Challenger-Bank Revolut will in Lateinamerika weiterwachsen

Blick auf Rio de Janeiro, Brasilien
Rio de Janeiro, Brasilien (Bild: Getty Images | Andrea Pistolesi)

Revolut gehört zu den FinTechs, die nicht nur konsolidieren, sondern weiterhin auch geografisch expandieren – aktuell in Brasilien.

Die Challenger-Bank verhält sich weiterhin antizyklisch und will in nächsten Schritten den Riesenmarkt Brasilien erobern. Das ist auch insofern bemerkenswert, als zahlreiche Neo-Banken- und FinTech-Konkurrenten seit einiger Zeit dem Druck ihrer Investoren folgen und einen teilweise radikalen Kurswechsel vollzogen haben: im Vordergrund stehen nicht mehr Expansion und Wachstum um jeden Preis, sondern Profitabilität, die schnellstmöglich erreicht werden soll. Revolut verfolgt eine andere Strategie: Konsolidierung in bestehenden Kernmärkten, jedoch nach wie vor aggressive Expansion in weitere globale Destinationen.

Kann sich Revolut die weitere geografische Expansion leisten?

Revolut ist, wie viele der anderen grossen FinTechs, hoch finanziert mit Risikokapital zahlreicher Investoren. Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten ist Revolut jedoch mit dem Jahresabschluss 2021 in der Gewinnzone angekommen. 

Steht die 2021 erreichte Profitabilität auch für die Zukunft auf soliden Beinen, dürfte die von Revolut verfolgte Strategie von den Investoren weiterhin unterstützt werden. Trägt das Geschäftsmodell mit den zahlreichen aufgebauten Ertragsquellen Früchte und wirft Profit ab, hat Skalieren einen anderen Effekt. Investitionen in neuen Märkten stehen Erträge gegenüber, die mit wachsenden Nutzerzahlen ebenfalls wachsen. Das ist bei nicht profitablen FinTechs auch der Fall, der Unterschied liegt jedoch darin, dass Revolut bereits gewissermassen im Rückzahl-Modus operiert. Oder anders ausgedrückt: generierte und wachsende Erträge auf der einen Seite werden nicht durch Verluste auf der anderen Seite gleich wieder weggefressen.

Dass Neo-Banken erst durch Skaleneffekte Gewinne einfahren können, sofern genügend gut genutzte Ertragsgeneratoren vorhanden sind, zusätzlich zu den Erlösen aus Kartentransaktionen, ist eine Binsenweisheit. Zwei Dinge fallen bei Revolut zum Thema Skalieren auf: 

Zum einen hat die Challenger-Bank sehr früh in zahlreiche interessante Ertragsgeneratoren investiert und hat diese als genutzte Angebote seit längerem schon im Einsatz. Dazu gehören Aktienhandel, Kryptohandel, Edelmetall- und Rohstoffhandel, Provisionen aus Marktplatz-, Reise- und Hotel-Vermittlungen und mehr. 

Zum anderen scheint Revolut extrem schnell zu wachsen und dadurch Skaleneffekte nutzen zu können. Mitte Juli 2022 hat die Challenger-Bank 20 Millionen Kundinnen und Kunden ausgewiesen. Sieben Monate später waren es bereits 27 Millionen. Heute bedient Revolut nach eigenen Aussagen mehr als 29 Millionen Kunden, die 330 Millionen Transaktionen pro Monat auslösen. Stimmen die Angaben, dann nimmt das FinTech monatlich 1 Million Neukunden an Bord.

Warum Brasilien?

Die Voraussetzungen für die Angebote von Neo-Banken sind in Brasilien weiterhin generell gut, aus mehreren Gründen. Brasilien ist ein grosser Markt mit einer Bevölkerung von rund 215 Millionen Menschen. 40 Millionen Erwachsene in diesem Land haben kein Bankkonto. Brasilien ist ein Hochpreisland, was Bankgebühren und Kreditzinsen bei klassischen Banken betrifft.

Dazu kommt eine Zentralbank, welche Konkurrenz durch neue FinTechs explizit fördert, weil sie die Dominanz und das Gebührendiktat der etablierten Player ungesund findet. Gerade auch in Bezug auf Innovationen, die bei klassischen Banken nur schwach stattfinden, weil die Motivation dazu fehlt. Zudem ist die riesige Bevölkerungsgruppe ohne Bankkonto für die etablierten Banken als Zielgruppe nicht interessant, für FinTechs und Smartphone-Banken hingegen schon.

Dieses freundliche Umfeld in Sachen Regulierung und die Haltung der Zentralbank, welche Wettbewerb und Finanz-Innovationen aktiv fördert, schaffen einen guten Boden für Startups und FinTechs mit neuen Ideen und smarten Angeboten.

