Wie bereiten Banken und Versicherungen ihre Personalstruktur auf die Krise nach der Krise vor?

Richard Ossen, Managing Partner Flex Suisse
Richard Ossen, Managing Partner Flex Suisse

Gastautor Richard Ossen über Personalstrukturen im Wandel und welche Strategien und Lösungen für die Finanzindustrie jetzt im Vordergrund stehen.

Die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus hat mit immenser Schnelligkeit unseren Alltag auf den Kopf gestellt. Für viele Menschen hat sich der Arbeitsweg mittlerweile auf vier Schritte von der Kaffeemaschine hin zum heimischen Esstisch verkürzt.

Personalstrukturen im Wandel

Jedoch geht die Tragweite der angestossenen Veränderungen weit über das Thema der Digitalisierung des Arbeitsplatzes und der vermehrten Anwendung von Home Office hinaus. Vielmehr wird sich die Zusammensetzung ganzer Teams verändern. Die klassischen Teamstrukturen, die sich mehrheitlich aus Festangestellten zusammensetzen, haben sich mit Hinblick auf die gesellschaftlichen Ansprüche der Millennials und Gen Z sowie auf deren Krisenfestigkeit überlebt. Laut einer Studie des World Economic Forum werden bis 2022 über 75 Millionen klassische Arbeitsplätze wegfallen und 133 Millionen neue flexible Arbeitsplätze entstehen. Die entsprechenden Anpassungen der Arbeitswelt haben bereits jetzt begonnen.

Banken und Versicherungen besonders betroffen

Zwei Branchen spüren diese Veränderungen im aktuellen Umfeld von Covid-19 besonders stark. Sowohl der Versicherungs- wie auch der Bankensektor arbeiten von Beginn der aktuellen Pandemie an unter Hochdruck und entlang ihrer bestehenden Krisenpläne. Durch ihre Systemrelevanz läuft nicht nur das operative Alltagsgeschäft mit erhöhter Schlagzahl, sondern dieses wurde auch noch um die jeweilige Umsetzung der staatlichen Notfallmassnahmen intensiviert. Weiter wird in Erwartung einer Rezession mit entsprechenden Kreditausfällen und starker Inanspruchnahme von Versicherungs-Ansprüchen ein mittel- bis langfristiger Einstellungsstopp zur neuen Realität werden.

Die Verbindung aus Einstellungsstopp, erhöhter und veränderter operativer Tätigkeit und akutem Personalmangel wird klassische Teamstrukturen von Festangestellten in diesem stark hierarchisch geprägten Umfeld aufbrechen und verändern. Die entsprechende Disruption wird in der Finanzbranche besonders intensiv ausfallen, da hier die historisch gewachsenen Gruppenstrukturen besonders verkrustet sind.

Es gilt also sowohl einen temporären Engpass zu überwinden als auch die verschiedenen Mitarbeiterteams in ihrer Struktur fit für zukünftige Herausforderungen und veränderte gesellschaftliche Ansprüche zu machen.

Strategien und Lösungen

Dies erreicht man durch den Einsatz temporärer Arbeitskräfte. Die Zusammensetzung des Personalbestands wird aufgebrochen und durch eine Mischung aus Festangestellten und temporären Arbeitskräften ausbalanciert. Dazu bieten sich insbesondere zwei Arbeitstypen zur Auslagerung an. Zum einen betrachtet man die stark repetitiven Tätigkeiten, welche nach einer schnellen Einarbeitungszeit in Eigenverantwortung übernommen werden können. Hier spricht man von einer sogenannten Contingent Workforce.

Zum anderen werden Unternehmen vermehrt mit gesetzlichen oder regulatorischen Anpassungen konfrontiert, die sie binnen kurzer Frist innerhalb des gesamten Konzerns umzusetzen haben. Immer öfter wird hier Spezialwissen vorausgesetzt, über welches das bestehende Team an Festangestellten nicht verfügt. Hier sind Projektspezialisten gefragt, welche auf demselben Thema bereits in anderen Unternehmen entsprechendes Know-how sammeln konnten. Diese sogenannte Agile Workforce erfreut sich, mehrheitlich in den USA, wachsender Beliebtheit.

Wichtig ist es zu erwähnen, dass diese beiden Arbeitstypen nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen, sie sind im Gegenteil frei miteinander kombinierbar und ergänzen ein Team aus Festangestellten. Der Oberbegriff für dieses moderne Personalgefüge heisst Liquid Workforce. Firmen sind somit in der Lage, schneller auf unvorhergesehene externe Einflüsse mit der entsprechenden Expertise reagieren zu können.

Bis dato haben erst einige fortschrittliche Konzerne die Zeichen der Zeit erkannt und auf Liquid Workforce umgestellt. Diese Firmen erfreuen sich grösster Beliebtheit bei Bewerbern. Aus einer Umfrage von LinkedIn im Jahr 2019 geht hervor, dass 72 Prozent der Arbeitnehmer sich für flexible Arbeitsmodelle interessieren. Hier fallen insbesondere die Werte der Millennials und der Gen Z mit über 90 Prozent auf. 

Fokus Banken- und Versicherungssektor

Der Banken- und Versicherungssektor hat durch die momentane Krise wie kein anderer Bereich die Chance zum konsequenten Umbau der Personalstruktur durch die nachhaltige Implementierung temporärer Ressourcen, um die Krise nach der Krise zu verhindern. Hierfür sind sie durch ihre strategische Positionierung auch in der Lage.

Laut einer Veröffentlichung der FINMA vom 19. März 2020 beobachtet diese die von der Corona-Pandemie ausgelöste Situation und ihre möglichen Auswirkungen auf die Beaufsichtigten seit Wochen genau. Sie stellt fest, dass die Finanzinstitute und die Finanzmarktinfrastruktur operationell gut funktionieren. Die Unternehmen rollen ein wirksames Business Continuity Management (BCM) aus, also bereits im Voraus geplante Massnahmen, dank derer die Institute auch in Ausnahmesituationen ihren Betrieb aufrechterhalten können.

Die Anpassung auf der Personalseite hätte allerdings im Idealfall schon früher erfolgen können und sollen. Wenn jetzt nicht umgehend ein Umbau der Personalstruktur erfolgt, kumulieren sich das negative Arbeitsklima durch die Überbelastung, Abgänge und Einstellungsstopp zu einem unkalkulierbaren Risiko. Es gilt also sowohl einen temporären Engpass zu überwinden als auch die verschiedenen Mitarbeiterteams in ihrer Struktur fit für zukünftige Herausforderungen und veränderte gesellschaftliche Ansprüche zu machen.

Dies benötigt eine Strategie, welche neben dem rein personellen Aspekt sich auch an der fortschreitendenden Digitalisierung und Automatisierung orientiert und diese nicht aus den Augen verliert. Die Umstellung auf Liquid Workforce ist somit kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess, welcher sich am gesellschaftlichen Wandel, dem technischen Fortschritt und den gesetzlichen Rahmenbedingen orientieren sollte.

Der Autor: Richard Ossen

Richard Ossen ist Managing Partner und Co-Founder der Flex Suisse in Zürich. Das Unternehmen ist auf die Überlassung von spezialisierten Projektjuristen und Managed Legal Services spezialisiert und beschäftigt momentan rund 15 Mitarbeiter.

Richard hat eine juristische und Management-Ausbildung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz genossen. Bevor er die Flex Suisse gründete, arbeitete er bei PwC Legal als Manager.