Marketing als Stein des Anstosses

Frontalangriff statt Krisenmanagement: Spiel mit dem Feuer oder starke Haltung?

Das Management von True Fruits
Die Köpfe hinter True Fruits: Inga Koster, Nicolas Lecloux, Marco Knauf (Bild: True Fruits)

Der Shitstorm in Richtung von Smoothie-Hersteller True Fruits liefert ein Beispiel für provozierende Werbung, vehemente Reaktionen und unterschiedliche Betrachtungen zu Krisenmanagement.

Die Entdeckung von Smoothies 2005 in Schottland, die Gründung von True Fuits ein Jahr später, der Einzug in die Regale aller relevanten Lebensmittel-Grossverteiler, schnelles Wachstum und 43 Millionen Euro Umsatz 2017 – das ist die Geschichte von True Fruits im Zeitraffer.

Die Werbung: "Ehrlicher kann Obst nicht sein"

Die Startup-Gründer Inga KosterNicolas Lecloux und Marco Knauf haben ihren Bonner Saftladen auch durch eine unkonventionelle Marketing-Strategie zum Blühen gebracht. Marke und Produkte provozieren und polarisieren in der Werbung.

Damit hat sich True Fruits eine eigenständige Positionierung und auch hohe Wiedererkennbarkeit geschaffen. Anders als die anderen eben. Mit Produktwerbung, die sich nicht scheut, mit Anspielungen auf aktuelle politische und gesellschaftliche Strömungen zu arbeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass sich True Fuits "Ehrlichkeit" auf die Flagge geschrieben hat – diese Flagge wird denn auch gnadenlos hochgehalten, beim Produkt, bei den Packungen und auch in der Werbung.

Angetreten, um brave Werbung für Smoothies das Fürchten zu lehren

Das schafft hohe Aufmerksamkeit, die sich (nicht zum ersten Mal) zum Shitstorm ausweiten kann. Die "Edelsaftschmiede" aus Bonn nimmt tosenden Applaus wie auch empörte Ablehnung in Kauf, letzteres allerdings nicht unwidersprochen. Aus der Überzeugung heraus, dass ein Shitstorm nicht die Kraft haben darf, die Haltung der Gründer aufzuweichen und das Unternehmen zum Zurückrudern zu bewegen.

Die Gründer haben nach eigenem Bekunden keinerlei Ambitionen "Everybody's Darling" zu werden, weigern sich, in der Werbung die Erwartungen nach "hochgestochenem Blabla" zu erfüllen und machen deshalb ihre Werbung selbst, ohne Agentur. Die Gefahr, dabei anzuecken, wird als Option verstanden und bewusst in Kauf genommen.

Der aktuelle Stein des Anstosses: "Abgefüllt & mitgenommen."

Ob politische Anspielungen richtig eingeordnet werden, die Werbung als anders und originell oder als geschmacklos und respektlos empfunden wird, überlässt das Unternehmen seinen Zielgruppen. Ausnahme: Baut sich ein Shitstorm auf, reagieren die Macher. Auch hier allerdings anders als erwartet.

Im Zentrum des aktuellen Shitstorms steht ein Werbesujet von 2017, mit dem True Fruits einen Flaschenaufsatz bewirbt – leere Flaschen können so wiederbefüllt und weiterhin verwendet werden.

Der Slogan zum Werbesujet, "Abgefüllt & mitgenommen.", hat zu Empörung und harschen Reaktionen auf Instagram, Twitter und Facebook geführt.

Rollt die Lawine, kommt eins zum anderen und True Fruits ist innerhalb des Shitstorms Rassismus, Sexismus und die Förderung von "Rape Culture" vorgeworfen worden.

Krisenmanagement mit Retourkutsche, losgeschickt von True Fruits

True Fruits reagiert sehr ausführlich und lässt keine Fragen offen. Das True Fruits-Team folgt nicht den Rezepturen von klassischem Krisenmanagement mit dem Versuch von erklären, beschwichtigen, entschuldigen, sondern bleibt vielmehr dem Kurs der klaren Rede treu, provozieren und polarisieren inklusive. Wohl erklärt das Team den Hintergrund und Strategie der Werbung, beginnt dann jedoch im nächsten Schritt seine Zielgruppen zu sortieren. 

Die Ansprache mit dem Einstieg "Liebe Freunde, liebe vermeintlich Diskriminierte, liebe Dumme...", ist unverfroren, mutig, an Klarheit nicht zu überbieten, subtil auf Krawall gebürstet, eher hochgradig provozierend, intelligent verfasst, streckenweise (vorsätzlich) beleidigend, kompromisslos in Haltung und Aussage – und deshalb lesenwert.

