WeChat im Visier der chinesischen Behörden

Mobile Zahlung mit WeChat, Hand mit Smartphone scannt einen QR-Code auf dem Markt
Bild: Shutterstock | YueStock

Hat es die chinesische Regulierungsbehörde auf WeChat abgesehen? Gastautorin Esty Dwek denkt einen Schritt nach vorne und analysiert mögliche Auswirkungen.

Das chinesische Tech-Unternehmen Tencent war bereits in der Vergangenheit Ziel staatlicher Eingriffe. Nun scheint die Regulierungsbehörde den Fokus auf das Tochterunternehmen WeChat gelegt zu haben. Esty Dwek von FlowBank analysiert die Auswirkungen einer möglichen Abspaltung von WeChat Pay.

Jüngsten Berichten zufolge haben es die chinesischen Regulierungsbehörden auf WeChat abgesehen und wollen dessen Fintech-Zweig, WeChat Pay, abspalten. Damit könnte weiteres Ungemach auf Tencent, die Mutterfirma von WeChat, zukommen. Das Unternehmen wurde in der Vergangenheit bereits hart von den staatlichen Repressionen getroffen, die auf die Online-Spielebranche abzielten.

Sollte die Regierung WeChat Pay, den Fintech-Zweig von Tencent, tatsächlich angreifen, könnte das den Absturz an der Börse weiter befeuern

Diese Massnahmen sind für Tencents Börsenkurs nicht ohne Folgen geblieben. Seit dem Höchststand im Jahr 2021 hat das Unternehmen fast 500 Mrd. US-Dollar an Marktwert verloren. Gemäss Refinitiv wird die Aktie zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 17 gehandelt – weniger als die Hälfte des eigenen Fünfjahresdurchschnitts und weit unter dem KGV von Peers wie Take-Two Interactive und Activision Blizzard.

Tencents Aktienkurs litt stark unter Regulierungs-Crackdown

«Sollte die Regierung WeChat Pay, den Fintech-Zweig von Tencent, tatsächlich angreifen, könnte das den Absturz an der Börse weiter befeuern», erklärt Esty Dwek, CIO von FlowBank. Denn Tencents Fintech-Bereich – zu dem auch Cloud-Computing-Services gehören – ist der am schnellsten wachsende Geschäftszweig und trägt rund 30% zum Unternehmensumsatz bei. Nur die Online-Glücksspiele generieren mehr Einnahmen.

Schwere Folgen bei Abspaltung von WeChat Pay

Um abschätzen zu können, welche Folgen verstärkte staatliche Regulierung auf Tencent haben könnte, lohne sich ein Blick auf ein anderes chinesisches Unternehmen: «Niemand weiss besser als Alibaba, wie schädlich es ist, wenn der Fintech-Zweig eines Unternehmens von der unerbittlichen chinesischen Regierung angegriffen wird», so Dwek. Alipay, der Zahlungsdienst von Alibaba, war das Hauptziel des Programms «Gemeinsamer Wohlstand». Dies kostete Alibabas Ant Group den Börsengang und hatte verheerende Folgen für die Unternehmensbewertung: Vor dem Regulierungs-Crackdown war das Unternehmen laut Fidelity knapp 315 Mrd. US-Dollar wert – im Juli letzten Jahres waren es noch rund 68 Mrd. US-Dollar.

Der Vergleich zwischen WeChat Pay und Alipay funktioniere aber nur bedingt. Alipay ist eine separate App, die es den Usern ermöglicht, ihre Finanzgeschäfte online abzuwickeln. WeChat Pay hingegen ist in die WeChat-App eingebunden, die neben einer Chat-Funktion auch Online-Shops, Spiele und vieles mehr umfasst. «WeChat Pay aus diesem Universum zu entfernen hätte grosse Folgen für die Super-App», so Dwek.

WeChat Pay aus diesem Universum zu entfernen hätte grosse Folgen für die Super-App

Die Auswirkungen einer Neuorganisation wären laut der Expertin denn auch weitaus grösser als bei der Abspaltung von Alipay. Synergien innerhalb von WeChat könnten beeinträchtigt werden, wodurch das Unternehmen in ernsthafte Probleme geraten könnte. Das Management versucht zu beschwichtigen und argumentiert, WeChat Pay sei in erster Linie eine Transaktionsplattform und kein Kreditgeber.

Tencents Umsatzwachstum verlangsamt sich

Dwek hält es aber auch für möglich, dass Tencent von einer Trennung der Geschäftsbereiche profitieren könnte. «Die Abgrenzung des Kerngeschäfts Online-Spiele könnte dem Unternehmen helfen, einen Teil der durch die staatliche Umstrukturierung verursachten Unsicherheit abzufedern. Zudem könnte Tencent damit die Risiken der verschiedenen Geschäftsbereiche verringern und diversifizieren», erklärt sie.

Die regulatorischen Risiken für Videospiele seien besser vorhersehbar als im Finanzbereich, wo die chinesische Regierung kaum Grenzen kenne. Ausserdem hat Tencent bereits Obergrenzen eingeführt, die verhindern sollten, dass Kinder zu viel Zeit und Geld für Online-Spiele aufwenden. Obwohl das Management bekräftigt, die Auswirkungen auf die Geschäftsergebnisse seien nur geringfügig gewesen, hat sich das Umsatzwachstum aber stark verlangsamt.

Zusätzlich zu den staatlichen Eingriffen in die Unternehmensstruktur droht Tencent eine potenzielle Rekordstrafe für Verstösse gegen Anti-Geldwäsche-Regeln durch WeChat. Gemäss neuesten Meldungen könnte die Strafe mehrere Hunderte Millionen Yuan betragen – was deutlich über den durchschnittlichen Strafzahlungen liegt, die Finanzunternehmen, die keine Banken sind, normalerweise leisten müssen.

Die Autorin: Esty Dwek

Esty Dwek, Chief Investment Officer der FlowBank

Esty Dwek ist seit Oktober 2021 Chief Investment Officer von FlowBank. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Anlagestrategie und Banking.

Vor ihrem Wechsel zu FlowBank war sie Head of Global Market Strategy bei Natixis Investment Managers. Davor als Global Strategist bei Loomis, Sayles & Company, einer Tochtergesellschaft von Natixis Investment Managers, und als Investment Strategist bei HSBC Private Bank tätig. Esty Dwek hat einen Bachelor-Abschluss der Princeton University.