Dieser Boden ist nicht Brachland, er wird seit längerem beackert

Platzhirsch Nubank ist seit rund zehn Jahren in Brasilien und in einigen anderen lateinamerikanischen Staaten erfolgreich im Markt. Das börsenkotierte Unternehmen meldet aktuell die geknackte Marke von 80 Millionen Kundinnen und Kunden in Lateinamerika. 

Neben der Nubank sind zwei, drei Dutzend weitere FinTechs aktiv im Markt Brasilien, welche frischen Wind in den Finanzsektor bringen. Der Markt der Finanzdienstleister in Brasilien ist in Bewegung und zahlreiche FinTechs sind dabei, die verkrusteten Strukturen und die Dominanz der etablierten Player aufzubrechen.

Haben neue Player aus London und Berlin Chancen in Brasilien?

Wenn sie gut sind, ein Gespür für die Wünsche und Bedürfnisse der brasilianischen Bevölkerung haben und mit entsprechenden Angeboten beantworten, haben sie sicher Chancen. Nur schon aufgrund der Grösse des Marktes und der weiterhin riesigen Potenziale.

Die erfolgreiche Nubank hat nicht nur Marktanteile gewonnen, sie hat in gewisser Weise auch für FinTech-Mitstreiter und Konkurrenten den Markt beackert und die Bevölkerung für die Vorteile von Smartphone-Banken sensibilisiert. Ganz schwierig ist das nicht, die ignorante Kompromisslosigkeit der etablierten Banken und deren exorbitante Gebühren und ihr Zinsdiktat öffnen weiterhin Türen für neue Anbieter mit guten Angeboten und fairen Konditionen. Mit zum Verdienst der Nubank gehört, dass das Unternehmen eine breite Bekanntheit für die möglichen Alternativen geschaffen hat. 

Ob N26 in Brasilien Chancen nutzen kann, bleibt noch offen. Die Neo-Bank ist irgendwie in Brasilien präsent, aber nicht wirklich spürbar aktiv. Zudem leidet N26 noch immer unter der durch die BaFin verordnete Wachstumsbremse. Die Beschränkung auf höchstens 50'000 Neukunden pro Monat gilt weltweit, das stutzt der Neo-Bank vorderhand auch in Brasilien die Flügel.

Revolut ist generell das deutlich aggressivere FinTech und hat dennoch ein besseres Gespür für Märkte und Machbarkeiten. Die Challenger-Bank hat sich bisher noch aus keinem ihrer Märkte zurückgezogen, ob USA, Japan, Australien oder anderswo – Revolut scheint sich auf unterschiedliche Mentalitäten und Marktgegebenheiten einstellen zu können und das zu liefern, was gebraucht und gewünscht wird. N26 tut sich da schwerer und hat in den letzten Jahren die Expansion in zwei Märkten mit hohen Verlusten abgebrochen, Grossbritannien und USA. 

Bei Revolut kommt dazu, dass die lateinamerikanischen Ambitionen und Strategien bereits heute über Brasilien hinausgehen, was Synergien möglich machen kann. In Chile hat die Challenger-Bank bereits Pflöcke eingeschlagen, Ecuador und Mexico sind die nächsten gesetzten Ziele.

Brasilien bietet nach übereinstimmender Meinung zahlreicher Marktbeobachter weiterhin sehr viel Raum und Potenzial für neue Anbieter. Das gilt auch für FinTechs und Neo-Banken, die weder aus London noch aus Berlin stammen. 

Wie startet Revolut in Brasilien?

Die Büros in São Paulo sind bezogen und das Team steht, Revolut bietet zum Start das globale Konto mit den bekannten Fremdwährungs- und Überweisungs-Optionen sowie den Kryptohandel an. Das ist nach Aussagen von Revolut erst der *richtige" Anfang.

Der lokale CEO von Revolut Brasilien, Glauber Mota, kommentiert den Start der Neo-Bank mit folgendem Statement: «Der Appetit auf Revolut und digitale Bankdienstleistungen in Brasilien ist gross. Jüngste Umfragen zeigen, dass mehr als 45 Prozent der Brasilianer bereits digitale Konten als primäres Konto unterhalten und mehr als fünf verschiedene Anwendungen zur Verwaltung, für Zahlungen, Überweisungen und Investitionen verwenden.»

Motas Hinweis auf die Vielzahl der eingesetzten Anwendungen legt die Spur auf das Ziel, das Revolut auch in Brasilien anstrebt: eine App, die alles kann, genügt. Welchen Namen diese App tragen soll, steht in den Zielen von Revolut festgeschrieben. Welchen Namen diese App tatsächlich tragen wird, zeigt dann die Zukunft.