Ein Text und eine Reaktion, welche in die Geschichte von Shitstorms und Krisenmanagement eingehen dürften. Ob als gutes Beispiel für eine klare Haltung und Treue zur eigenen Linie oder als No-Go und schlechtes Beispiel für den Umgang mit Zielgruppen, mag jeder und jede für sich selbst entscheiden. Ohnehin wird erst die Zukunft zeigen, was geht und was nicht – Auswirkungen in die eine oder andere Richtung werden nicht auf sich warten lassen. Der Begriff "klare Kante" bekommt mit dem Beitrag zum öffentlichen Diskurs jedenfalls eine neue Dimension.

Das Statement ist auf Facebook nachzulesen, falls der Beitrag dereinst nicht mehr erreichbar sein sollte, hier der Text von True Fruits unverändert im Zitat:

Liebe Freunde, liebe vermeintlich Diskriminierte, liebe Dumme,

uns erreichen zurzeit über die sozialen Netzwerke einige Nachrichten und auch Kritik. Man wirft uns Rassismus, Sexismus oder gar die Förderung von „Rape Culture“ vor. Wir sind das regelmäßige Lamento einiger Zwangsempörter gewöhnt und entschuldigen uns bei allen, die davon ebenfalls zu Recht gelangweilt sind. 

Diesmal geht es um ein Best-of verschiedener Slogans, die schon ein paar Jahre zurückliegen. Dazu zählt auch unsere Kampagne, die wir 2017 als deutsches Unternehmen in Österreich geschaltet haben mit Plakattexten wie 
• „Schafft es nur selten über die Grenze“ oder 
• „Noch mehr Flaschen aus dem Ausland“ 

Diese Kampagne war eine Kritik an der rechts angehauchten Politik Österreichs und die mögliche Schließung des Brenner Passes (die Einreise von Flüchtlingen wäre dadurch erschwert worden). Das dies eine Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit war, wäre auch spätestens klar geworden, wenn man sich mit der Kampagne beschäftigt hätte und sich z.B. das dritte Kampagnenmotiv angesehen hätte: 
„Bei uns kannst Du kein Braun wählen“ (denn keine unserer Flaschen ist braun…).

Stattdessen werden aber einzelne Motive ohne Sinn und Verstand rauskopiert und mit übertriebener Polemik, Hetze und Beleidigungen uns gegenüber durch die Gegend geschickt. Seufz.

Im Zentrum der Kritik steht auch ein weiteres Social Media Motiv aus dem Jahr 2016: Konkret geht es um eine Abbildung unseres Sortiments mit der schwarzen Flasche in der Mitte und der Headline „Unser Quotenschwarzer“. Anlass dafür war die omnipräsente Diskussion über die Einführung einer Frauenquote in Führungspositionen von Unternehmen. Die Forderung einer Quote ist in unseren Augen die eigentliche Diskriminierung. Denn wenn man mit gesundem Menschenverstand davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind und auch genau das auch fördern möchte, ist es lächerlich irgendeine Personengruppe als ungleich zu behandeln, in dem man eine Quote einführt. 

Wir finden Rassismus genauso zum Kotzen, wie alle Formen der Diskriminierung. Außer Leute, die Schlager hören, die sollten wirklich nicht am Radio rumfummeln dürfen. Aber ernsthaft zu glauben, dass ein öffentliches Unternehmen unserer Größe Interesse daran haben könnte, rassistische Propaganda zu betreiben, um daraus Kapital zu schlagen, zeugt von wenig Geistesschmalz. 

Zu guter Letzt wirft man uns Sexismus und die Förderung von „Rape Culture“ vor. Zu ersterem werden oft unsere Kampagnen-Motive aus dem Jahr 2016 zur Einführung der Chia-Samensäfte herangezogen. Wir hatten damals vier Slogans:
• „Oralverzehr – schneller kommst Du nicht zum Samengenuss“ (weil trinkfertiger Chia)
• „Besamt & befruchtet“ (logisch: enthält Samen und Frucht)
• „Bei Samenstau schütteln“ (Chia setzte sich leider immer am Boden der Flasche ab) oder
• „2 Samenspender aus gutem Hause“ (es gab zwei köstliche Sorten)

