also weiterhin sehr gering.

Der Autor: Mario Geniale

Mario Geniale, Chief Investment Officer der Bank CIC

Mario Geniale ist als Chief Investment Officer verantwortlich für die Anlagepolitik der Bank CIC.

Zuvor war er im Investment Banking bei der UBS in Zürich tätig, in dem er institutionelle Kunden und Banken im Bereich Fixed Income, hauptsächlich in den Benelux-Ländern betreute.

Der diplomierte Vermögensverwalter und Finanzexperte verfügt über langjährige Erfahrung im Portfolio Management und Advisory.