Alle vier Slogans wurden auch damals schon als Beschwerden dem deutschen Werberat vorgelegt. Und dieser entschied, dass es sich zwar um eine provokative Werbung handle, aber eindeutig nicht um Sexismus. 
Der Vorwurf zur Rape Culture geht vornehmlich auf ein Werbe-Motiv zu unserem Trinkaufsatz für die 750ml true fruits Flasche zurück. Der Claim „abgefüllt und mitgenommen“ bezieht sich auf den Weitergebrauch unserer Flasche samt Trinkaufsatz. Klar, wir spielen hier mit einer sexuellen Doppeldeutigkeit, aber die Doppeldeutigkeit entsteht ja im Kopf des Lesers, eindeutig abgebildet ist ja eine Glasflasche, die tatsächlich wieder befüllt und durch den dicht schließenden Deckel eben auch mitgenommen werden kann. Wir fragen uns ernsthaft, was für ein kranker Dummkopf man sein muss, darin eine Befürwortung von Vergewaltigungen zu lesen. Welche Gedanken gehen in solchen Köpfen vor und ist das vermeintliche Problem nicht eventuell dort zu finden?

Aber in einem Punkt, das müssen wir uns eingestehen, sind wir anscheinend diskriminierend! Wir sind diskriminierend gegenüber dummen Menschen, denn dumme Menschen schließt unsere Art der Kommunikation eindeutig aus. Sie ist schlichtweg nicht für Dumme gemacht und wird sie auch nie sein, das tut uns leid.

Und wenn nun genau diese Gruppe von dummen Menschen (ganz egal ob weiß, schwarz, weiblich, männlich, hetero- oder homosexuell, mit Holzbein oder Sprachfehler) meint ohne mal kurz nachzudenken mit brennender Mistgabel auf die digitalen Barrikaden gehen zu müssen und wie ein pöbelnder Mob Hetze gegen uns zu betreiben, ja dann senden wir ihnen eben ein kräftiges „Fuck you!“. Was sollen wir auch anderes tun, denn Intelligenz lässt sich nun mal schwer versenden!

Grundsätzlich möchten wir Euch aber darauf hinweisen, dass wir auch zukünftig Werbung betreiben werden, die ein gewisses Maß an Intelligenz und Humor voraussetzen wird. Ihr werdet bei uns also immer wieder auf dieser Art der Kommunikation stoßen, die dumme Menschen falsch verstehen könnten. 

Aber wir wollen nicht nur spalten, sondern haben uns konstruktiv mit der Kritik auseinandergesetzt. Daher haben wir uns entschieden, zukünftig jegliche Kommunikation, die wir betreiben, zum Schutz einer vermeintlichen Minderheit (den Dummen), mit dem Warnhinweis „Achtung, diese Werbung könnte von dummen Menschen missverstanden werden!“ zu versehen.

Wir hoffen damit unserer Fürsorgepflicht als guter Saftladen gerecht zu werden und versuchen dadurch diese Art der Diskriminierung zu entschärfen. 

Liebe Grüße aus Bonn, Euer true fruits Team

PS: Natürlich fliegt der schwarze Smoothie nicht aus dem Sortiment, weil uns Rassismus vorgeworfen wird, sondern weil er sich zu schlecht verkauft hat. There’s no biz like juice biz baby…

PPS: Die Verkaufszahlen unseres Smoothie white in der schwarzen Pulle sind in den letzten Stunden enorm gestiegen! Yipppieyeah und allen einen herzlichen Dank dafür.

PPPS: Seien wir ehrlich, wir wissen schon, worum es hier im Kern eigentlich geht: Jeder Mensch möchte mit seinen Bedürfnissen gesehen und verstanden werden. Uns dünkt der tatsächliche Aufschrei gilt nicht unserer eigensinnigen Art der Kommunikation, sondern der Tatsache, dass wir Euch, den Zwangsempörten nicht den Hintern küssen wollen. Wir verstehen Euch ja... ihr mögt unsere arrogante Art nicht. Ihr mögt unsere dummen Witze nicht. Kurz: Ihr mögt uns einfach nicht. Wisst ihr was? Das ist OK. Es ist wirklich kein Problem. Unser ernst gemeinter Tipp: Statt Euch sinnlos aufzuregen und uns beim Marketing noch zu helfen, bestraft uns doch mit etwas, was uns wirklich weh täte – entzieht uns Eurer Aufmerksamkeit, folgt uns nicht mehr, kauft uns nicht mehr und macht Euch Eure Smoothies, Säfte und Bowls einfach selbst. 

Wir leben doch in einer freien, fröhlichen Konsumwelt, niemand zwingt Euch unserem Kram zu kaufen oder unseren Unterhaltungskanälen zu folgen. Euer Puls wird es Euch danken und wir haben unsere Ruhe. Karma tut ihr übriges und alles wird gut. Namaste, ihr süßen Pissnelken*. 

(*keine Diskriminierung von Nelken oder anderen Nelkengewächsen beabsichtigt!)